Äthiopien: Türen öffnen für Frauen in der Kirche

22. Mär. 2024

„Gott hat mir eine große Chance eröffnet, aber es ist gleichzeitig eine große Herausforderung, weil es in unserem Kontext nicht viele Frauen in Führungspositionen gibt“, sagt Dr. Ebisse Gudeta, die erste weibliche Studiendekanin am theologischen Seminar der Äthiopischen Evangelischen Kirche Mekane Yesus.

Dr. Ebisse Gudeta

Dr. Ebisse Gudeta, Studiendekanin des Seminars der Äthiopischen Evangelischen Kirche Mekane Yesus. Foto: Mekane Yesus-Seminar

Interview mit Ebisse Gudeta, der ersten Studiendekanin am theologischen Seminar der äthiopischen evangelischen Kirche

(LWI) – Dr. Ebisse Gudeta ist Vorkämpferin für Frauen in der Äthiopischen Evangelischen Kirche Mekane Yesus, eine der am schnellsten wachsenden Kirchen im Lutherischen Weltbund (LWB), und wurde nur wenige Monate vor dem Beginn der COVID-19-Pandemie und ein Jahr bevor eine Sturzflut an dem Seminar acht Menschenleben forderte zur Studiendekanin ernannt.

Sie hat einen Masterabschluss im Bereich Migration und transnationales Networking und hat zum Thema Konfirmandenunterricht in ihrer Kirche promoviert. Sie ist fest davon überzeugt, dass es möglich ist, die vielen Hürden zu überwinden, mit denen Frauen und Mädchen insbesondere im afrikanischen Kontext beim Zugang zu Bildung und Berufschancen konfrontiert sind.

Im März ist sie nach New York gereist, um als Teil der LWB-Delegation an der Sitzung des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau teilzunehmen, bei der es um die Zurüstung von Frauen zu mehr wirtschaftlicher Eigenständigkeit und Finanzausstattung aus einer Gender-Perspektive ging. Zwischen den Sitzungen sprach sie mit uns über ihren Werdegang und die Menschen, die sie auf ihrem Weg unterstützt haben.

Was bedeutet es für Sie, die erste Frau in Ihrer Position zu sein?

Gott hat mir eine große Chance eröffnet, aber es ist gleichzeitig eine große Herausforderung, weil es in unserem Kontext nicht viele Frauen in Führungspositionen gibt. Ich habe gehört, dass viele langjährige Führungspersonen nicht einverstanden waren, als ich zur Studiendekanin ernannt wurde. Sie sagten, das College würde scheitern. Gott sei Dank ist es aber sehr erfolgreich.

Meine Ernennung erfolgte kurz vor dem Beginn der COVID-19-Pandemie und die Pandemie war eine sehr schwierige Zeit, weil wir weder die Infrastruktur noch die Internetkapazitäten hatten, um die vielen Studierenden zu erreichen, die größtenteils auf dem Land leben. Wir haben dann stattdessen Module erarbeitet und ihnen geschickt, und konnten das akademische Jahr damit glücklicherweise erfolgreich abschließen.

Wie sehr haben die Überschwemmungen im Jahr 2021 Sie und Ihre Familie getroffen, bei denen acht Menschen ums Leben gekommen sind? 

Das war eine schlimme und traumatische Erfahrung. In gerade einmal drei Minuten war das gesamte Gelände vollständig überflutet. Eine große Welle aus kaltem und schmutzigem Wasser hatte sich darüber ergossen und wir haben geliebte Freundinnen und Freunde verloren, die wie eine Familie für uns waren. Ich habe alles verloren. Aber ich danke Gott, dass meine beiden Kinder, meine Mutter und meine Cousinen und Cousins, die damals bei mir lebten, nicht zu Schaden gekommen sind. Das Leben ist wertvoller als alles andere.

Es hat lange gedauert, bis wir uns davon erholt haben, denn meine beiden Jungs, die damals erst fünf und acht Jahre alt waren, waren mehr als zwei Stunden lang in dem kalten Wasser, bevor sie gerettet werden konnten. Sie hatten Wasser geschluckt und es war in ihre Ohren gelangt, woraufhin sie eine allergische Reaktion und Infektionen entwickelten. Es dauerte fast zwei Monate bis sie wieder gesund waren.

Wir haben an einer Sitzung zur Trauma-Verarbeitung teilgenommen, bei der wir ermutigt wurden, unserer Trauer Ausdruck zu verleihen und unsere Freundinnen und Freunde zu beweinen. Meine Kinder haben Bilder zu dem Erlebten gemalt – das hat sehr geholfen. Aber es nicht leicht und auch heute noch möchte ich sofort zu meinen Kindern laufen, wenn es anfängt zu regnen.

Erzählen Sie uns vom Anfang Ihres Werdegangs und wann Sie das erste Mal gespürt haben, zum Dienst in der Kirche berufen zu sein?

Meine ganze Familie ist christlich. Ich habe eine Schwester und vier Brüder. Als wir klein waren, durften immer nur meine Brüder draußen spielen, während ich meiner Mutter drinnen im Haushalt helfen musste. Wir lebten mit weiteren Verwandten, Tanten und Onkel von mir, zusammen unter einem Dach. Ich habe gesehen, welch große Belastung es für meine Mutter war, für sie alle zu kochen und sie zu versorgen. Sie war gut gewesen in der Schule, hatte die Schule aber in der 9. Klasse abgebrochen, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Wirtschaftlich ist sie abhängig von meinem Vater und muss ihn um alles bitten, was sie braucht.

Das gefiel mir nicht und ich wollte einen guten Job haben, um meine Mutter unterstützen zu können. Mir war klar, dass ich nicht so abhängig sein wollte wie sie. Also habe ich tagein, tagsaus gebetet, weil ich wusste, dass ich Pastorin in der Kirche werden wollte. Ich habe dort im Chor gesungen, in der Theatergruppe mitgemacht und mich ehrenamtlich als Predigerin engagiert, weil ich das Wort Gottes liebte. Wir hatten eine Bibel zu Hause, die meiner Mutter sehr viel bedeutete. Immer wenn sie aus dem Haus war, las ich darin und machte mir Notizen – und achtete sehr genau darauf, sie zurückzulegen, bevor sie wieder nach Hause kam.

War es schwierig, als junge Frau für das Studium zugelassen zu werden?

Einige Menschen in meiner Gemeinde wollten mich für das Studium an das theologische Seminar schicken, aber es fehlte das Geld. Sie haben dann eine Bibelschule am Abend für Ehrenamtliche eingerichtet, in der diese alles von der Geschichte der Kirche bis hin zu lutherischer Theologie und Praxis lernen können. Ich war die Beste in meinem Jahrgang und bin auf diesem Weg zum Seminar zugelassen worden.

Zunächst habe ich Mitarbeiterführung und Management studiert und dann vier Jahre Theologie. 2005 habe ich meinen Abschluss gemacht. Im Anschluss bin ich in meine Heimat zurückgekehrt, um in meiner Synode zu arbeiten. Aber es gab keine freien Stellen, weswegen ich erstmal ehrenamtlich gearbeitet habe. Später übernahm ich die Leitung der Frauenarbeit, bin in die Gemeinden auf dem Land gefahren, um dort Schulungen durchzuführen, und habe schließlich ein Stipendium für ein Masterstudium in Deutschland bekommen.

Zwischenzeitlich haben Sie auch noch geheiratet, nicht wahr?

Richtig. Kurz bevor ich nach Deutschland gegangen bin, habe ich geheiratet und meine Familie hat mir großen Druck gemacht, eine Familie zu gründen. Aber der Präsident des Seminars, wo ich in der Abteilung für theologische Studien gearbeitet habe, hat mir Mut gemacht, mich für ein Stipendium in Norwegen zu bewerben, wo sie jüngere Kandidierende suchten. Ich war die einzige Frau, die sich bewarb, aber ein paar Monate später erfuhr ich, dass meine Bewerbung erfolgreich gewesen und ich ausgewählt worden war. Ich ging also nach Norwegen, um meine Promotion zu beginnen. Es war eine Art Sandwich-Programm; ich musste nicht zwangsläufig langfristig vor Ort sein, aber es war schwierig, weil ich in Äthiopien keine zuverlässig gute Internetverbindung hatte.

Außerdem habe ich in dieser Zeit auch meine zwei Söhne zur Welt gebracht und mein Mann ist zum Arbeiten in die USA gegangen, so dass ich mich allein um die Kinder kümmern und auch noch arbeiten musste. Bis 2020 war ich in Vollzeit Promotionsstudierende und wurde dann zur Studiendekanin ernannt. Ich danke Gott und bin dem Präsidenten unseres Seminars, Pfr. Dr. Bruk Ayele, sehr dankbar, dass er an das Potenzial von Frauen glaubt und mich immer unterstützt hat, auch wenn sehr viele Menschen mit seiner Entscheidung nicht einverstanden waren.

Welche Erfolge konnten Sie seit Ihrer Ernennung erzielen? Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?

Zusammen mit Dr. Bruk habe ich mich sehr dafür eingesetzt, Stipendien für Frauen zu finden. In den letzten zehn Jahren waren an unserem Seminar nie mehr als 20 oder 25 Frauen eingeschrieben. Heute sind unter den 350 Theologie-Studierenden in unserem regulären Präsenz-Studium 100 Frauen. Als ich meinen Bachelor gemacht habe, waren wir nur zwei Frauen in meinem Jahrgang. Das ist also eine große Veränderung.

2020 hat eine junge Masterstudentin ihr Baby mitgebracht, weswegen wir ihr ein eigenes Zimmer gegeben haben. Aber mir ist in dem Zusammenhang klar geworden, dass wir einen sicheren Ort brauchen, wo die Frauen tagsüber ihre Kinder betreuen lassen können, um in Ruhe studieren zu können. Dank unserer Partner konnten wir eine schöne Kita bauen, wo derzeit die Kinder von acht Studentinnen und anderen Mitarbeitenden wie unseren Reinigungskräften betreut werden, die ihre Kinder bisher bei der Arbeit auf dem Rücken trugen.

Außerdem habe ich mich dafür stark gemacht, dass es auch Stipendien für Frauen gibt, die an unserem Fernstudienprogramm teilnehmen. Diese Frauen ebenfalls unterstützen zu können, ist ein weiterer Erfolg für uns. Zudem haben wir einen Arbeitskreis für weibliche Theologie-Fachleute ins Leben gerufen, in dem wir zusammen beten und Missionsarbeit leisten – zum Beispiel besuchen wir Inhaftierte und sammeln Kleiderspenden und Hygieneprodukte für sie.

Wie viele der Studierenden finden nach Ihrem Abschluss auch Arbeit?

Das ist sehr schwierig. Die meisten von ihnen finden leider keine Anstellung, aber die Kirche nutzt ihre Zeit und ihre Gaben auf ehrenamtlicher Basis. Es ist noch viel zu tun, weil es in den oberen Führungsetagen unserer Kirche bisher keine einzige Frau gibt.

Aber meine Tür steht unseren Studierenden immer offen, ich will ihnen zuhören und ihnen Mut machen. Ich ermuntere sie immer, mutig zu sein, sich zusammenzuschließen und sich gegenseitig zu unterstützen, was nicht immer der Fall ist, weil es nur eine enge, kleine Tür gibt, durch die Frauen überhaupt Zutritt haben. Wir müssen diese Tür weiter aufstoßen und auch ein positives Verständnis von Männlichkeit fördern. Ich weiß, dass Veränderungen nicht über Nacht eintreten, aber wenn wir uns wirklich dafür einsetzen, können wir die Hürden überwinden.

Letzte Frage: Was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?

Das ist sehr wichtig – was können wir schon allein erreichen? Die Kirche gehört Christus und besteht nur durch unsere Partnerschaften. Wir an unserem Seminar sind dankbar für die Beziehungen mit dem LWB; sie machen uns die größeren Zusammenhänge deutlich. Ich sehe dort andere mutige, starke Frauen in Führungspositionen und das gibt mir Energie und macht mir Mut, meine Arbeit fortzuführen.

LWB/P. Hitchen