“Ostern ist unsere einzige Hoffnung”

19. Apr. 2024

In Stimmen aus der Kirchengemeinschaft spricht Azar über die Auswirkungen des Gaza-Krieges auf seine Gemeinde, die Rolle seiner Kirche, und wie man im Krieg über Auferstehung sprechen kann.

Bishop Sani Ibrahim Azar. Photo: LWF/Albin Hillert

Bishop Sani Ibrahim Azar. Photo: LWF/Albin Hillert

Bischof Sani Ibrahim Azar, Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land

Seit einem halben Jahr befindet sich das Land in dem Bischof Sani Ibrahim Azar lebt, im Krieg. Seine Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, gehört zu der kleinen christlichen Minderheit, die in Israel und Palästina lebt. In Stimmen aus der Kirchengemeinschaft spricht Azar über die Auswirkungen des Gaza-Krieges auf seine Gemeinde, die Rolle seiner Kirche, und wie man im Krieg über Auferstehung sprechen kann.

Bischof Azar ist gerade von einem Gemeindebesuch zurückgekommen: in Bethlehem hat er 200 Waisenkinder aus Gaza besucht, welche die Kirche mit deutscher Vermittlung und Hilfe der Organisation SOS- Kinderdörfer aus Rafah hat evakuieren können. Die Fünf- bis Siebenjährigen “sind froh, dass sie aus Gaza raus sind, aber sie erleben jetzt eine völlig neue Welt”, so der Bischof.

Während seine Gemeinde noch eine Schule sucht, die so viele neue Schüler gleichzeitig aufnimmt, sei das Waisenhaus in Rafah schon wieder voll, erzählt er weiter. “Es gibt dort so viele Kinder, die allein durch die Strassen irren”, sagt er. Die ELKJHL würde sich gern um sie kümmern, doch momentan gelangt nicht einmal medizinische Hilfe in den Gazastreifen. “Das ist gerade unmöglich.”

Freundschaften zerstört

Der Krieg sei überall spürbar, erklärt der Bischof. “Wenn ich heute ein jüdisches Geschäft betrete, sagen die Leute kaum hallo. Früher haben sie mich nach meinen Kindern gefragt”, erklärt er.

Die Strassen in der Jerusalemer Altstadt, sonst übervoll mit Besuchern und Pilgern zur Osterzeit, seien vergleichsweise verwaist. “Schauen Sie sich doch um, das ist nicht Ostern”, sagt er. Selbst die Händler seien nicht so lebhaft wie sonst. “Alle sind in sich gekehrt.” Sonst habe er im Ramadan viele Einladungen erhalten, dieses Jahr nicht. Auch der muslimische Fastenmonat, etwa mit der christlichen Adventszeit vergleichbar, sei vom Krieg überschattet.

Die traditionelle Gründonnerstags-Prozession der Lutheraner in Jerusalem, ein Weg von der Erlöserkirche in der Altstadt bis zum Garten Gethsemane mit Abendmahlsgottesdienst und Gebet, sei dieses Jahr sehr klein ausgefallen. Nicht nur die Besucher fehlen, auch die eigenen Gemeindeglieder im Westjordanland haben keine Genehmigung der Israelischen Militärbehörde erhalten, zum Gottesdienst nach Jerusalem zu kommen. “Gründonnerstag war immer die Feier, die wir alle gemeinsam gemacht haben”, sagt Azar. “Diesmal fehlen 30-40 Leute”. Auffällig in einer Gemeinde, die gerade 300 Mitglieder hat.

Arbeitslosigkeit und Auswanderung

Immer mehr christliche Familien verlassen das Land. “Sie haben Angst, und fühlen sich nicht mehr sicher”, sagt Azar. Die arabischen Christen seien eine ständig schrumpfende Minderheit. Wenn eine Familie geht, sind das “8-20 Personen”, eine spürbare Lücke in den kleinen Gemeinden.

Unlängst habe eine 17-jährige Schülerin, eine palästinensische Christin mit israelischem Pass, die Einberufung ins israelische Militär erhalten. Die meisten seiner Gemeindeglieder seien seit Beginn des Gaza-Krieges ohne Einkommen. Sie hätten als Bäcker, Busfahrer oder Gemüsehändler gearbeitet, oder führten Reisebüros. Der Krieg hat die Touristen vertrieben.

Bei den Menschen sein

Trotz dieser bedrückenden Lage sieht Bischof Azar Handlungsmöglichkeiten. “Es ist wichtig, mit den Menschen zusammen zu sein, sie zu begleiten”, sagt er. Das diakonische Zentrum der ELKJHL habe rund 100 Familien zu Ostern mit Fleisch für ein traditionelles Ostermahl ausgeholfen, das sie sich sonst nicht hätten leisten können. “Viele haben seit Wochen kein Fleisch gegessen, aber das erfährt man nur, wenn man mit den Menschen spricht.”

In den Schulen der Kirche, in Beit Jala oder Beit Sahour, können viele Eltern das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Unterrichtet werden die Kinder trotzdem – christliche und muslimische gemeinsam. “Wir müssen die Schulen offenhalten. Wir müssen einen Beitrag leisten zu Toleranz und Zusammenleben”, betont Azar.

Besonders dankbar sei er für die Arbeit des Auguste-Viktoria-Krankenhauses, ergänzt der Bischof. Das auf Krebs und Nierenleiden spezialisierte Krankenhaus in Ostjerusalem wird vom LWB betrieben und bildet eine Säule des palästinensischen Gesundheitssystems. Mehr als einmal konnte der Bischof Gemeindeglieder mit einer Krebsdiagnose schnell und unbürokratisch dorthin verweisen. Nach wie vor beherbergt das Krankenhaus Krebspatientinnen und -patienten aus Gaza. Wenn es möglich ist, Gaza zu betreten, möchte er mit seiner Kirche ein diakonisches Projekt für die Kinder starten, denen der Krieg die Eltern genommen hat. “Das ist unser Platz, mit diakonischer Arbeit haben wir als Kirche hier angefangen!”

Hoffnung, die bleibt

Wie spricht man von Hoffnung und Auferstehung in Zeiten wie diesen? Zusammen mit anderen Kirchen in Jerusalem hat die ELKJHL in der Heiligen Woche zu einem Ende der Gewalt im Gazastreifen aufgerufen. Im Gottesdienst schliesse er das israelische Militär in die Fürbitten ein – trotz des Leides, das Soldaten auch in der eigenen Gemeinde verursacht haben.

Die Osterbotschaft sei in diesen Tagen wichtiger den je, sagt Bischof Azar: “Das ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben. Die Hoffnung, dass es nach Karfreitag Ostern wird. Die Hoffnung, dass all das einmal ein Ende hat.”

Das Gespräch fand am Gründonnerstag 2024 in Jerusalem statt.

LWB/ C. Kästner-Meyer