RoNEL: Austausch über das bischöfliche Amt

9. Jan. 2024

Die alljährliche Klausurtagung für neugewählte Kirchenleitende (RoNEL) bietet bischöflichen Personen und Kirchenpräsidentinnen und -präsidenten eine gute Gelegenheit, ihr Verständnis von ihrer Führungsrolle in der LWB-Gemeinschaft zu vertiefen und sich mit anderen Kirchen zu vernetzen. 

RoNEL Wittenberg 2023

RoNEL-Teilnehmende und Mitarbeitende des LWB und des LWB-Zentrums Wittenberg nach dem Sonntagsgottesdienst in der Schlosskirche, an deren Türen Martin Luther vor mehr als 500 Jahren seine 95 Thesen nagelte und damit die Reformation anstieß. Foto: LWB/A. Weyermüller

Lutherische Glaubenstradition und Aufgaben von kirchlichen Führungspersonen von heute  

(LWI) – Im Rahmen seines Programms zur Entwicklung von Führungskompetenzen lädt der Lutherische Weltbund (LWB) jedes Jahr neu gewählte Kirchenleitende zu einer Klausurtagung (RoNEL) in Genf und Wittenberg, Deutschland, ein. Im November 2023 haben an dieser neuntägigen Veranstaltung 14 bischöfliche Personen und Kirchenpräsidentinnen und Kirchenpräsidenten teilgenommen.  

Unter der Überschrift „Führungsverantwortung und das bischöfliche Amt in der LWB-Kirchengemeinschaft“ haben sie sich gegenseitig von ihrem Weg in die neue Führungsposition berichtet, sich über verschiedene Aspekte der Arbeit des LWB informiert und einander durch tägliche Andachten und Gottesdienste bei ihrer spirituellen Erneuerung begleitet.  

Während ihres Aufenthalts im LWB-Zentrum Wittenberg hat Bischof Emeritus Frank Otfried July, Evangelische Landeskirche in Württemberg, Deutschland, ihnen von seinen Erkenntnissen und Erfahrungen aus 17 Dienstjahren als Bischof berichtet.  

July erklärte, in ein bischöfliches Amt gewählt zu werden, „ist ein Vertrauensbeweis der Wahlgremien oder Synoden; es ist Maßstab für die Erwartungen an die jeweilige bischöfliche Person, es ist eine innere spirituelle und eine theologische Herausforderung für alle, die sich dieser Aufgabe stellen – wie Sie alle jetzt. Die Bitte um Wegweisung durch Gott ist hier ganz besonders wichtig.“  

Pfarrerin Cheryl M. Peterson, Studiendekanin am Wartburg Theological Seminary in den USA, sprach über das bischöfliche Amt in der lutherischen Glaubenstradition und erklärte, der griechische Begriff episkopos bedeute „Beschützer“ oder „Aufseher“. Dem Reformator Martin Luther zufolge solle eine bischöfliche Person gewählt werden, um „Diener, Funktionär, Verwalter und Hüter des Evangeliums und der Sakramente“ zu sein.  

Im Laufe der Reformation habe Luther verschiedene Schriften über den bischöflichen Dienst und das bischöfliche Amt verfasst. „Es ist hilfreich, die wichtige Unterscheidung im Hinterkopf zu behalten, die die lutherischen Reformatoren zwischen territorialer oder politischer Aufsicht und Kontrolle und spiritueller Aufsicht gemacht haben“, betonte Peterson. „Es gefiel ihnen nicht, dass Bischöfe politische Macht in der weltlichen Sphäre hatten, vielmehr wollten sie Bischöfe, die ihr spirituelles episcopé ernster nehmen würden.“  

Sich der Herausforderung der kirchlichen Einheit stellen  

July berichtete aus seinem Kontext einer Landeskirche der heutigen Zeit in Südwestdeutschland von fünf Arbeitsbereichen, denen er in seiner Amtszeit als Bischof besondere Aufmerksamkeit geschenkt habe: öffentliche Seelsorge, Außenvertretung der Kirche, Führungsverantwortung und Kirchenverwaltung, ökumenische Zusammenarbeit und das Einheitsamt.

RoNEL Wittenberg 2023 - July

Bischof Emeritus Frank Otfried July spricht im Rahmen einer Klausurtagung (RoNEL) im LWB-Zentrum Wittenberg, Deutschland, zu den teilnehmenden neu gewählten Kirchenleitenden. Foto: LWB/A. Weyermüller 

„Trotz der steigenden Tendenz zu immer mehr Säkularisierung wird von den Kirchen und ihren Oberhäuptern erwartet, dass sie in besonderen Situationen jene richtigen Worte finden und aussprechen, die eine Gesellschaft sich selbst gegenüber nicht aussprechen kann“, sagte er. Als konkretes Beispiel nannte er sein seelsorgerisches Wirken nach der Schießerei an einer Schule, bei der 15 Schülerinnen und Schüler getötet worden seien. „Die öffentliche Verkündigung des Evangeliums und die öffentliche Seelsorge gehen über die Grenzen der Ortsgemeinde hinaus“, sagte er.  

„Ich empfehle immer, dass alle meine Schwestern und Brüder im bischöflichen Amt gute und fachkundige Beraterinnen und Berater an ihre Seite holen, damit sie ihr Wissen und ihre Haltungen im vertrauensvollen Austausch mit diesen genauer entwickeln können“, erklärte July mit Blick auf die vielen verschiedenen Zuständigkeitsbereiche, die vielen verschiedenen Publikumsgruppen und die komplexen gesellschaftlichen Themen, mit denen sich bischöfliche Personen befassen müssen. Darüber hinaus sei Kommunikation – das Sprechen mit unterschiedlichen Parteien und das genaue Zuhören – ein entscheidender Aspekt in allen Arbeitsbereichen.  

July berichtete, der Dialog habe in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle gespielt – so zum Beispiel der Dialog mit ökumenischen Partnern und die Verhandlungen im politischen Raum, vor allem aber im Zusammenhang mit dem Einheitsamt.   

Bei der Einheit innerhalb einer Kirche ginge es „nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner“, sondern „um die in der erlösenden Rechtfertigung durch Jesus Christus liegende Wahrheit des Evangeliums und die Folgen für unser jeweiliges Leben und unser Zusammenleben“, erläuterte July.   

„Das Einheitsamt ist eine große Aufgabe“, sagte er. Die Einheit der einen Kirche trotz der verschiedenen Auslegungen des Evangeliums und der verschiedenen Anschauungen diesbezüglich zu bewahren und die Grenzen zu erkennen, sei nicht einfach.   

Auch das Streben nach umfassenderer Einheit der Kirche Jesu Christi sei eine Aufgabe und Herausforderung, so July. „Insbesondere im ökumenischen Dialog sind wir aufgerufen, einerseits unsere theologischen Erkenntnisse und Standpunkte nicht zu verschleiern, sie klar zu benennen, und uns andererseits gleichzeitig aber neuen Erfahrungen und Erkenntnissen nicht zu verschließen.“  

Das Einheitsamt „verlangt viel Zeit, braucht viel Austausch, theologische Forschung und Gebete“, sagte July abschließend.  

Kontextabhängige und übergreifende Herausforderungen  

In den Gesprächen der neu gewählten Kirchenleitenden wurde viele Punkte aus Julys Vortrag aufgegriffen und um neue kontextabhängige Blickwinkel der Teilnehmenden ergänzt.  

Viele Kirchen stünden in Konkurrenz zu Pfingstbewegungen und anderen Religionen; viele seien mit irreführenden Theologien konfrontiert, während andere nur eine kleine Minderheit darstellten. Unter solchen Vorzeichen ökumenische Dialoge zu führen, erweise sich als schwierig.  

Einige Kirchenleitende berichteten, dass ihnen die Erfahrung Mut gemacht hätte, dass es eine große Wirkung gehabt habe, wenn sie für Menschen in Krisensituationen „da gewesen“ seien, auch wenn sie sich in den Situationen selbst ziemlich machtlos gefühlt hätten. Die Tatsache, dass sich die Menschen wahrgenommen fühlten und ihre Situation gewürdigt wurde, habe ihnen geholfen, besser mit der Situation klarzukommen.  

In Bezug auf die persönliche Ebene berichteten verschiedene Teilnehmende von der Unterstützung und Kraft, die sie von ihren Familien erhielten. Gleichzeitig hätten viele von ihnen aufgrund der vielfältigen Aufgabenbereiche wenig Zeit für die Menschen, die ihnen am nächsten stehen.  

Als sehr wertvoll hat sich erwiesen, dass sich die neu gewählten Kirchenleitenden eine Auszeit von ihrer Kirche und ihren tagtäglichen Aufgaben genommen haben, um an der RoNEL teilzunehmen und sich zusammen mit anderen Kirchenleitenden Gedanken über genau diese Herausforderungen zu machen. Auch in den Tagen in Wittenberg waren Zeit für Gottesdienst und das Zusammensein mit anderen Kirchenleitenden ein wichtiges Element.  

Auf dem Programm dort stand zudem der Besuch eines Sonntagsgottesdienstes in der Schlosskirche, an deren Türen Martin Luther vor mehr als 500 Jahren seine 95 Thesen nagelte und damit die Reformation anstieß.

LWF/A. Weyermüller