Italien: Ort für Dialog und spirituelle Freundschaften

9. Feb. 2024

Pfarrer Michael Jonas berichtet über seinen Weg von der Ordination im Schwarzwald zur Leitung der lutherischen Gemeinde im Herzen von Rom.

Pfarrer Michael Jonas (r.), Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom

Pfarrer Michael Jonas (r.), Pfarrer der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Rom, Italien, mit dem Assistierenden Generalsekretär für ökumenische Beziehungen des LWB, Dirk Lange. Foto: CatholicPressPhoto/A. Giuliani

Der deutsche Pfarrer Michael Jonas leitet die Evangelisch-Lutherische Gemeinde in Rom  

(LWI) - Seit mehr als einem Jahrhundert ist die Christuskirche im Stadtzentrum von Rom Heimat für eine internationale Gemeinde von Lutheranerinnen und Lutheranern, die in der Ewigen Stadt leben und arbeiten. Anlässlich des 500. Jahrestages der Geburt Martin Luthers 1983 besuchte Papst Johannes Paul die Kirche. Auch seine Nachfolger, der deutsche Papst Benedikt und der jetzige Papst Franziskus, waren zum Gebet und zur Begegnung mit der Gemeinde bereits hier. 

Die Pflege guter Beziehungen zwischen lutherischen und katholischen Gläubigen ist jedoch nur ein Teil der Arbeit dieser kleinen, aber lebendigen Gemeinde, die derzeit von dem deutschen Pfarrer Michael Jonas geleitet wird. Das ganze Jahr über heißt die Kirche sonntags lutherische Kirchenleitende aus Skandinavien, afrikanische oder asiatische Familien, die ein Baby taufen lassen wollen, oder Reisegruppen aus den USA willkommen, wenn sie einen Ort mit vertrauter lutherischer Liturgie und Musik suchen. 

Neben der Ökumene und der Liturgie bietet die Kirche auch praktische und seelsorgerische Unterstützung für Obdachlose und Migrantinnen mit kleinen Kindern an. Die diakonische Arbeit vor Ort zu begleiten und gleichzeitig Teil der weltweiten lutherischen Familie zu sein, empfindet Pfarrer Jonas als „Privileg“. 

Können Sie etwas über Ihre Herkunft erzählen und woher Ihr Interesse an der Ökumene kommt? 

Ich bin im Schwarzwald geboren und aufgewachsen. In diesem Teil Deutschlands sind wir etwa zur Hälfte evangelisch und zur Hälfte katholisch, so dass ich von Anfang an katholische Freunde und Mitschüler hatte. Nach der Schule habe ich in Tübingen studiert, aber auch ein Jahr in Rom an der Päpstlichen Universität Gregoriana und an der dortigen Theologischen Fakultät der Waldenser verbracht. 

Nach Ihrer Ordination haben Sie auch in Tübingen gearbeitet, richtig? 

Ich wurde 2007 ordiniert und verbrachte meine ersten vier Jahre an der Universität, wo ich als Dozent und als Assistent in der Studierendenseelsorge tätig war. Kurze Zeit später, 2011, kehrte ich nach Rom zurück und arbeitete diesmal am Melanchthon-Zentrum. 

Erzählen Sie uns bitte etwas mehr über die Arbeit dieses Zentrums. 

Das Melanchthon-Zentrum ist ein wichtiges ökumenisches Studienzentrum, das 2002 von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien und der Theologischen Fakultät der Waldenser gegründet wurde. Die evangelischen Kirchen Deutschlands und der Schweiz haben es gegründet, um evangelischen Studierenden aus verschiedenen Ländern die Möglichkeit zu geben, in Rom zu studieren und mehr über die römisch-katholische Kirche zu erfahren. 

Die meisten Studierenden sind deutschsprachig, aber wir versuchen, den Studiengang internationaler zu gestalten. Wir bieten Unterkunft und Italienischunterricht für etwa zehn Studierende pro Jahr, damit sie aus dem reichhaltigen theologischen Kursangebot der katholischen Universitäten in Rom wählen können. Sie schließen Freundschaften mit italienischen Katholikinnen und Katholiken, lernen aber auch andere Studierende aus der ganzen Welt kennen.  

Rev. Michael Jonas, pastor of the Evangelical Lutheran community in Rome. Photo: Private

Pfarrer Michael Jonas. Foto: Provat

Seit 2018 sind Sie Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rom. Erzählen Sie uns etwas über diese Gemeinde. 

Eine lutherische Gemeinde gab es in Rom schon vor über 200 Jahren, und zwar seit ihrer Gründung durch Diplomaten der preußischen Botschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Unsere Kirche wurde erst hundert Jahre später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gebaut und 1922 eingeweiht, auch wenn der romanische Baustil sie noch älter erscheinen lässt. 

Die Gemeinde hat etwa 500 Mitglieder. Etwa ein Drittel davon sind aus Italien, ein Drittel sind im Ausland lebende Personen, die für einige Jahre in Rom arbeiten, viele ältere deutsche Frauen sind mit Italienern verheiratet. Bei uns wird etwa 80 Prozent der Zeit Deutsch gesprochen, aber wir haben auch Gottesdienste auf Italienisch und einige Veranstaltungen auf Englisch.  

Wir haben oft Besuch von Touristinnen und Touristen oder Menschen aus anderen Ländern, die sich taufen oder trauen lassen wollen oder einfach nur auf der Suche nach einer lutherischen Identität in Rom sind. Wir versuchen, allen Gästen das Gefühl zu geben, dass sie dazugehören. Sie sagen uns oft, dass die Musik und die Abendmahlsliturgie internationale Sprachen sind, in denen sie sich willkommen fühlen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Muttersprache. 

Sie organisieren auch andere Aktivitäten wie etwa Diakonieprojekte, nicht wahr? 

Ja, wir veranstalten seit einigen Jahrzehnten in unserem zentralen Stadtteil mittwochs ein Frühstück für Obdachlose. Dabei versorgen ehrenamtliche Helferinnen rund 80 Stammgäste mit Frühstücks- und Lunchpaketen; auch während der Pandemie gelang es uns, dieses Angebot aufrechtzuerhalten.  

Ein weiteres Projekt, das seit vielen Jahren läuft, ist ein Raum für afrikanische Migrantinnen mit kleinen Kindern, die hierherkommen, um sich auszutauschen und ein paar Kleidungsstücke für ihr Kind oder andere dringend benötigte Dinge zu erhalten. Etwa 40 bis 50 Frauen kommen regelmäßig. Für sie ist das ein wichtiger, geschützter Raum, in dem sie offen über ihre Probleme sprechen können. Unsere Frauen betreuen es, und ich selbst möchte mich auch möglichst nicht einmischen, aber ich bin sehr stolz auf ihre Arbeit. 

Der ökumenische Dialog ist ebenfalls ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit - die Gemeinde hatte ja schon Besuch von drei Päpsten: 1983, 2010 und 2015. 

Ja, da ich derzeit der einzige lutherische Pfarrer in Rom bin, werde ich zu vielen Treffen und Veranstaltungen eingeladen. Ich treffe mich regelmäßig mit Kardinal Koch vom Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen, und wir sprechen über verschiedene Themen und er fragt mich um Rat. Ich denke, gute persönliche Beziehungen sind die Grundlage für jeden ökumenischen Fortschritt. Ich möchte dazu einen Teil beitragen, indem ich solche spirituellen Freundschaften pflege und einen Ort schaffe, an dem unsere Fortschritte beim Dialog gelebt werden können.  

Ich war bei diesen Papstbesuchen zwar noch nicht Gemeindepfarrer, aber unsere Mitglieder erzählen immer noch davon. Sie waren ein starkes Zeichen für unsere Gemeinde und haben die Rolle unserer Gemeinde verändert, weil andere Kirchen mehr über uns erfahren haben. Auch politisch öffneten sich dadurch Türen und es entstand eine große Offenheit - die Leute haben gesagt, wenn selbst der Papst dorthin geht, dann können diese Lutheraner ja nicht so gefährlich sein!  

Fühlen Sie und Ihre Gemeindemitglieder sich mit der großen Gemeinschaft der lutherischen Kirchen verbunden? 

Ja. Auch wenn jede Kirchengemeinde immer etwas dazu neigt, sich nach innen zu kehren, muss unsere Gemeinde internationaler sein, weil wir Menschen aus der ganzen Welt empfangen. Lutherische Bischöfinnen und Bischöfe, die den Vatikan besuchen, kommen oft sonntags in unseren Gottesdienst. Unsere Gemeinde ist es also gewohnt, Besucherinnen und Besucher aus Afrika, Asien, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern zu empfangen. Wir sind eine kleine Kirche, aber wir haben das Privileg, das weltweite Luthertum erfahren zu können, und als Pfarrer genieße ich das ebenfalls. 

LWF/P. Hitchen