Indonesien: Dringender Ruf nach Religionsfreiheit

11. Dez. 2015
In einer im Oktober 2015 niedergebrannten indonesischen Kirche haben zwei Kreuze die Zerstörung überdauert. Foto: LWB Indonesien

In einer im Oktober 2015 niedergebrannten indonesischen Kirche haben zwei Kreuze die Zerstörung überdauert. Foto: LWB Indonesien

Lutherische Gemeinden suchen Verbündete gegen Diskriminierung von ChristInnen

Aceh (Indonesien)/Genf, 10. Dezember 2015 (LWI) – Die Klage einer Mutter gibt dem Schmerz ein Gesicht, den religiöse Intoleranz in einem Land wie Indonesien verursacht, in dem vielfältige religiöse Traditionen beheimatet sind.

„Wir leben schon seit vielen Jahren in Frieden, warum müssen wir jetzt zuschauen, wie unsere Kirchen niedergebrannt und zerstört werden?“, fragte sie im Gespräch mit einem Team des indonesischen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (LWB), das den Regierungsbezirk Aceh Singkil in Nordsumatra besuchte.

Die 20.000 ChristInnen in Aceh Singkil haben Angst, ihren Glauben zu praktizieren, obwohl die Verfassung Religionsfreiheit garantiert und das Land seine religiöse Vielfalt international gerne als beispielhaft präsentiert.

Am 13. Oktober setzten 1.000 AnhängerInnen der extremistischen islamischen Jugendorganisation Pemuda Peduli Islam (PPI) ein Gotteshaus der Indonesischen Christlichen Kirche (HKI) in Brand und griffen Angehörige der nahegelegenen Gemeinde der Christlich-Protestantischen Pakpak Dairi-Kirche (GKPPD) an.

Im Verlauf der Gewalttätigkeiten wurde ein Muslim getötet. Die Spannungen verschärften sich weiter, als einem Mitglied der GKPPD der Mord zur Last gelegt wurde. In der Folge flohen 7.000 ChristInnen in die umliegende Region. Die Regierung überzeugte sie nach vier Tagen, nach Hause zurückzukehren.

Eine Woche vor dem Zwischenfall hatte die extremistische Gruppe die Regierung aufgefordert, Gesetze durchzusetzen, die die Zahl von Gotteshäusern in einem Gemeinwesen auf eine Kirche und vier weitere Kapellen begrenzt. Diese Gesetze stehen jedoch im Widerspruch zu 1979 und 2001 getroffenen Vereinbarungen.

ChristInnen seit Generationen

Kirchen und zivilgesellschaftliche Organisationen beklagen, die Regierung hätte die Entwicklung vorhersehen müssen. Sie habe offensichtlich ignoriert, welche Folgen die Einschränkung der Religionsfreiheit der ChristInnen haben würde.

„Die Regierung muss gewusst haben, dass sich Zwischenfälle dieser Art ereignen würden, warum hat sie sie also nicht verhindert?“, fragte Pfr. Tulus Hutagalung von der HKI.

Schon lange bevor Indonesien 1945 seine Unabhängigkeit erlangte, gehörten die Kirchen zu Aceh Singkil. In Gebieten, die vorrangig christlich geprägt sind, haben sie bis heute zentrale Bedeutung.

Dem Team des Nationalkomitees berichteten Mitglieder der GKPPD, dass ihre Ahnen vor 100 Jahren aus Singkil gekommen seien. „Ich gehöre zur dritten christlichen Generation meiner Familie“, erklärte etwa der 59-jährige Tumanggor den BesucherInnen an dem ebenso alten Familiengrab.

Strenge Gesetze

Singkil gehört zur Provinz Aceh. Sie geniesst Autonomie und unterliegt der Scharia, seit die Regierung und die Bewegung Freies Aceh (GAM) 2005 in Helsinki ein Friedensabkommen unterzeichnet haben. Weder das Abkommen noch die Scharia erlauben jedoch die Diskriminierung anderer Religionen.

Die ChristInnen in Singkil können seit den Übergriffen am 13. Oktober und dem Abriss von neun weiteren Kirchen durch die Regierung, der wenige Tage später vorgenommen wurde, nur noch eingeschränkt Gottesdienst feiern. Die Regierung war auf das Beitreiben islamischer Organisationen tätig geworden, die behaupteten, Kirchengebäude in Aceh Singkil, die keine ausdrückliche Genehmigung durch die Regierung vorweisen könnten, seien illegal.

Das Menschenrechtsbüro des indonesischen LWB-Nationalkomitees stellt dazu fest, es sei schwierig für Kirchen, Baugenehmigungen zu erhalten. Eine Verordnung von 2006 verlangt 90 Unterschriften von Mitgliedern der antragstellenden Kirche und 60 weitere von VertreterInnen anderer Religionen oder Kirchen.

Kirchengebäude finden sich in den Gebieten, wo die Bevölkerungsmehrheit dem Christentum angehört. „Wie sollen wir dieser Vorgabe entsprechen, wenn die verlangten 60 Unterschriften nicht zusammenkommen? Das Gesetz ergibt vor dem Hintergrund der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, wie sie in der indonesischen Verfassung verankert ist, keinen Sinn“, betonte Bischof Elson Lingga von der GKPPD.

Im Ergebnis haben die ChristInnen aus den neun in Aceh Singkil abgerissenen Kirchen keinen Ort, wo sie Gottesdienst feiern können. Sie dürfen an den Abrissorten auch keine Zelte aufstellen oder den Gottesdienst in ihren Häusern abhalten. Polizei und Militär gewähren ihnen keinen Zugang zu den betroffenen Grundstücken.

Das Nationalkomitee des LWB in Indonesien, dem die 13 indonesischen LWB-Mitgliedskirchen angehören, hat Teams zur Traumaberatung entsandt, die die betroffenen Gemeinden weiter begleiten. Darüber hinaus hat es andere Kirchen und zivilgesellschaftliche Organisationen aufgerufen, die Kirchen bei ihrer Lobbyarbeit für die Freiheit der Religionsausübung und bei den entsprechenden juristischen Schritten zu unterstützen.

Ein Beitrag von Fernando Sihotang, Nationalkomitee des LWB in Indonesien.