Hoffnung gegen Bandengewalt

11. Mär. 2016
María diskutiert in ihrer Gemeinde über Frauenrechte. Zum Schutz vor Bandengewalt muss die junge Frau anonym bleiben. Foto: LWB/B. Platero

María diskutiert in ihrer Gemeinde über Frauenrechte. Zum Schutz vor Bandengewalt muss die junge Frau anonym bleiben. Foto: LWB/B. Platero

(LWI) – Marías (Name geändert) Leben gleicht dem Versuch, auf Treibsand ein Haus zu bauen – die fast aussichtslose Anstrengung, Stabilität zu schaffen in einer Welt, die Menschen ständig aufs Neue entwurzelt und das Wenige zerstört, das sie sich mühevoll aufgebaut haben. Aber die 25-Jährige hat noch nicht aufgegeben und endlich auch einen Partner gefunden, der sie unterstützt: den Lutherischen Weltbund (LWB).

María gehört zur Christlich-Lutherischen Kirche Honduras‘ und ist Teilnehmerin des LWB-Jugendprojekts „Aufbau ökumenischer Leitungskompetenz in Mittelamerika“. Ziel des Projekts ist die Stärkung junger MittelamerikanerInnen in im religiösen Bereich beheimateten Organisationen durch die Vermittlung von Kompetenzen für die Übernahme von Führungsverantwortung in ihrem jeweiligen Umfeld.

Mutter mit 14

Marías Geschichte gleicht der vieler junger Frauen in Mittelamerika. Sie wuchs ohne ihre Mutter auf, die in die Vereinigten Staaten ging, nachdem sie in Honduras arbeitslos geworden war. Dort suchte sie sich eine Arbeit, um ihre Familie zu unterstützen. María lebte bei ihrem Vater und seiner Familie. Mit 14 wurde sie schwanger, ein Schicksal, das sie nach UNICEF-Statistiken mit jeder vierten Heranwachsenden in ihrem Land teilt. Auch der Vater ihres Kindes war minderjährig. Sie wurde an eine spezielle staatliche Schule versetzt, wo sie während ihrer Schwangerschaft abends den Unterricht besuchte.

Nach einer Risikoschwangerschaft brachte sie ihre Tochter Mayriane zur Welt und ging weiter zur Schule – wieder am Abend, diesmal mit einem Säugling auf dem Schoss. „Die Kleine hat die Flasche nicht genommen, also musste ich im Unterricht stillen. In meinem neunten Schuljahr habe ich sie die ganze Zeit dabeigehabt“, erzählt María. Danach verliess sie die Schule und suchte sich Arbeit. Sie wollte unabhängiger sein und selbst für ihr Baby sorgen können.

Die Arbeitslosigkeit in Honduras ist extrem hoch, aber María fand Jobs. Sie arbeitete einige Jahre lang in vielerlei schlecht bezahlten Arbeitsstellen – sie war als Verkäuferin tätig, machte mit Hacke und Machete Land urbar und fegte die Strassen der Hauptstadt Tegucigalpa. Schliesslich schaffte sie es, auf eigenen Füssen zu stehen, mit dem Vater ihrer Tochter in eine eigene Wohnung zu ziehen und im Alter von 22 Jahren den Schulabschluss zu machen. Aber es dauerte nicht lange, bis ihrer Familie der Boden wieder unter den Füssen weggezogen wurde.

Zerbrochene Familie

María besuchte die Familie ihrer Mutter, als ein Anruf einer Mara, einer Bande aus der Nachbarschaft, kam. Die Maras sind ein Phänomen der Region, treten insbesondere in Honduras und El Salvador auf, wo sie das Oberste Gericht als „terroristische Gruppen“ eingestuft hat. Die Familie von Marías Mutter lebte in Comayagüela, wo es Konflikte zwischen rivalisierenden Maras gibt, und fand sich plötzlich zwischen den Fronten.

„Sie meinten, meine Familie hat Geld, weil wir viele Verwandte in den USA haben“, erinnert sich María. Es folgte ein Alptraum. Die Bandenmitglieder drohten mit Gewalt, bis die Familie schliesslich in eine andere Stadt zog, um ihr Leben zu retten. „Alles, was wir besassen, ist in diesem Haus zurückgeblieben. Meine Familie hat nur die Kleider mitgenommen, die sie am Leib trugen“, berichtet María.

Als die Bandenmitglieder Marías ursprünglich ins Visier geratene Grossfamilie nicht mehr finden konnten, richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf María und andere Angehörige, die schliesslich gezwungen waren, das Land zu verlassen und nach Guatemala zu ziehen. Ein Cousin versuchte mehrfach vergeblich, in die USA auszuwandern. María ihrerseits plante, illegal nach Mexiko auszureisen. „Ich hatte nicht den Mut, illegal über die Grenze zu gehen, also bin ich in Guatemala geblieben“, erklärt sie. „Ich habe alle meine Träume, Pläne und Pflichten in Honduras gelassen, besonders meinen Partner und meine Tochter.“

María konnte die Folgen nicht vorhersehen. Die Fernbeziehung mit dem Partner ging in die Brüche. „Meine Familie war unwiederbringlich zerstört“, erzählt sie. „Ich musste mehrfach umziehen, weil ich immer noch keine Arbeit habe, die mir finanziell ein Auskommen ermöglicht.“ Sie kehrte nach Honduras zurück und war nun wieder mit ihrer Tochter vereint. Aber ohne einen Partner, der zum Familieneinkommen beiträgt, leben die beiden nun wieder bei der Familie ihres Vaters.

Leben, Würde und Gerechtigkeit

Was zunächst als extrem unglückliche Verkettung von Umständen erscheint, ist für viele junge Menschen in Mittelamerika traurige Realität. Armut, schlechte medizinische Versorgung, fehlende Schulbildung und die allgegenwärtige Bandenkriminalität haben zur Folge, dass tausende junge Leute jährlich ihr Zuhause verlassen müssen. Unter ihnen sind viele junge Männer, die versuchen, sich der Zwangsrekrutierung durch die Maras zu entziehen und in die USA zu gehen. Ein grosser Teil von Ihnen wird von der dortigen Einwanderungspolizei aufgegriffen und abgeschoben. Zurück in der Heimat, stürzen sie sich in schlecht bezahlte Jobs, alles, nur um möglichst schnell genug für einen neuen Versuch zu verdienen.

Honduras hat die weltweit höchste (gewaltsame) Todesrate in einem Nicht-Kriegsgebiet. Die Gewalt zerstört die Familien, die doch einer der letzten Faktoren sind, der Stabilität schafft in einem Land, wo andere Gemeinschaftsstrukturen bereits am Boden liegen. Das LWB-Projekt „Leben, Würde und Gerechtigkeit für die Menschen Mittelamerikas“ will diese Strukturen wieder stabilisieren, indem es die junge Generation in ihrer Selbstbestimmung fördert und stärkt.

Aktuell engagiert sich María gemeinsam mit anderen jungen Leuten dafür, eine Kirchengemeinde in Tegucigalpa wiederaufzubauen, die von Banden angegriffen wurde. María selbst ist Mitglied der Christlich-Lutherischen Kirche Honduras‘ (ICLH) und weiss die Unterstützung, die das Mittelamerika-Programm der Abteilung des LWB für Weltdienst leistet, sehr zu schätzen. „Vom ersten Tag dieses Projekts an, habe ich Unterstützung erfahren bei der Durchführung von Projekten, Aufgaben oder Plänen mit jungen Leuten aus unserem Land und unserer Kirche“, betont sie. „Wir fühlen uns einbezogen und spüren Rückendeckung für richtig gute Ideen und Projekte mit den Mitteln, die wir bereits haben.“

Das Projekt mit jungen Menschen läuft in den vier mittelamerikanischen Ländern Honduras, Guatemala, Nicaragua und El Salvador. „Ich hoffe, diese Initiative gibt der jungen Generation in Honduras wieder Mut“, schliesst María. „Wir haben viel zu geben, aber wir brauchen Unterstützung.“

Ein Beitrag von Zoraya Urbina (LWB-Mittelamerika), Redaktion: LWB-Kommunikation.

Zoraya Ubina (LWF Central America) and Cornelia Kästner (LWF Communications)