Eine geistliche Gemeinschaft

4. Jul. 2014
Dr. Jennifer Wasmuth. Foto: Kenneth Appold.

Dr. Jennifer Wasmuth. Foto: Kenneth Appold.

Lutherisch-orthodoxer Dialog zur Frauenordination

(LWI) – Vom 8.-13. Mai 2014 trafen sich die Joint Commission für den theologischen Dialog zwischen dem Lutherischen Weltbund (LWB) und der Orthodoxen Kirche in Tallinn, Estland. Das Treffen fand auf Einladung des LWB und der estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche im Brigettine-Kloster in Pirita statt. Es dient der Vorbereitung auf die 16. Plenarsitzung der Kommission. Thema des Treffens war die Frauenordination. Im Interview spricht Dr. Jennifer Wasmuth, Theologin an der Humboldt-Universität Berlin, über gemeinsame und kirchentrennende Standpunkte und den Unterschied zwischen allgemeinem und besonderem Priestertum.

Warum haben Sie ein so kontroverses Thema für Ihre Diskussion gewählt?

Unser Dialog mit den Vertretern der orthodoxen Kirchen war von Beginn an bestimmten Themen gewidmet, und eines davon ist die Amtsfrage. Nachdem wir bei früheren Gesprächen in Sibiu festgestellt haben, dass die Frauenordination dabei ein wichtiger Aspekt ist, haben wir uns darauf verständigt, diese brisante Frage in einem eigenen Vorbereitungstreffen zu behandeln.

Wo liegen die größten Differenzen in der Frage der Frauenordination?

Der einfache und entscheidende Unterschied besteht darin, dass die Frauenordination in den orthodoxen Kirchen nicht anerkannt, in den meisten lutherischen Kirchen hingegen nicht nur anerkannt, sondern auch praktiziert wird.

Wie wird diese Tatsache begründet?

Das ist die eigentlich interessante Frage. Auch nach orthodoxem Verständnis wurden Mann und Frau gleich geschaffen, das hat der Dialog in Tallinn gezeigt. Man findet zwar auf orthodoxer Seite auch andere Ansichten, Metropolit Isaias hat sich in seinem Referat aber ausdrücklich davon abgegrenzt.

Im Grunde genommen geht es um verschiedene Amtsverständnisse: Die orthodoxen Kirchen unterstreichen die Heiligkeit des Amtes. Es wird von geweihten Priestern ausgeübt, und diese sind Nachfolger der von Christus berufenen zwölf Apostel – alles Männer. Die lutherischen Kirchen berufen sich auf das Priestertum aller Getauften. Zwar hat auch bei uns das von Gott eingesetzte Amt eine besondere Stellung, aber es steht prinzipiell allen, Männern und Frauen, offen. Beide Kirchen, orthodox und lutherisch, haben also ein allgemeines und ein besonderes Priestertum. Nur werden die beiden Amtsverständnisse auf orthodoxer Seite einander gegenübergestellt, während auf lutherischer Seite das eine aus dem anderen abgeleitet bzw. von ihm her verstanden wird.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte für einen Dialog?

Ich sehe zwei unterschiedliche Ansatzpunkte: Der erste betrifft das Verständnis des allgemeinen und besonderen Priestertums, das in beiden Konfessionen vorhanden ist.

Hier wäre von orthodoxer Seite noch einmal genauer darzulegen, warum das besondere Priestertum nicht mit Frauen besetzt werden darf. Im Gespräch in Tallin wurde hier auf das historische Faktum verwiesen, dass nur Männer als Apostel berufen worden sind. Dogmatisch wurde mit dem Verhältnis von Christologie und Theotokotologie (der Lehre von Maria als der Gottesgebärerin) argumentiert. Mir erscheinen beide Argumente erläuterungsbedürftig: Warum wird allein das Geschlecht zur Bedingung gemacht wird, um heute im Apostelamt nachzufolgen? Für Paulus und die zwölf Apostel war es genauso wesentlich, dass sie jüdischer Herkunft waren. Dogmatisch wäre zu fragen, ob durch Christus und die Gottesmutter das Geschlechterverhältnis von Adam und Eva nicht grundsätzlich verändert wurde. In Tallinn haben wir zudem nicht über das gesprochen, was m.E. auch im Hintergrund der orthodoxen Auffassung steht, nämlich ein alttestamentliches Verständnis des Priestertums und der damit verbundene Gedanke kultischer Reinheit.

Von lutherischer Seite müssten wir klären, warum die historische Tatsache, dass nur Männer als Apostel ausgesandt wurden, für uns heute keine Rolle mehr spielt.

Wir müssten dazu darlegen, was nach lutherischem Verständnis das Wesen des Apostelamtes ausmacht. Auch sollten wir deutlich machen, dass im Unterschied zu den damaligen „heidnischen“ Religionen, in denen es auch Priesterinnen gab, wohl nur deshalb Männer in das Apostelamt berufen wurden, weil die frühen christlichen Gemeinden jüdischer Herkunft waren.

Der zweite Ansatzpunkt besteht im Amt der Diakonin: Hier haben wir in Tallin ein Referat von Vater Chrysostomus gehört, in dem erklärt wurde, dass der historische Befund keineswegs so eindeutig ist. Hier müssen wir das historische Wissen auf beiden Seiten vertiefen, denn das altkirchliche Amt der Diakonin als sakrale Weihe einer Frau scheint am ehesten Berührungspunkte mit dem lutherischen Verständnis der Frauenordination zu bieten.

Was war das Ergebnis des Dialogs?

Das Ergebnis des Gespräches in Tallinn war einerseits ernüchternd, inhaltlich ist eine Annäherung schwierig. Die Frage der Frauenordination wird umindest von der orthodoxen Seite als eine der kirchentrennenden Fragen angesehen. Nicht einmal eine bekräftigende Aussage in Hinblick auf die Wiederherstellung des altkirchlichen Amtes der Diakonin wurde von orthodoxer Seite gewagt. Wie schon früher wurde das von orthodoxer Seite mit der kulturellen und sozialen Situation in den eigenen Kirchen begründet. Ich denke, wir müssen auf lutherischer Seite überlegen, ob unter dieser Voraussetzung überhaupt Fortschritte im Dialog zu erwarten sind.

Andererseits war es eine ausgesprochen freundliche, geradezu familiäre Begegnung zwischen Vertretern beider Kirchen. Dabei hat der »kirchentrennende Faktor« der Frauenordination keine Rolle gespielt, nicht einmal für die orthodoxe Teilnahme an der Morgenandacht am Samstag und dem lutherischen Gottesdienst am Sonntag, wo jeweils Frauen den »Priesterdienst« versehen haben. So konnte eine, wenn nicht kirchliche, so doch geistliche Gemeinschaft erlebt werden, die für die Begegnung in Tallinn meinem persönlichen Eindruck nach entscheidend war. Im Dialog zwischen LWB und Panorthodoxie müssen wir überlegen, wie wir diese ökumenischen Erfahrungen zukünftig in die orthodoxen und lutherischen Kirchen hinein vermitteln können.

Auf welche Einigung hoffen Sie bei der 16. Plenary Joint Commission?

Ich hoffe, dass wir von lutherischer Seite in der Lage sein werden, unsere Position – unter Einbeziehung der orthodoxen Argumentation – noch klarer und verständlicher darzulegen. Außerdem hoffe ich, dass wir die eben erwähnte geistliche Gemeinschaft, die unsere letzten Begegnungen ausgezeichnet hat, auch bei größerer Teilnehmerzahl wieder erleben werden.