„Alarmierende Situation“

24. Jul. 2017
Susan Muis (Mitte), regionale LWB-Programmkoordinatorin für ZAR, DRK und Tschad, berichtet im Rahmen eines NGO-Briefings im Palais des Nations. Foto: LWB/Peter Kenny

Susan Muis (Mitte), regionale LWB-Programmkoordinatorin für ZAR, DRK und Tschad, berichtet im Rahmen eines NGO-Briefings im Palais des Nations. Foto: LWB/Peter Kenny

Krisenlage in Zentralafrika Thema von Briefing für UN-Mitgliedstaaten

(LWI) Im Jahr 2016 galt die Zentralafrikanische Republik (ZAR), in der die Hälfte der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen ist, als weltweit gefährlichster Einsatzort für Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Dies berichtete Susan Muis, regionale Programmkoordinatorin der Abteilung für Weltdienst des Lutherischen Weltbundes (LWB).

Muis und Vertreterinnen und Vertreter anderer internationaler NGOs lieferten diese und weitere wesentliche Informationen anlässlich eines Briefings für Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen unter dem Titel „Vergessene Krisen in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR)“, das am 11. Juli im Palais des Nations in Genf stattfand.

Der International Council of Voluntary Agencies (ICVA) hatte gemeinsam mit einer Gruppe von NGOs in Genf den LWB, Save the Children, Action Contre la Faim, CARE und das INGO Forum zu dem Briefing eingeladen, das über die konkrete Situation in den Krisenländern informieren sollte.

Die Rednerinnen und Redner anderer Organisationen äußerten sich sehr besorgt über das menschliche Leid in der kongolesischen Kasai-Region sowie die Situation im Osten der ZAR, während Susan Muis eingehend über die Arbeit des LWB im westlichen Teil der ZAR berichtete. Zwar ist der Zugang für die Hilfeorganisationen hier einfacher als im östlichen Teil des Landes, aber die Region bleibt doch ein schwieriger und extrem gefährlicher Einsatzort.

Vernachlässigte Krisen

In der Zentralafrikanischen Republik lassen die unmittelbar erforderlichen lebensrettenden Maßnahmen fast keinen Raum für langfristige Hilfsprojekte und strategische Entwicklung. Dies ist für eines der ärmsten Länder der Welt ein großes Problem. Muis wies ausdrücklich darauf hin, dass unbedingt in langfristige Lösungen investiert werden müsse. „Der Norwegische Flüchtlingsrat bezeichnet die Lage in der Zentralafrikanischen Republik in seinem aktuellen Bericht als die zurzeit am wenigsten beachtete Krise", stellte Muis fest. „Eine halbe Million Menschen im Land sind völlig entwurzelt, allein dieses Jahr wurden 100.000 Binnenflüchtlinge gezählt. Wir haben es mit einer alarmierenden Situation zu tun.“

Das Land habe eine Bevölkerung von ca. 5 Millionen Menschen, aber zusätzlich zu den Binnenvertriebenen seien etwa 484.000 Menschen als Flüchtlinge in den Nachbarländern registriert, fügte sie hinzu.

Kein Weg zurück

„Aus diesem Grund arbeitet der LWB auch in Kamerun und im Tschad mit Flüchtlingen, die aus der Zentralafrikanischen Republik kommen. Wenn wir mit ihnen über eine Rückkehr in ihre Heimat sprechen, sagen sie uns, dass sie noch nicht wieder zurück wollen, da sie nicht wüssten, was sie dort erwarte und auch die Sicherheitslage zu ungewiss sei. Sie wollen ihre Familien nicht wieder einer so unsicheren Umgebung aussetzen“, erklärte Muis.

Neben der Sicherung der Grundversorgung der Notleidenden im Blick auf Wohnraum und sanitäre Anlagen sucht der LWB auch nach zukunftsfähigen Lösungen und betreibt friedensfördernde Aktivitäten unter Beteiligung der Binnenvertriebenen und der eigesessenen Bevölkerung.

„Wir müssen das Risiko verringern, dass sich die Jugend bewaffneten Gruppen anschließt. Wir arbeiten deshalb mit örtlichen Friedensforen und Kirchen zusammen, damit die Menschen für sich und ihre Familien eine Existenz aufbauen können und auch psychosoziale Hilfe erhalten“, erläuterte Muis. Diese Maßnahmen sind wichtig, um Alternativen zu schaffen und Perspektiven für die jungen Menschen in der Zentralafrikanischen Republik zu eröffnen.

Schwieriges Umfeld

„Da die Regierung nur rund 20 Prozent des Landes kontrolliert, ist es eine große Herausforderung, an Orten, wo humanitäre Hilfe und Entwicklungsarbeit erforderlich sind, tätig zu sein. Es ist sehr gefährlich, an diesen Orten als humanitäre Organisation zu arbeiten“, stellte Muis fest. Das bedeutet, dass mehr Schutz sowohl für die örtliche Bevölkerung als auch für NGOs und andere Akteure erforderlich ist, damit sie ihre Arbeit leisten können.

Muis berichtete, dass es im vergangenen Jahr mehr als 365 gefährliche Zwischenfälle gab, an denen Personal humanitärer Organisationen beteiligt war.

„Eine halbe Million Menschen im Land sind völlig entwurzelt, allein dieses Jahr wurden 100.000 Binnenflüchtlinge gezählt. Wir haben es mit einer alarmierenden Situation zu tun.“ Susan Muis, regionale LWB-Programmkoordinatorin für ZAR, DRK und Tschad

Zwischen September und Dezember 2016 wurden fünf NGO-Mitarbeitende in der ZAR getötet, 24 wurden verletzt, das ist nach Syrien die größte Zahl von Opfern.

Im Hinblick auf die Friedensarbeit und den Aufbau örtlicher Kapazitäten „wäre es schmerzlich, wenn die NGOs ihre Arbeit in der Zentralafrikanischen Republik einstellen müssten“, betonte Muis und unterstrich, dass fast die Hälfte der Bevölkerung in der ZAR auf humanitäre Hilfe angewiesen sei.

Der LWB unterstützt Binnenflüchtlinge und betroffene Gemeinwesen in den Präfekturen Nana-Mambéré, Ouham-Pendé, Mambéré Kadeï und Sangha Mbaéré im Westen und Südwesten des Landes.

Neben der humanitären Hilfe mit den Schwerpunkten WASH (Wasser, Sanitärversorgung, Hygiene), Ernährungssicherheit, Wohnraum und Schutzmaßnahmen führt der LWB auch friedensbildende Maßnahmen für die eingesessene Bevölkerung und die Flüchtlinge durch, um Spannungen zwischen den Menschen abzubauen. Wichtig ist hierbei, den Betroffenen die Chance zu geben, mit eigenem Einkommen ihre Existenz zu sichern und ihre Lebenssituation zu verbessern.

In der DRK unterstützt der LWB durch lokale bewaffnete Konflikte heimatlos gewordene Familien, Heimkehrende und die eingesessene Bevölkerung dabei, die eigene Grundversorgung zu verbessern und so ihre Existenzgrundlagen zu stabilisieren. Der LWB sorgt in erster Linie dafür, dass sich der akute Ernährungszustand der Menschen, ihr Umfeld und die längerfristige Ernährungssicherheit verbessern. Darüber hinaus leisten wir in diesen Gemeinwesen psychosoziale Hilfe für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt.