Tschad: Würze des Lebens im Flüchtlingslager

9. Jul. 2015
Cecile Endamag (re.) mit ihrem Neffen und einer Nachbarin an ihrem Marktstand. Foto: LWB/C. Kästner

Cecile Endamag (re.) mit ihrem Neffen und einer Nachbarin an ihrem Marktstand. Foto: LWB/C. Kästner

Durch Kleinkredite fördert der LWB Existenzgründungen

Gore (Tschad)/Genf, 8. Juli 2015 (LWI) – In ihrem Sortiment findet man Salz, Zwiebeln, Brühwürfel, kleine gelbe Paprika und Speiseöl. Spitze Plastikbeutel mit der gelben Flüssigkeit leuchten in der Nachmittagssonne. Ab und zu kommt Kundschaft und kauft am Marktstand von Cecile Endamag in der tschadischen Flüchtlingssiedlung Gondje eine der kleinen Tüten mit Gewürzen. „Den Leuten hier fehlen die Gewürze“, erzählt sie. „Wir bekommen Getreide und Grundnahrungsmittel, aber nichts, damit es gut schmeckt. Die Gewürze verkaufen sich am besten.“

Endamag ist ein Flüchtling aus der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), von der die Siedlung nur 60 Kilometer entfernt ist. Zuhause hatte sie ein kleines Lebensmittelgeschäft und ihr eigenes, gut bestücktes Lager. „Als der Krieg begann, haben wir uns im Busch versteckt“, erinnert sie sich. „Nach einer Weile wurde das aber zu gefährlich und zu strapaziös, also sind wir geflohen.“

Das Leben wird ein bisschen besser

Endamag hat im Krieg ihren Mann verloren. 2008 kam sie in den Tschad. Vor einem Jahr half ihr der Lutherische Weltbund (LWB) mit einem Darlehen, sich selbständig zu machen. „Ich verdiene nicht viel, aber schon die kleinen Beträge machen das Leben hier ein bisschen besser“, findet Endamag. „Jetzt habe ich das Geld, um Schulmaterialien und Kleidung für meine Kinder und ein paar zusätzliche Lebensmittel zu kaufen.“

Wie sie haben 600 Flüchtlinge aus der ZAR und Bedürftige aus der einheimischen Bevölkerung Darlehen für die Gründung von Kleinunternehmen erhalten. „Wir ermutigen sie, sich zu Gruppen zusammenzuschliessen“, erläutert Marie-Grace Longaye, die beim LWB in Gore für einkommensschaffende Massnahmen zuständig ist. „So bilden die Flüchtlinge Gemeinschaften, organisieren sich und nehmen einander im Idealfall auch in die Verantwortung, wenn es um die Rückzahlung der Kredite geht.“

Endamag und ihre Familie werden von Hilfsorganisationen der Kategorie Langzeitflüchtlinge zugeordnet. Aufgrund immer neuer Konflikte in ihrem Heimatland sind diese Menschen gezwungen, jahre- oder gar jahrzehntelang im Ausland zu leben. Sie bauen für eine längere Bewohnung ausgelegte, strohgedeckte Unterkünfte aus Lehm, betreiben auf einem ihnen vom Gastland zur Verfügung gestellten kleinen Stück Land Ackerbau und warten auf Frieden und Stabilität in ihrer Heimat.

Manche der Flüchtlinge aus der ZAR sind schon seit 2003 da. Ihre Kinder kennen nur die Flüchtlingssiedlung. Die letzte Gruppe kam 2014 dazu, als Anti-Balaka-Milizen gegen den muslimischen Präsidenten der ZAR putschten und einen Krieg gegen die muslimische Bevölkerung anzettelten. Viele dieser neuen Flüchtlinge waren tschadische GastarbeiterInnen in der ZAR. Zwar gelten sie als „Rückkehrende“, aber auch sie haben ihr Zuhause verloren und kommen in ein Land, das ihnen fremd ist.

En Zuhause fern der Heimat

Hilft man Flüchtlingen, ihren eigenen kleinen Betrieb zu eröffnen, geht es also um viel mehr als nur die Erwirtschaftung eines zusätzlichen Einkommens. „Das gibt ihnen wieder einen Lebensinhalt“, erklärt Longaye. „Sie haben Schreckliches erlebt und Angehörige verloren. Viele Frauen haben ihre Ehemänner verloren. Hilft man ihnen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, hilft man ihnen gleichzeitig auch, zu heilen.“

Kleinkreditgruppen sollen Beschäftigung ermöglichen, Stabilität schaffen und neue Gemeinschaft bieten. Am deutlichsten wird das beim „Groupement Garage“. Der Name lässt ahnen, die Gruppe hat mit ihrem Darlehen einen Betrieb eröffnet, der Autos repariert, lackiert, schweisst und sonstige Schlosserarbeiten durchführt. „Wir waren die ersten, die in der Region ein Auto repariert haben“, berichtet Amidou, der Präsident der Gruppe. „Inzwischen bekommen wir Anfragen von Einheimischen aus den umliegenden Ortschaften, die beitreten wollen.“

Der Gruppe gehören Ältere und Jüngere an, sie schöpft aus einer Vielzahl von Talenten. Der jüngste Auszubildende ist Abulai Amadou, ein 15-jähriger Hörgeschädigter. „Seine Mutter brachte ihn zu uns“, erzählt Präsident Amidou. „Aufgrund seiner Hörprobleme kann er nicht zur Schule gehen, deswegen hat sie uns gebeten, ihn auszubilden.“ Das älteste Mitglied der Gruppe ist Mamadou Abu (53) ihr Schatzmeister und inoffizieller Lehrer. „Wir wollten, dass jemand das Geld verwaltet, der alt und weise ist. Wir wenden uns auch an ihn, wenn wir Rat brauchen und für die Ausbildung der Jungen“, erläutert Amidou. „Er hat in der ZAR Lehrlinge ausgebildet.“

„Diese Gruppe hat mir die Möglichkeit gegeben, etwas zu lernen“, stellt Amadou Soufa (22) fest. Als er in der Siedlung ankam, war er ein Jugendlicher ohne Perspektive, seine Schulbildung fortzusetzen. Mitglieder der Gruppe vermittelten ihm Kenntnisse über Autoreparatur und Schlosserei. Inzwischen hat er vor, sich irgendwann selbständig zu machen.

„Es ist wichtig, die jungen Leute auszubilden“, betont Amidou. „Die Situation ist psychisch belastend. Wir sind seit Februar hier. Nach allem, was wir wissen, gibt es keine Hoffnung auf baldige Rückkehr. Wir wollten nicht einfach herumsitzen und nichts tun.“

 

Cornelia Kästner