Syrische Flüchtlinge für harte Wintermonate in der jordanischen Wüste wappnen

1. Okt. 2012
LWB-Präsident Bischof Dr. Munib A. Younan (li.) und LWB-Generalsekretär Pfr. Martin Junge (re.) treffen Nabeel, eines der Kinder, die 52 Prozent der in Za’atri lebenden Menschen ausmachen, Ende September während eines Besuchs im Flüchtlingslager. © LWB/Thomas Ekelund

LWB-Präsident Bischof Dr. Munib A. Younan (li.) und LWB-Generalsekretär Pfr. Martin Junge (re.) treffen Nabeel, eines der Kinder, die 52 Prozent der in Za’atri lebenden Menschen ausmachen, Ende September während eines Besuchs im Flüchtlingslager. © LWB/Thomas Ekelund

LWB fordert Ausweitung der Hilfsmassnahmen, um grundlegende Menschenwürde zu wahren

Der Winter steht vor der Tür. Und auch wenn die brütende Sonne und der trockene Staub Ende September in der jordanischen Wüste bislang noch keine Gnade kennen, so werden sich hier in den kommenden zwei Monaten massive Veränderungen vollziehen. Die 32 Grad Celsius fallen nachts schnell auf Temperaturen unter null und der trockene Staub wird an Regentagen zu Matsch.

Das Flüchtlingslager Za’atri im Norden Jordaniens liegt 70 Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt. Die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die vor den zunehmenden Konflikten im eigenen Land in die Nachbarländer fliehen, hat in den letzten drei Monaten dramatisch zugenommen. Ende September hatte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) 94.716 Menschen in Jordanien registriert, das derzeit die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, gefolgt von der Türkei und dem Libanon.

Die jordanische Regierung hat die „Jordan Hashemite Charity Organization“ (JHCO), die grösste Nichtregierungsorganisation des Landes, mit der Verwaltung des Flüchtlingslagers beauftragt. Das ist eine schwierige Aufgabe, die laut der JHCO nicht ohne internationale Unterstützung zu bewältigen ist.

Fürsorge für Kinder

„Alles was wir besitzen, sind die Kleider, die wir bei unserer Flucht am Leib hatten“, erzählt Mashur, der besorgt seine beiden Söhne betrachtet. „Ich habe nichts, das ich meinen Kindern geben kann, wenn es hier kalt wird.“ Der Zimmermann aus dem südlichen Syrien war vor eineinhalb Monaten nach Za’atri geflohen, nachdem das Militär gedroht hatte, ihn zu töten. „Wir mussten alles zurücklassen, wir haben nichts mehr.“

Zwischen den Reihen schwerer LKW, die jeden Tag eine Million Liter Wasser in das Flüchtlingslager bringen, stehen Hunderte von Zelten, Containern, die als Wohnraum genutzt werden können, und Maschinen; einige Kinder versuchen, Fussball zu spielen. Die meisten von ihnen sind leicht bekleidet, nur wenige tragen Schuhe. Es gibt nicht sehr viel, womit sie sich beschäftigen können, und die Langeweile mündet oftmals in Streit.

Grundlegende Menschenwürde

Der Lutherische Weltbund (LWB), ein Gründungsmitglied des ACT-Bündnisses, hat kürzlich ein Nothilfeprogramm in Za’atri ins Leben gerufen, dessen Ziel es ist, die Kinder mit Kleidung und einem Dach über Kopf zu versorgen, bevor der Winter anbricht. 52 Prozent der Flüchtlinge in dem Lager sind jünger als 18 Jahre.

Gemäss einer Vereinbarung mit der JHCO wird der LWB die Flüchtlinge mit winterfesten Zelten, Containern, die als Wohnraum genutzt werden können, und warmer Kleidung für 10.000 Kinder versorgen. Der Schwerpunkt der Hilfe wird in den kommenden Monaten erweitert werden, um die Flüchtlinge bei der Gründung von gemeinschaftsbezogenen Gruppen im Flüchtlingslager zu unterstützen.

Die LWB-Delegation, zu der LWB-Präsident Bischof Dr. Munib A. Younan und LWB-Generalsekretär Pfr. Martin Junge gehörten, besuchte das Flüchtlingslager in Za’atri am 27. September, um sich persönlich ein Bild von der Situation und der humanitären Hilfe, die die lutherische Gemeinschaft hier leistet, zu machen.

Junge erklärte, er sei beeindruckt, wie eng die verschiedenen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten. Er stellte aber auch fest, wie ernst die Lage ist und dass grosse Anstrengungen erforderlich sind, um die Herausforderungen zu überwinden.

„Wir haben es hier mit einer Notlage zu tun und stehen vor zahlreichen Herausforderungen. Ich habe hier traumatisierte Menschen gesehen, die vor Gewalt flüchten mussten, und ich habe gesehen, wie diese Gewalt bestimmt, wie die Menschen mit der Situation umgehen. 52 Prozent der Menschen hier sind Kinder, denen ein kalter, regnerischer Winter bevorsteht“, sagte er.

„Wir müssen unsere Hilfsmassnahmen gemeinsam ausweiten, damit den Flüchtlingen nicht ihre grundlegende Menschenwürde genommen wird“, fügte Junge hinzu.

Ebenfalls Teil der Delegation waren Pfr. Eberhard Hitzler, Leiter der LWB-Abteilung für Weltdienst (AWD), des humanitären Arms des LWB, sowie Pfr. Mark Brown, Vertreter des Regionalprogramms der AWD im Nahen Osten mit Sitz in Jerusalem.

Auf dem Programm der Delegation standen bis zum 30. September ausserdem ein Besuch des vom LWB betriebenen Auguste Viktoria-Krankenhauses in Ost-Jerusalem sowie Treffen mit führenden VertreterInnen der ökumenischen Bewegung und mit dem palästinensischen Ministerpräsidenten Dr. Salam Fayyad.

Langjährige Erfahrungen in Jordanien

Der LWB verfügt über langjährige Erfahrungen mit Flüchtlingen und anderen Einsätzen in der Region. Ende 1951 war das Jerusalem-Programm mit über 400 Mitarbeitenden einer der grössten Arbeitgeber im Haschemitischen Königreich Jordanien, direkt nach dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und der Regierung selbst.

Als die Region zwischen 1958 und 1962 mit einer Dürre zu kämpfen hatte, bat die jordanische Regierung den LWB, Lebensmittel, vor allem Mehl, an die vom Hungertod bedrohten Beduinengemeinschaften zu verteilen. In drei Jahren wurden rund fünf Millionen Pfund Mehl an über 179.000 Menschen verteilt.

Bis Ende 2012 plant die UN, bis zu 700.000 syrischen Flüchtlingen mit insgesamt 488 Millionen USD zu helfen. 950.000 USD davon trägt der LWB in Jordanien dazu bei. Schätzungen zufolge wird Jordanien bis zum Ende des Jahres 250.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen. Die Regierung gibt die derzeitige Zahl mit 180.000 an. Nicht alle davon seien jedoch schutzbedürftig.

(Für LWI von Thomas Ekelund in Za’atri, Jordanien)