Malaysia: Berufen zum Dienst in der lutherischen Kirche

11. Aug. 2023

In diesem Interview berichtet Bischof Thomas Low von seiner Kindheit in einer nichtchristlichen Familie und seine Berufung ins Pfarramt in der Lutherischen Kirche in Malaysia. Er spricht über seine Prioritäten für diese junge Kirche in einer sich rasch verändernden Gesellschaft. 

Bishop Thomas Low

Bischof Thomas Low bei der Asien-Vorversammlung in Kuala Lumpur. Foto: LWB/Jotham Lee

Im Interview: Bischof Thomas Low über die Rolle der Kirche in einer multireligiösen Gesellschaft 

(LWI) – Zwar waren die Eltern von Thomas Low Kok Chan keine Christen, doch als kleiner Junge wuchs er direkt neben einer lutherischen Kirche in Kuala Lumpur auf. Dort lernte er den Glauben kennen und später, als Teenager, spürte er zum ersten Mal den Ruf, sich für ein geistliches Amt ausbilden zu lassen. 

Ein halbes Jahrhundert später, im Dezember 2021, wurde „Bischof Thomas“ als Oberhaupt der Lutherischen Kirche in Malaysia eingeführt. Die Kirche ist die jüngste der vier lutherischen Kirchen im Land und feiert dieses Jahr ihr 70jähriges Bestehen. 

Im Interview berichtet er von dem sich verändernden Erscheinungsbild der Kirche und ihrer Rolle in einer multiethnischen, vielsprachigen und multireligiösen Gesellschaft. Mit Blick auf die anstehende LWB-Vollversammlung in Krakau spricht er über seine Hoffnung, diese ausgesprochen asiatische Perspektive in die internationale Versammlung einzubringen. 

Sie kommen aus einer nichtchristlichen Familie – wie haben Sie zum ersten Mal die lutherische Kirche in Malaysia entdeckt? 

Das stimmt, ich bin Christ in der ersten Generation. Meine Eltern waren traditionell chinesisch, doch als ich sechs Jahre alt war, zogen wir in ein neues Viertel, wo die Kirche gleich neben unserem Haus eine Missionsstelle eingerichtet hatte. Unsere Familie war groß – ich hatte acht Geschwister – und, wie viele Eltern, schickten mich meine Mutter und mein Vater zur Kirche, damit ich dort Englisch und etwas Benimm lernte. Das war meine erste Begegnung mit dem lutherischen Glauben, in der Sonntagsschule in Kuala Lumpur Anfang der 1970er. 

Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Entscheidung, sich für das Pfarramt ausbilden zu lassen? 

Sowohl für meine Generation als auch für meine Kultur stellte diese Entscheidung keine Berufswahl dar. Es war eine lebenslange Berufung durch Gott. Ich war 15, als ich den Ruf vernahm und erkannte, dass ich darauf antworten wollte, indem ich den Menschen das Evangelium bringe und das Wort Gottes studiere. Das einzige Problem bestand darin, dass das Seminar keine Studierenden unter 21 Jahren annahm, also schrieb ich mich nach meinem Schulabschluss für ein Betriebswirtschaftsstudium ein, bis ich alt genug war, um die Ausbildung für ein geistliches Amt zu beginnen. 

Als Kind erkrankten Sie an Polio – welchen Einfluss hatte das auf Sie und Ihre Entscheidung, Pfarrer zur werden? 

In den 1960er gab es eine Polio-Epidemie, aber keine Impfpflicht. Meine Eltern konnten nicht lesen und wussten nichts darüber. Ich wuchs mit dieser Behinderung an einem Bein auf, doch ich kann mich in dem Sinne glücklich schätzen, dass ich deswegen nie gehänselt oder diskriminiert wurde. In unserer Kultur gehen sind die Menschen sehr einfühlsam und respektvoll, sowohl älteren Menschen gegenüber als auch gegenüber den Benachteiligten. Es machte mir nie etwas aus, dass ich Krücken benutzen muss, aber meine körperliche Behinderung gab mir den Anstoß, mich auf die Entwicklung meines Geistes zu konzentrieren. 

Sie wurden am Trinity Theological College in Singapur ausgebildet, die ein breitgefächertes ökumenisches Programm hat – wie würden Sie Ihre Beziehungen zu den anderen Kirchen in Malaysia beschreiben? 

In Malaysia ist die konfessionelle Identität nicht sehr ausgeprägt, außer zwischen der katholischen und den protestantischen Kirchen. Das Seminar wurde von einem anglikanischen, einem methodistischen und einem presbyterianischen Pfarrer gegründet, die während des Zweiten Weltkriegs zusammen im Gefängnis saßen. Überhaupt ist unsere gesamte theologische Bildung ökumenisch, und der Hauptunterschied besteht eher darin, dass die einen Gottesdienste mehr traditionell und die anderen mehr charismatisch geprägt sind. In Malaysia arbeiten die Kirchen sehr gut zusammen, da wir grundsätzlich alle auf der gleichen Wellenlänge liegen und als Minderheiten in einem mehrheitlich muslimischen Land vor den gleichen Herausforderungen stehen. 

Welche Schlüsselrolle spielen für Sie die Kirchen in diesem multireligiösen Kontext? 

Die wichtigste Aufgabe der Kirche besteht darin, ein Harmonie zwischen den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen zu fördern. Die meisten Menschen gehören der malaysischen Volksgruppe an, doch es gibt auch eine recht große chinesisch Bevölkerung mit rund 22 Prozent, und ungefähr 6 Prozent der Menschen sind indisch. Zum Großteil lebten die Leute bis in die 1980er friedlich miteinander, bis die Politiker sich einmischten und Religion als Mittel zum Teilen und Herrschen nutzten, vor allem wenn Wahlen abgehalten werden.  

Während der COVID-19 Pandemie bauten wir viele Brücken zwischen den ethnischen und religiösen Gemeinschaften, als wir auf die Hilferufe reagierten, die die Bevölkerung mit weißen Fahnen anzeigten. Während des Lockdowns waren viele Menschen stark isoliert, hatten keine Arbeit, kein Geld und kein Essen, also hängten sie weiße Fahnen oder Decken außen an die Tür, um zu zeigen, dass sie Hilfe brauchten, um zu überleben. Wir haben hier sehr viele Arbeitsimmigrantinnen und -immigranten, die besonders hart betroffen waren, denn sie leben in beengten Verhältnissen und die Polizei sperrte sie ihn ihren Häusern ein. Also haben Menschen christlichen, muslimischen, buddhistischen und hinduistischen Glaubens zusammen Tafelläden eingerichtet und Essen an die Bedürftigsten ausgegeben. 

Erzählen Sie uns mehr über die lutherischen Kirchen in Malaysia. 

In Malaysia gibt es vier lutherische Kirchen, zwei im Westen und zwei im Osten. Unsere ist die jüngste und feiert ihr 70jähriges Bestehen im Gedenken an die Gründung durch Missionarinnen und Missionare aus Amerika Anfang der 1950er. Zu der Zeit, also vor der Unabhängigkeit Malaysias, machte sich die britische Regierung Sorgen, es könne zu kommunistischen Unruhen kommen. Also schotteten sie die chinesische Gemeinschaft ab, indem sie die Leute in sogenannte „neue Dörfer“ steckten, in denen eine Ausgangssperre galt, um so sämtliche Kontakte zur kommunistischen Partei zu unterbinden.  

Missionarinnen und Missionare kamen in diese neuen Dörfer, um Kirchen zu pflanzen, deshalb sind wir noch heute zu rund 97 Prozent chinesisch. Wir begannen mit Gottesdiensten in den chinesischen Dialekten Kantonesisch und Hakka, wohingegen die zweite Generation bereits Englisch und Malaysisch lernte. Deshalb gingen wir zu zweisprachigen Gottesdiensten über, von denen die meisten auf Englisch und Mandarin abgehalten werden.  

Sie wurden 2021 zum Bischof gewählt – welche Prioritäten haben Sie für Ihre Kirche? 

Ich würde sagen, ich habe zweierlei Prioritäten. Unsere Kirche ist gereift, und in unseren Kirchengemeinden gibt es eine Menge gebildeter Menschen. Die ersten Pfarrpersonen wurden von den Missionaren in der Praxis, also durch Zuschauen und Mitmachen, ausgebildet, es gab noch keine Seminarausbildung. Doch jetzt brauchen wir gut geschulte Führungspersonen, die dafür gerüstet sind, auf die komplexen seelsorgerischen Bedürfnisse der Kirchengemeinde einzugehen. Wir brauchen auch Theologinnen und Theologen, die in den Seminaren unterrichten und unsere lutherische Theologie weiterentwickeln können. Also lege ich sehr viel Wert auf die Ausbildung unserer Pfarrpersonen. 

Meine zweite Priorität sind Laiinnen und Laien in Führungspositionen und eine Wiederbelebung des Diakonenamtes, die unseren Pfarrpersonen zur Seite stehen. Seit COVID-19 sind Online-Unterricht und -Ausbildung so viel einfacher geworden, deshalb habe ich ein einjähriges Programm gestartet und eine positive Resonanz darauf von den Kirchen erhalten. Ich glaube, das ist es, worauf wir uns konzentrieren sollten, und ich hoffe, dass ich am Ende des ersten Jahres mindestens einen Diakon bzw. eine Diakonin in jeder Kirche sehe.  

Was bedeutet es, Teil der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen zu sein, und wie bereiten Sie sich auf die Krakauer Vollversammlung vor? 

Wir sind eine relativ junge Kirche, doch wir wachsen in der Erkenntnis, dass wir Teil der weltweiten Gemeinschaft sind. Zwei unserer Kirchenmitglieder arbeiten im Gemeinschaftsbüro mit (Pfarrer Dr. Philip Lok und Pfarrer Dr. Sivin Kit), während andere an verschiedenen Programmen teilnehmen und bei der Weiterentwicklung dieser globalen Perspektive helfen. 

Krakau wird meine erste Vollversammlung. Für mich wird das eine große Lernerfahrung, eine steile Lernkurve, sein. Ich hoffe, dass ich auch etwas dazu beitragen kann, nämlich, was es heißt, ein Mensch christlichen Glaubens in Asiens äußerst vielfältigem religiösen Kontext zu sein, in dem man lernt, die Unterschiede zu respektieren und durch den Dialog und in Harmonie zusammenzuarbeiten.

LWB/P. Hitchen