„Integrationsarbeit in den Gemeinden leisten“

8. Mai 2014
Ordination von Hanna Schramm in April 2014. Foto: LWB/Leonardo Pérez

Ordination von Hanna Schramm in April 2014. Foto: LWB/Leonardo Pérez

Interview mit Pfarrerin Hanna Schramm, der ersten Pastorin der Lutherischen Kirche in Chile (Iglesia Luterana en Chile, ILCH)

(LWI) – Hanna Schramm betritt in doppeltem Sinne Neuland: Bisher wurden die Pfarrer der Lutherischen Kirche in Chile (Iglesia Luterana en Chile, ILCH) in Deutschland ausgebildet und ordiniert. Hanna Schramm hat nach dem Studium in Leipzig ihr Vikariat in einer chilenischen Gemeinde absolviert – und wurde als erste Frau in der ILCH ordiniert. Im Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) spricht sie über Schätze und Herausforderungen, die Bedeutung des Religionsunterrichts in Chile und darüber, wie die Gemeinden auf eine Frau im Talar reagieren.

Wo sehen Sie den Reichtum der Kirche in Chile?

Der größte Schatz, den die beiden lutherischen Kirchen in der chilenischen religiösen Landschaft besitzen, ist die lutherische Theologie, welche die Gewissensfreiheit und die selbständige Auseinandersetzung mit dem biblischen Glaubenszeugnis betont. Wenn die Kirchen auf dieser Theologie ihren Schwerpunkt legen, werden sie vor allem für Menschen interessant, die sich schon von den Kirchen distanziert hatten.. Die lutherischen Kirchen sind ein Ort, an dem ethisch schwierige Fälle besprochen werden können, wo Informationen aus anderen Wissenschaften ins Gespräch gebracht werden um sich eine Meinung zu bilden, wo verschiedene Einstellungen toleriert werden und wo Menschen auch Glaubenszweifel vorbringen können.

Im Gespräch mit Mitgliedern ist mir aufgefallen, dass nicht wenige zu den lutherischen Gemeinden finden, weil sie diese in moralischer Hinsicht als sehr inklusiv erlebt haben. Die lutherischen Kirchen sollten meiner Ansicht nach die Stärke des Diskurses, der Pluralität und der kritischen Meinungsbildung nutzen, aber dabei nicht den spirituellen Rahmen und die Hoffnung in Gottes Walten vergessen.

Ein weiterer Reichtum ist die verschiedenartige Herkunft und Prägung der einzelnen Pfarrer. Dadurch erleben die Gemeindeglieder unterschiedliche Formen der Frömmigkeit und Interpretationen der Bibel.

Integrationsarbeit in der Gemeinde

Wo sehen Sie die besonderen Herausforderungen für die Gemeindearbeit?

Der ILCH fällt es schwerer, die Menschen zu Teilnahme und Mitarbeit zu gewinnen. Der Kontakt zur Kirche bleibt oftmals sehr lose und ergibt sich vorwiegend durch Kasualien oder durch den Religionsunterricht in der Deutschen Schule. Früher war das Zugehörigkeitsgefühl noch intensiver, da die Zugehörigkeit zur lutherischen Kirche auch die deutsche Identität gestärkt hat.

Mittlerweile hat die Bedeutung der deutschen Identität etwas abgenommen. Dafür finden aber immer mehr Christen ohne deutschen Ursprung zu den Gemeinden in der ILCH. Deshalb ist es wichtig, das Gemeindeleben in der ILCH so zu gestalten, dass sich Christen verschiedener Generationen und Herkunft angesprochen fühlen. Die Gemeinden müssen Integrationsarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen leisten.

Als spannende Herausforderung sehe ich auch die Auseinandersetzung mit der lutherischen Identität, denn die lutherische Theologie bietet Denkformen, Konzepte und Frömmigkeitsarten, die eine Alternative darstellen für Menschen, die religiöse Bedürfnisse verspüren, aber aufgrund von verschiedenen Lebenserfahrungen auf Abstand zur Kirche gegangen sind. Vor allem für Menschen, die sich gerne auf intellektuelle Weise mit religiösen Fragestellungen und Lebensthemen auseinandersetzen wollen, könnten die lutherischen Kirchen zur geistlichen Heimat werden.

Sie sind die erste Frau, die in der ILCH ordiniert wird. Was bedeutet das für Sie?

Als Frau einen Beruf auszuüben, der in Chile immer noch stark mit Männern assoziiert wird, verursacht Erstaunen und Freude, manchmal reagieren die Menschen aber auch irritiert, skeptisch oder ablehnend. Ich habe gelernt, diese Skepsis gelassen zu nehmen. Ich glaube, dass allein schon meine Anwesenheit viel ausmacht. Die Menschen sehen, dass es möglich und normal ist, dass eine Frau die Aufgaben des Pfarrberufs übernimmt, dadurch gewöhnen sie sich daran und empfinden es bald auch als etwas Normales.

Die Frauen ermutigen

Was ist die besondere Herausforderung in dieser Situation?

Für mich hat das zunächst einmal bedeutet zu verstehen, dass eine Pfarrerin für viele nicht normal ist. Ich musste lernen, mich nicht zu verschließen, oder demotiviert zu sein, wenn man mir mit Skepsis oder Ablehnung begegnet. Ich habe sogar Verständnis dafür entwickelt. Ich habe mir aber immer vor Augen geführt, dass die Frauenordination in anderen Ländern normal ist und ich auch Kolleginnen in der IELCH, sowie in einigen anderen evangelischen Kirchen in Chile habe.

Für mich ist es sehr wichtig, dass ich mich um die Menschen, mit denen ich arbeitete, in der Gemeinde, bei den Kasualien oder anderen Begegnungen besonders bemühe, dass ich meine Stärken bewusst einsetze und dass ich alle Aufgaben mit Engagement und Freude ausführe. Durch meine Arbeit und die Erlebnisse, die Menschen mit mir haben, trage ich dazu bei, dass Pfarrerinnen genauso wie Pfarrer als geistliche Begleiter und Theologen angenommen werden.

Wird es bald noch mehr ordinierte Frauen in Ihrer Kirche geben?

Ich kenne keine Frau, die gerade Theologie studiert und in die ILCH kommen wird. Ich kenne aber junge Frauen, die sehr an theologischen Themen interessiert sind und aktiv in ihren Gemeinden arbeiten. Gerne würden sie neben einer anderen Ausbildung Theologie studieren. Ich denke, dass hier viel Ermutigungsarbeit geleistet werden muss. Die Tatsache, dass eine Frau gekommen ist und als Pfarrerin ordiniert und angenommen wurde trägt bestimmt dazu bei, dass mehr junge Frauen Interesse an diesem Beruf haben: Sie sehen, dass diese Möglichkeit auch ihnen offen steht.

In welcher Gemeinde werden Sie jetzt arbeiten?

Ich werde weiterhin in Santiago arbeiten, wo ich auch das Vikariat absolviert habe. Dort werde ich eine halbe Stelle haben, da ich nebenbei noch Pädagogik studiere. Schwerpunktmäßig werde ich die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen in der Gemeinde begleiten. Außerdem werde ich weiterhin Besuche in den Altenheimen machen. Auch soll ich die deutschen Freiwilligen in verschiedenen Projekten der lutherischen Kirchen betreuen.

Glaubenswege begleiten

Warum ist es Ihnen wichtig, in Chile auch Religionsunterricht geben zu können?

Durch den Religionsunterricht werden die Kinder und Jugendlichen angeregt den Konfirmandenunterricht zu besuchen und entwickeln ein Zugehörigkeitsgefühl zur lutherischen Gemeinde. Umgekehrt bleibt der Pfarrer als Religionslehrer in Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen und kann diesen stärker in seiner Gemeindearbeit entgegen kommen. Außerdem sind die lutherischen Kirchgemeinden in Chile recht klein, mit dem Nebenverdienst entlasten die Pfarrer ihre Gemeinden finanziell. Und nicht zuletzt lerne ich in der pädagogischen Ausbildung auch viel für die Arbeit mit der Gemeinde.

Worauf freuen Sie sich am meisten?

Da gibt es vieles: Das gemeinsame Studium der Bibel mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen oder das Privileg, Einblick in den Lebensweg anderer Menschen zu erhalten. Ich freue mich zu sehen, wie Menschen sich engagiert für ein Projekt einsetzen und Initiativen in der Gemeinde ergreifen und ich freue mich, wenn ich das unterstützen kann. Ich freue mich darauf weitere Kontakte zu knüpfen. Ich freue mich besonders auf die Zusammenarbeit und Durchführung der nächsten Jugendrüstzeiten, weil ich dabei sehr viel an Menschkenntnis, Kreativität und Spontaneität lerne. Ich freue mich, Menschen auf ihrem Glaubensweg begleiten zu dürfen.