FEATURE: In Namibia ist der kritische Punkt erreicht

12. Sep. 2013
Das Überleben von Magdalines Familie hängt von ihrer Rente ab. Foto: LWB/Thomas Ekelund

Das Überleben von Magdalines Familie hängt von ihrer Rente ab. Foto: LWB/Thomas Ekelund

LWB-Engagement zur Entlastung von RentnerInnen und Viehbesitzern

Windhuk (Namibia)/Genf, 12. September 2013 (LWI) - Die 65-jährige Magdaline erzählt, dass sie vier Tage unterwegs war, um die 150 km von ihrem Dorf bis zur nächsten Stadt, Mariental im Süden Namibias, zurückzulegen. Zusammen mit ihrem Bruder und seinen vier Kindern, darunter auch der sechs Monate alte David, fuhren sie auf einem Pferdewagen und schliefen nachts am Strassenrand. Im August ist es Winter in Namibia und die Temperaturen fallen nachts oft unter null Grad.

Magdaline und ihre Familie haben die weite Reise auf sich genommen, um die 90 USD (etwa 930 Namibische Dollar) entgegenzunehmen, die sie im Monat als Altersrente erhält. Das ist alles, wovon die Familie lebt, weil in Namibia die schlimmste Dürre seit beinahe drei Jahrzehnten herrscht.

„Mein Bruder hat keine Arbeit, die Tiere überleben nicht und auf den Feldern wächst auch nichts mehr. Ich habe kaum noch Essen für die Kinder. Die Regierung hat mir zehn Ziegen geschenkt, aber als der Stadtrat kam und sie mir wegnahm, hatte ich nichts mehr“, erzählt Magdaline und nimmt Bezug auf ein Regierungsprogramm, mit dem den bäuerlichen Familien geholfen werden soll, ihren Viehbestand auszubauen. In der aktuellen Situation sind viele gezwungen, einige der Tiere zu verkaufen, um Futter für die restlichen Tiere kaufen zu können und nicht alle zu verlieren.

Als der namibische Präsident Hifikepunye L. Pohamba im Mai dieses Jahres den nationalen Notstand ausrief, bat er gleichzeitig um Hilfe in dieser Krise, von der fast 40 Prozent der 2,1 Millionen Menschen in Namibia betroffen sind. In den letzten vier Jahren kam es zu schweren Regenfällen, die zu Überschwemmungen führten, die wiederum die Ernte zerstörten. Aber in den letzten acht Monaten sind nur 166 mm Regen gefallen – so wenig wie seit dreissig Jahre nicht mehr sagen Meteorologen.

Die ländliche Bevölkerung lebt hauptsächlich von Viehzucht und Landwirtschaft – zwei Sektoren, die jetzt von der Dürre schwer getroffen sind. Magdalines Familie besitzt, wie 80 Prozent der Haushalte in Namibia, etwas Vieh – Rinder, Ziegen, Schafe, Esel und Geflügel – das die Familie mit Milch und Fleisch versorgt oder verkauft werden kann. Durch die Dürre gibt es viel weniger Weideland und Wasser, sodass das Überleben der Tiere und ihr Marktwert bedroht sind. Laut Schätzungen der namibischen Agentur für Nahrungsmittelsicherheit in Notsituationen (EFSA) sind bereits mehr als 4.000 Tiere umgekommen.

Auswirkungen auf die Existenzgrundlage

Die Auswirkungen auf die Existenzgrundlage der Menschen sind vielschichtig. In der Vergangenheit brachte der Verkauf einer Kuh bis zu 3.000 namibische Dollar, aber inzwischen ist der Wert bis auf 260 Dollar gefallen. Vor der Dürre wurden für eine Ziege 700 bis 800 Dollar erzielt, jetzt gibt es nur noch zwischen 300 und 450 Dollar für ein Tier. In der kommerziellen Landwirtschaft suchten die Menschen nach Alternativen und brachten z. B. ihr Vieh in das benachbarte Südafrika, wo sie höhere Preise erzielen können.

Die Weltbank zählt Namibia zu den Ländern mit mittlerem Einkommen, obwohl ein Viertel der Bevölkerung in Armut leben. Die Arbeitslosigkeit wird auf rund 37 Prozent geschätzt, wobei die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Zugang zu Dienstleistungen mit am grössten auf der Welt ist. Die diesjährige Dürre verschlimmert die Lage für Gemeinschaften, die von der kommerziellen Landwirtschaft leben, da sie sehr wenig oder gar nichts mehr verdienen. Schlachthöfe, die Saisonarbeit anboten, sind zum Teil geschlossen und lassen noch mehr Menschen ohne Arbeit.

Während die Landwirtschaft nur fünf Prozent der Volkswirtschaft ausmacht und ein Drittel der NamibierInnen vom Anbau von Lebensmitteln leben, werden 70 Prozent des Süsswasservorkommens des Landes zur Erzeugung von Nahrungsmitteln benötigt. Die Regierung schätzt, dass die Getreideproduktion 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 42 Prozent sinken wird. Die Hälfte der Haushalte in den von der Dürre betroffenen Gebieten berichtete, dass die im Dezember gepflanzte Hirse so gut wie gar nicht wächst. In einem normalen Jahr können die Familien Vorräte für sechs bis sieben Monate lagern, doch inzwischen berichten viele Haushalte, dass alle Vorräte aufgebraucht seien. In einigen Teilen des Landes sinken die Erträge täglich weiter.

LWB und „Kirchen helfen gemeinsam“

Über den gemeinsamen Kirchenrat der evangelisch-lutherischen Kirchen in Namibia arbeitet der Lutherische Weltbund (LWB) mit seinen Partnern im ACT-Bündnis zusammen, um den ländlichen Gemeinschaften im Umgang mit der Dürrekatastrophe zu helfen. Ziel ist es vor allem, das Leiden durch direkte Katastrophenhilfe zu lindern.

Es ist das erste Mal, dass die LWB-Mitgliedskirchen im Land – die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Namibia (ELKRN), die Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia (ELKIN) und die deutschsprachige Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia –gemeinsam auf einen Aufruf des ACT‑Bündnisses zur Bekämpfung einer Dürrekatastrophe antworten. Die betroffenen Haushalte erhalten Bargeld, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, psychosoziale Unterstützung und erwerben Kenntnisse, wie sie bei zukünftigen Katastrophen besser reagieren und für ihre Rechte eintreten können.

Langfristige Folgen

Für Familien wie die von Magdaline bringt eine Lebensmittelkrise weitere Herausforderungen mit sich. Abgesehen von der offensichtlich erhöhten Gefahr der Unterernährung, der Verschlechterung der Gesundheit und des Einkommensverlustes kann es sein, dass Menschen, die ihre Familie nicht mehr ernähren können, sich in den Alkohol flüchten. Die andauernde Dürre zwingt Schüler zur Aufgabe ihrer Ausbildung oder beeinträchtigt ernsthaft ihre Lernfähigkeit.

Da vor März 2014 keine Ernte zu erwarten ist, wird sich die Lage laut Schätzungen des LWB rasch verschlechtern, wenn nicht dringend Hilfe von aussen kommt.

Namibia und das Nachbarland Angola erleben die schwerste Dürre seit einem Vierteljahrhundert und die Versorgung von ca. 800.000 NamibierInnen mit Lebensmitteln ist ungewiss. In den angolanischen Grenzbezirken Cunene und Namibe haben mehr als 600.000 EinwohnerInnen nicht ausreichend Nahrungsmittel und Wasser, nachdem es zwei Jahre hintereinander nicht geregnet hat.

(Von LWB-Kommunikationsberater Thomas Ekelund während seines jüngsten Besuchs in Namibia)

LWF World Service