Exegese: Liebe- und respektvoller Umgang mit verschiedenen Kontexten

8. Okt. 2015
Die Paulusbriefe, die zur Ausgrenzung von Frauen missbraucht würden, sollten im Kontext jener Passagen gelesen werden, die den Beitrag von Frauen zur Weitergabe von Gottes Wort anerkennen, so die Forderung der tansanischen Theologin und Pfarrerin Dr. Hoyce Mbowe. Foto: LWB/I. Benesch

Die Paulusbriefe, die zur Ausgrenzung von Frauen missbraucht würden, sollten im Kontext jener Passagen gelesen werden, die den Beitrag von Frauen zur Weitergabe von Gottes Wort anerkennen, so die Forderung der tansanischen Theologin und Pfarrerin Dr. Hoyce Mbowe. Foto: LWB/I. Benesch

Auslegung biblischer Texte liefert „immer divergierende Ergebnisse“

Århus (Dänemark)/Genf, 7. Oktober 2015 (LWI) – Eine internationale lutherische Konferenz im dänischen Århus, die sich mit Fragen biblischer Exegese befasste, hat betont es sei wichtig, bei der Auslegung der Heiligen Schrift eine liebe- und respektvolle Haltung einzunehmen und den Bezug zwischen den hermeneutischen Konzepten „Argwohn“ und „Vertrauen“ herzustellen.

Die vom Lutherischen Weltbund (LWB) in Zusammenarbeit mit der Universität Århus ausgerichtete internationale Konferenz, die vom 24. bis 29. September stattfand, ist die letzte von vier Tagungen, die Fragen biblischer Exegese bearbeitet haben. Bei der Konferenz unter dem Titel „Die Kraft des Evangeliums. Entwicklung einer paulinischen Hermeneutik“ wurden die Paulusbriefe behandelt.

Die 35 teilnehmenden ExegetInnen aus 17 Ländern betonten, eine lutherische Exegese und Theologie müsse sich auf stichhaltige wissenschaftliche Erkenntnisse auf der Grundlage fundierter historischer Arbeit stützen und gleichermassen sensibel sein für die lutherische Tradition wie für kontextbezogene Anliegen.

Strittige Themen

Gleichzeitig stellten die Teilnehmenden fest, dass es trotz sorgfältiger wissenschaftlicher Arbeit immer divergierende Ergebnisse geben werde, was die Anwendung bestimmter Schriftstellen auf das zeitgenössische Leben in unterschiedlichen Kontexten angehe.

LWB-Ratsmitglied Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Augsburg (Deutschland), zeigte sich beeindruckt von der intensiven Auseinandersetzung der aus sehr unterschiedlichen Kontexten in Afrika, Asien, Europa, Nord- und Lateinamerika stammenden Teilnehmenden mit den Paulusbriefen.

„Die Konferenz bot einen sicheren Raum, in dem selbst strittige und bisweilen die Einheit infrage stellende Themen, wie z. B. sexuelle Orientierung, in einer von Offenheit, gegenseitigem Vertrauen und Respekt geprägten Atmosphäre diskutiert werden konnten“, so Oberdorfer.

Die Alttestamentlerin Prof. Dr. Mercedes García Bachmann von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (Argentinien) bekräftigte diese Beobachtung und ergänzte: „Nachdem ich in den vergangenen Tagen so viel über Paulus gelernt habe, ist mir klargeworden, dass Paulus uns in ethischen Fragen allenfalls Teilantworten geben kann.“

Die vielleicht grösste Herausforderung, so Bachmann,  liege für ChristInnen darin, „wie wir den Griechinnen eine Griechin, den Juden ein Jude sein können, ohne das zu verlieren, was uns ausmacht“.

Textstellen aus den Paulusbriefen würden mitunter dazu missbraucht, Frauen von der vollen Teilhabe in der Kirche auszuschliessen, stellte Pfarrerin Dr. Hoyce Mbowe von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania fest. Sie müssten, so Mbowe weiter, in den Kontext anderer Passagen gestellt werden, in denen Paulus den Beitrag von Frauen zur Weitergabe des Wortes Gottes würdigt.

Reformation: Die Bibel im Mittelpunkt

Im Blick auf das 500. Jubiläum der Reformation, bei der die Auslegung der Schrift einen wesentliche Beitrag zur Erneuerung der Kirche leistete, sollte die Kirche die Bibel aufs Neue für sich erschliessen, als Kraftquelle und als Ressource für ihre Mission in der heutigen Welt.

„Die Bibel“, so Prof. Dr. Anders Runesson, der an der Universität Oslo Neutestamentliche Exegese lehrt, „sollte beim Dialog mit Geschichte, Tradition, individuellen Erfahrungen und anderen religiösen Traditionen im Mittelpunkt stehen.“

Abschliessend verwiesen Prof. Dr. Eve-Marie Becker, Universität Århus, und Pfr. Dr. Kenneth Mtata, Studienreferent des LWB für Lutherische Theologie und Praxis, die die Tagung gemeinsam organisiert hatten, auf den kumulativen Lerneffekt, der seit Beginn des Hermeneutikprojekts 2011 zu verzeichnen sei.

Im Rahmen dieses Projekts wurden das Johannesevangelium, die Psalmen, das Matthäusevangelium und die Paulusbriefe behandelt.

Becker und Mtata erläuterten weiter, die Erklärung des LWB zur Hermeneutik, die aus diesem Prozess entstehe, sei als Geschenk an die Kirchen gedacht anlässlich des Reformationsjubiläums, das bei der LWB-Vollversammlung 2017 gefeiert werden solle.