Ein schottischer Globetrotter im humanitären Einsatz

2. Sep. 2021
Bobby Waddell, Globaler Finanzierungskoordinator des LWB, während eines Besuchs 2019 in Lalibela, Äthiopien. Foto: LWB/C. Kaestner

Bobby Waddell, Globaler Finanzierungskoordinator des LWB, während eines Besuchs 2019 in Lalibela, Äthiopien. Foto: LWB/C. Kaestner

Der dienstälteste Mitarbeiter des LWB über die Grundlagen seiner Arbeit

GENF, Schweiz (LWI) – Auf den ersten Blick wirkt die Position des Koordinators für globale Finanzierung beim Lutherischen Weltbund (LWB) nicht wie eine besonders spannende Berufswahl. Ebenso wenig scheint der unaufgeregte Schotte, der diese Funktion vor sieben Jahren übernommen hat, jemand mit einer abenteuerlichen beruflichen Biographie zu sein. Bobby Waddell zählt Golf, Reisen und Do-it-yourself zu seinen Lieblingshobbys, denen er sich nach seinem Wechsel in den Ruhestand in einigen Jahren intensiver widmen will.

Aber der erste Eindruck kann täuschen. Waddell ist der dienstälteste LWB-Mitarbeiter. Er zählt zwei Erlebnisse zu den dramatischsten Ereignissen, die ihm während seiner 35-jährigen Karriere beim LWB widerfahren sind: In Haiti wurde bei einem Überfall auf ihn geschossen, und in Uganda entging er nur knapp einem Brandanschlag. 1994 war er in Ruanda im Einsatz, um den Überlebenden des Völkermords zu helfen. 2002 untersuchte er in Westafrika Anschuldigungen gegen humanitäre Einsatzkräfte wegen angeblicher sexueller Übergriffe. Danach war er 2010 wieder in Haiti und organisierte Nothilfemaßnahmen für die Überlebenden des schweren Erdbebens, das weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince verwüstet hatte.

Nachdem Waddell 1968 vom LWB in Tansania (damals Tanganyika Christian Refugee Service) als landwirtschaftlicher Projektbeauftragter eingestellt worden war, hat er bis auf vier für alle der 27 Länderprogramme des Weltdienstes gearbeitet oder sie besucht.  Wenn er nach seinen bevorzugten Einsatzorten gefragt wird, nennt er Tansania als das Land, in dem er seine Frau kennengelernt hat, in dem sein erstes Kind geboren wurde und wo er nach wie vor engen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort hält. „Jedes Land hat seine eigenen Schönheiten und Herausforderungen“, sagt er. „Aber diesem Land und den Menschen dort fühle ich mich immer noch stark verbunden, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie alle Flüchtlinge aus den Nachbarländern aufgenommen haben, ohne sich in regionale Konflikte hineinziehen zu lassen.“ 

Flexibilität und lebenslanges Lernen

Nachdem er in einer landwirtschaftlichen Gemeinschaft in Schottland aufgewachsen war, studierte Waddell an der Universität Landwirtschaft und wurde dann als ehrenamtliche Lehrkraft auf der Insel Pemba vor der Küste Tansanias eingesetzt, wo er auf der High School Boden- und Pflanzenkunde unterrichtete. Er lernte Suaheli und fand es beruflich sehr erfüllend, „ins kalte Wasser geworfen zu werden und alle diese spannenden neuen Erfahrungen zu machen.“ Zwei Jahre später, als er mit Voluntary Services Overseas zu einer Einsatznachbereitung wieder im Vereinigten Königreich war, sah er die Stellenausschreibung für einen Landwirtschaftsbeauftragten in Tansania. „Ich hatte damals noch nie etwas vom LWB gehört“, sagt er. Heute hat er allerdings einen ausgezeichneten Überblick über die Arbeit der Organisation, für die er seitdem in einer Vielzahl von Funktionen tätig war. 

„Ich habe hier so viele unterschiedliche Aufgaben übernommen, dass es niemals langweilig wurde, und die beruflichen Chancen hier waren unglaublich“, sagt er und ergänzt, dass dies „ab dem Tag 1 eine Erfahrung des lebenslangen Lernens“ gewesen sei. Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die von jeder Person im Team der LWB-Abteilung für Weltdienst gefordert werde, sei Flexibilität, so Waddell, denn „von dir wird verlangt, Dinge zu tun, mit denen du niemals gerechnet hast.“ Wann immer ein Anruf aus Genf kam und er sich kurzfristig in ein Krisenland begeben sollte, erbat er sich immer „eine Nacht, um darüber zu schlafen, um dann am nächsten Morgen zuzusagen.“

Von Tansania zog er nach Botswana und dann nach Haiti. Dort wurden er und seine Familie zwei Mal aufgrund der ausufernden Gewalt und der politischen Unruhen evakuiert. In Port-au-Prince wurden er und einige Mitglieder seines Teams beim Verlassen des Hotels von zwei Jugendlichen überfallen und mit vorgehaltener Waffe aufgefordert, ihnen die Autoschlüssel auszuhändigen. Als Waddell die Schlüssel auf den Boden warf, feuerte einer der beiden Täter auf ihn, während sich der andere die Schlüssel schnappte. Beide verschwanden in einem nahe gelegenen Park. Bis heute sagt er in seiner typisch lakonischen Art: „Ich weiß nicht, ob das nur Platzpatronen waren, oder ob die einfach nicht zielen konnten, aber ich wurde nicht verletzt, und so sind wir noch einmal davongekommen.“ 

Aus Sorge um die Sicherheit seiner Familie entschloss sich Waddell, Haiti zu verlassen. Der LWB bot ihm eine Stelle in Adjumani im Norden Ugandas an, wo er mit seiner Frau und seinen Kindern in der Hauptstadt Kampala wohnen sollte. Diese Stelle nahm er aber nicht an, da er immer wieder für längere Zeiträume von seiner Familie getrennt gewesen wäre. Kurze Zeit später wurde das Lager in Adjumani von Kämpfern der Widerstandsarmee des Herrn angegriffen und niedergebrannt.

Zwischenzeitlich wurde Waddell im Sommer 1994 nach Ruanda geschickt, um dort nach dem Völkermord ein LWB-Programm auf den Weg zu bringen. Dieser Genozid hatte Hunderttausende Menschenleben gekostet und dazu geführt, dass zwei Millionen Menschen in die Nachbarländer geflohen waren. Tagsüber verteilte er alltägliche Bedarfsgüter für Binnenvertriebene und Flüchtlinge, die über die Grenze aus der Demokratischen Republik Kongo zurückkamen. Nachts saß er in einem kleinen Zelt und schrieb Abhandlungen für einen Master-Fernstudiengang für Umweltmanagement, eine Erfahrung, die er als „etwas surrealistisch“ beschreibt.

So herausfordernd diese Erlebnisse auch waren, so bereiteten sie ihn nach Aussage Waddells gut auf die Aufgaben vor, mit denen er heute betraut ist: Koordinierung des globalen Finanzierungsteams und Sicherung der finanziellen Stabilität, die für die Arbeit des LWB mit einigen der am stärksten gefährdeten Gemeinschaften weltweit erforderlich ist. „Egal, welche Aufgabe sie übernehmen – ich sage meinen Kolleginnen und Kollegen immer, dass sie vor Ort lernen müssen, wie die Dinge funktionieren“, sagt er. Seiner Meinung nach ist „das Lernen von großartigen Kolleginnen und Kollegen und lebenslangen Freunden“, die er während seiner Einsätze kennengelernt hat, eine der wertvollsten Aspekte seiner beruflichen Laufbahn.

Für einen praktischen Menschen wie Waddell können die langen Schriftsätze, wie sie für die humanitäre Arbeit heute verlangt werden, eine frustrierende Erfahrung sein und haben nichts mehr mit seinem ersten Einsatz zu tun, „als 100 Prozent unserer Zeit für die Arbeit mit den Gemeinschaften in Tansania verwandt wurde.“ Der LWB sei die einzige Organisation gewesen, die in der Dürreregion Singida in Zentral-Tansania im Einsatz war, so Waddell, und deshalb gab es keine Mitbewerber für die Finanzmittel und keine Bürokratie. „Die Geldgeber haben sich die Projekte angesehen, und wir haben jedes Jahr einige Berichte geschickt, um zu zeigen, wie wir die Gelder verwenden“, erinnert er sich.

Waddell selbst hat einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einiger der Leitlinien und Normen geleistet, die heute die Arbeit des LWB und anderer humanitärer Organisationen regulieren. Nach einem vierwöchigen Einsatz in Elfenbeinküste, Liberia, Guinea und Sierra Leone, um angeblichen sexuellen Missbrauch der Bevölkerung durch die dortigen Einsatzkräfte aufzuklären, gehörte Waddell zu dem Team, das den ersten Verhaltenskodex ausgearbeitet hat, der heute eine wichtige Rolle für die gesamte Arbeit des LWB spielt. „Ich packe Dinge gerne an und will dann auch Ergebnisse sehen“, sagt er. „Aber Geduld ist eine weitere Tugend, die man für diese Arbeit braucht, und die dauert immer länger, als man zunächst annimmt.“

Heute hofft Waddell vor dem Hintergrund der sich lockernden COVID-Einschränkungen, dass er bald wieder unterwegs sein kann, um Projekte in entlegenen Weltregionen zu besuchen oder in europäische Länder zu reisen, um sich mit Geldgebern und Partnerorganisationen zu treffen. So hofft er auf Reisen nach Angola, Burundi, der Zentralafrikanischen Republik und in den Irak – dies sind die einzigen Länderprogramme, die er selbst persönlich noch nie besucht hat.

Er freut sich außerdem auf die Tage mit einem weniger anstrengenden Terminplan mit mehr Zeit auf dem Golfplatz, in welchem Land auch immer er sich mit seiner Familie zur Ruhe setzen wird. „Irgendwo am Mittelmeer, mit viel Sonne“ ist zurzeit seine erste Wahl. Wo immer er sich niederlässt, kann er auf ein abenteuerliches Leben und ein einzigartiges Engagement für die humanitäre Arbeit des LWB zurückschauen.

Von LWB/P. Hitchen. Übersetzung. Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller