AVH-Direktor warnt: „Die Menschlichkeit steht auf dem Spiel”

11. Mär. 2024

Fadi Atrash, der leitende Direktor des LWB-Auguste-Viktoria-Krankenhauses in Ost-Jerusalem, hat Mitarbeitende von humanitären Organisationen in verschiedenen Botschaften in Genf über die Situation der Gesundheitsversorgung in Gaza informiert. Nach fünf Monaten Militäreinsatz sei die Lage „unbeschreiblich und jenseits aller Vorstellungskraft“.

Dr. Fadi Atrash

Dr. Fadi Atrash während der Gespräche in Genf. Foto: LWB/S. Gallay 

Krankenhäuser funktionieren nicht mehr, die Menschen in Gaza brauchen dringend medizinische Hilfe 

(LWI) - Das Gesundheitssystem in Gaza ist zusammengebrochen, sagt Fadi Atrash, leitender Direktor des Auguste-Victoria-Krankenhauses (AVH) des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Ost-Jerusalem. Bei Gesprächen mit Mitarbeitenden verschiedener humanitärer Organisationen in Genf berichtete er über die Lage der Gesundheitsversorgung in Palästina und forderte einen Waffenstillstand, damit humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen gelangen kann.

Seit dem Beginn des israelischen Krieges im Gazastreifen, der auf den Angriff der Hamas folgte, sind 30.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet worden. Ungefähr 70 Prozent von ihnen waren Frauen und Kinder. Mehr als 60.000 Menschen wurden verletzt. Der Zustand der Gesundheitsversorgung in Gaza ist „jenseits aller Vorstellungskraft“, sagt Atrash. „Es gibt keine Gesundheitsversorgung mehr in Gaza. Die Kliniken können nur noch Wunden zunähen, Verbände machen und Tabletten geben. Es riecht überall nach Tod.“

8.000 Krebspatienten, die nicht behandelt werden können

Atrash steht regelmäßig in Kontakt mit den Krankenhäusern in Gaza, vor allem mit dem anglikanischen Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt, mit dem das AVH im Bereich der Krebsfrüherkennung zusammenarbeitet. Die Klinik wurde während des Krieges schwer beschädigt. Ein LWB-Mitarbeiter wurde getötet. Die übrig gebliebenen Angestellten, so berichtet Atrash, „essen eine Mahlzeit, sieben Löffel Reis pro Tag“.

Menschen, die durch den bewaffneten Konflikt verletzt wurden, können nicht ausreichend behandelt werden, sagt er. Viele sind an einfachen Wunden gestorben, andere haben Gliedmaßen verloren. Es gibt keine Schmerzmittel. Viele Menschen werden nach diesem Konflikt Behinderungen haben. Es besteht ein hohes Risiko von Infektionen und Epidemien, sagt Atrash weiter. „Wir sehen einen Anstieg von Hautkrankheiten wie Krätze. Das beeinträchtigt die Menschen nicht nur körperlich. Es entwürdigt sie auch.“ 

Innerhalb des Ostjerusalemer Krankenhausnetzwerks bietet das AVH Krebsbehandlungen und Hämodialyse an. Viele seiner Patientinnen und Patienten hatten seit Beginn des Krieges keinen Zugang zu lebenswichtigen Behandlungen, sagt Atrash. „Wir sorgen uns nicht nur um die Menschen, die in diesem Krieg verletzt wurden, sondern auch um die Menschen, die bereits schwer krank sind. Achttausend Krebspatienten können derzeit nicht mehr versorgt werden. Siebenhundert Menschen wären in diesen vier Monaten auf Krebs diagnostiziert worden, hatten aber keinen Zugang zu medizinischer Versorgung“, sagt er. Die Mittelkürzungen für die Palästinensische Autonomiebehörde und die wichtigste UN-Organisation, die Sozialeinrichtungen in Palästina unterstützt, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), gefährden das gesamte palästinensische Gesundheitssystem. 

Aufruf zum Handeln 

In seinen Gesprächen fordert Atrash ein Ende des Krieges im Gazastreifen oder zumindest einen humanitären Waffenstillstand, damit Hilfsorganisationen die dort eingeschlossene Zivilbevölkerung versorgen können.  

Außerdem fordert er die internationale Gemeinschaft auf, mit der Planung für den Wiederaufbau zu beginnen. Palästinensische Organisationen, die Erfahrung mit der Arbeit im Gazastreifen haben, sollten mit ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung an sämtlichen Nachkriegslösungen zur Bewältigung dieser Krise beteiligt werden, so Atrash.

Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer in diesem Krieg ruft Atrash die Weltgemeinschaft auf, mehr Druck auf Israel auszuüben. Israel müsse die Zivilbevölkerung schützen und das Völkerrecht einhalten. „Die Menschlichkeit steht auf dem Spiel“, warnt er. „Wir müssen eine Lösung finden, die Israelis und Palästinensern Frieden bringt und beiden die Grundrechte gewährt, die ihnen als Menschen zustehen.

LWB/C. Kästner-Meyer