Auguste-Viktoria-Krankenhaus: Psychosoziale Unterstützung für Menschen aus Gaza

17. Nov. 2023

Das Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Ostjerusalem hilft mit lebensrettenden Krebstherapien und Nierenbehandlungen Menschen aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen. Das Krankenhaus betreut derzeit 99 Patientinnen und Patienten aus dem Gazastreifen und ihre Begleitpersonen, die nicht nach Hause zurückkehren können. Sie müssen von Jerusalem aus hilflos mit ansehen, wie ihre Familien leiden. 

Eine vierjährige Krebspatientin aus Gaza im AVH, zusammen mit ihrer Mutter. Das Mädchen wurde wegen eines Gehirntumors behandelt

Archivbild aus dem Jahr 2020: Eine vierjährige Krebspatientin aus Gaza im AVH, zusammen mit ihrer Mutter. Das Mädchen wurde wegen eines Gehirntumors behandelt. Foto: LWB/A. Hillert

Krebskranke beobachten die Entwicklung in Gaza aus der Ferne 

(LWI) – Während sich im Gazastreifen eine humanitäre Katastrophe abspielt, sitzen mehr als 90 krebskranke Menschen und ihre Angehörigen im Auguste-Viktoria-Krankenhaus (AVH) des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf dem Ölberg in Ostjerusalem fest. Das AVH arbeitet mit nahe gelegenen Hotels für diejenigen zusammen, die täglich eine Strahlenbehandlung erhalten und nicht jeden Tag von ihrem Wohnort im Westjordanland oder im Gazastreifen aus anreisen können.  

Das Krankenhaus ist spezialisiert auf Krebs- und Nierenerkrankungen, und die hier behandelten Menschen sind schwer krank. Zusätzlich zu ihrer Behandlung sorgen sie sich nun um ihre Familien und besonders um ihre Kinder, die sie in Gaza zurücklassen mussten. 

Fatima (Name geändert) ist Leiterin der psychosozialen Abteilung, die sich in diesen schwierigen Zeiten um die Kranken kümmert. Sie berichtet über die Situation der Patientinnen und Patienten aus Gaza. 

Trauer um Angehörige 

Derzeit befinden sich 99 Menschen aus dem Gazastreifen im Krankenhaus. Etwa die Hälfte davon sind Krebserkrankte und ihre Begleitpersonen. Fatimas Team besteht aus sechs Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, die sich jeweils um die Patienten von ein oder zwei Abteilungen kümmern und individuelle Beratungen und Gruppensitzungen anbieten. 

Das Team bietet für Betroffene auch praktische Unterstützung während des Aufenthaltes im Krankenhaus bzw. in nahe gelegenen Hotels und hilft ihnen mit Kleidung, Hygieneartikeln, Unterbringung und Fahrten zu lebenswichtigen Behandlungen wie Chemotherapie und Dialyse.

„Ich denke, es ist wichtig, dass wir ihnen sagen, dass wir für sie da sind“, sagt Fatima. „Ich glaube, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen seelischer Gesundheit und dem Erfolg einer medizinischen Behandlung. Eine positive Einstellung und emotionales Wohlbefinden sind wichtig für die Genesung. Wir haben die Patientinnen und Patienten in Zehnergruppen eingeteilt und ihnen einen sicheren Raum zur Verfügung gestellt, in dem sie über ihre Gefühle sprechen und Ängste und Sorgen mit anderen Menschen teilen konnten.“ Viele Patienten berichteten von Schuldgefühlen, Hilflosigkeit, Ängsten und Unsicherheiten. Es gibt viele Emotionen und viele Tränen“, so die Abteilungsleiterin.

Jeder von ihnen trauert um einen geliebten Menschen, berichtet Fatima weiter. „Einige konnten noch nicht einmal Kontakt zu ihren Familien aufnehmen“. Die Patienten haben ein schlechtes Gewissen, weil „sie ein Dach über dem Kopf, Essen und Strom haben, während ihre Familien in Gaza leiden. Am Telefon erzählen die Kinder in Gaza ihren Eltern hier im AVH, dass sie Hunger und Durst haben“, so Fatima. 

Sorge um die Kinder

Einige der Patientinnen und Patienten sind Kinder, die in Begleitung eines Elternteils, meist der Mutter, behandelt werden. Die Eltern sorgen sich nun nicht nur um das kranke Kind, das sich in Krebsbehandlung befindet, sondern auch um ihre anderen Kinder, die in Gaza geblieben sind: „Zwei der begleitenden Eltern haben erfahren, dass ihre Kinder verwundet wurden. Sie befürchten, dass ihre Ehemänner ihnen nicht sagen wollen, wie schlimm es tatsächlich ist." Für viele Eltern ist es in dieser Situation schwierig, richtig für das kranke Kind da zu sein und ihm die Unterstützung zu geben, die es normalerweise bekäme. 

Während im AVH-Patienten fachgerecht versorgt werden, fehlt es in den Krankenhäusern in Gaza am Allernötigsten, wie Fatima von ihren Patientinnen und Patienten erfährt. „Ein Patient musste seine schwangere Frau und sein dreijähriges Kind in Gaza zurücklassen. Sie hat ihr Baby zur Welt gebracht und sich kurz darauf auf der Flucht vor den Bombenangriffen das Bein gebrochen. Behandelt werden kann sie nicht, weil die Krankenhäuser nicht mehr funktionieren."

Die aktuelle Situation beeinträchtigt den Erfolg der Krebsbehandlung. Die Patienten kümmern sich nicht mehr um ihre eigene Gesundheit, sondern wollen bei ihren Familien in Gaza sein. „Einige denken darüber nach, ihre Behandlung abzubrechen; eine Patientin verweigert das Essen“, sagt sie. „Mütter wollen zurückkehren und mit ihren Kindern sterben.“ 

Die Lage ändert sich täglich

Das Team für psychosoziale Unterstützung veranstaltet jede Woche Selbsthilfegruppen. „Die Dinge ändern sich schnell, es sind sehr schwierige Zeiten", erklärt Fatima. Patienten, deren Familien es letzte Woche noch gut ging, erhalten vielleicht schon Tage später eine schlimme Nachricht. Das Team bleibt in engem Kontakt und sorgt dafür, dass Menschen in Not immer jemanden haben, an den sie sich wenden können.

„Viele Menschen schöpfen Kraft aus ihrem Glauben“, sagt Fatima. Das psychosoziale Betreuungsteam erhält auch selbst Unterstützung, um mit der Belastung durch die Arbeit fertig zu werden. Diese Unterstützung ist laut Fatima sehr wichtig: „In unserer Kultur weinen Männer nicht. Ich sage ihnen, dass Weinen in Ordnung ist. Gott hat uns Tränen gegeben, um zu zeigen, dass man einen Menschen geliebt hat und nun verloren hat.“ 

LWB/C. Kästner-Meyer