Aufruf zu rechtebasierter Arbeit mit Roma

10. Dez. 2013
Von links: Ivan Ivanov vom Europäischen Roma Informationsbüro und KKME-Generalsekretärin Doris Peschke. Foto: Ilkka Sipiläinen

Von links: Ivan Ivanov vom Europäischen Roma Informationsbüro und KKME-Generalsekretärin Doris Peschke. Foto: Ilkka Sipiläinen

Diakonie-Fachleute entwickeln Empfehlungen für zukünftige Aktivitäten

(LWI) – Diakonie-Fachleute aus ganz Europa haben die Kirchen aufgerufen, dem Dienst an den Roma und dem Eintreten für die Rechte dieser Bevölkerungsgruppe eine inklusive, rechtebasierte Theologie zugrunde zu legen.

Anlässlich einer Tagung, die vom 22. bis 24. November in Frankfurt am Main (Deutschland) stattfand, erklärten VertreterInnen von Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) sowie der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa (KKME), es müsse mehr getan werden, um in Kirche und Gesellschaft das Wissen über die Kultur und Geschichte der Roma-Minderheiten zu vertiefen, die überall auf dem Kontinent mit Diskriminierung und Marginalisierung konfrontiert seien.

Das Thema der von der Abteilung des LWB für Mission und Entwicklung (AME) und der KKME gemeinsam veranstalteten Konferenz lautete: „So seid ihr nun MitbürgerInnen im Haus Gottes“ (nach Epheser 2,19). Inhaltlicher Schwerpunkt waren Migration und gleiche BürgerInnenrechte für Sinti und Roma in Europa. Die Teilnehmenden betonten, die Kirchen müssten Raum schaffen für die persönliche Interaktion mit Roma und den Austausch über Lebensgeschichten, Kultur und Gottesdienst.

Die im diakonischen Bereich Tätigen waren sich einig, dass auch weiterhin Bündnisse mit anderen Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und Gruppen, die Advocacyarbeit mit und für Roma betreiben, geschmiedet und Plattformen geschaffen werden müssen, die unterschiedlichen Minderheiten die Möglichkeit geben, sich gegenseitig zu unterstützen.

Die Kirchen in Europa, so die Teilnehmenden weiter, seien in der Pflicht, gegen die den Roma entgegengebrachte Feindseligkeit (Antiziganismus) Position zu beziehen und sowohl die Zusammenhänge mit anderen Vorurteilen wie Antisemitismus aufzuzeigen als sich auch bewusst zu werden, dass die Diskriminierung von Roma oft unbeachtet bleibe.

„Diese Konferenz ist ein wichtiger Schritt, um einen Überblick darüber zu gewinnen, wo wir als Kirchen in Europa heute stehen, was den Dienst mit und an Roma und insbesondere unser öffentliches Zeugnis gegen Rassismus und Antiziganismus angeht“, erklärte AME-Europareferentin Pfarrerin Dr. Eva Sibylle Vogel-Mfato.

KKME-Generalsekretärin Doris Peschke fügte hinzu, sowohl in den Ursprungsländern, in denen Roma leben, als auch in den Ländern, wo sie Aufnahme finden, reagierten Kirchen auf die Bedürfnisse der Roma-Gemeinschaften. Seit der Konferenz „Leben in Gemeinschaft – auf dem Weg zur Chancengleichheit und Überwindung von Diskriminierung“ vor 12 Jahren habe sich eine verstärkte Identifikation mit der Problematik entwickelt.

Negativer öffentlicher Diskurs zur Migrationsthematik

Die Teilnehmenden stellten fest, der durch die Globalisierung und fortdauernde Wirtschaftskrise geprägte Kontext in Europa gebe neuen nationalistischen Bewegungen Nahrung, die mit Fremdenfeindlichkeit und Gewalt einhergingen.

Die Kirchen agierten vor dem Hintergrund eines negativen öffentlichen Diskurses zur Migrationsproblematik. Die Freizügigkeit für europäische BürgerInnen gelte zwar als wichtiger Wert und wesentliches Recht, den Roma werde jedoch der Missbrauch dieses Rechts vorgeworfen.

Michelle van Burik (Kerk in Actie, Niederlande) legte dar, dass die Diskriminierung von Roma bis ins Mittelalter zurückreiche und dass die Gemeinschaft Opfer des nationalsozialistischen Völkermords im Zweiten Weltkrieg wurde.

„Und was erleben wir heute? Wir erleben, dass Neonazis und faschistische Parteien auf dem Vormarsch sind und ihre Netzwerke weltweit ausbauen und konsolidieren. Wir beobachten aufs Neue Übergriffe auf Roma, Sinti und Jüdinnen/Juden. Sind wir uns bewusst, welche Gefahren das birgt?“, mahnte van Burik.

Ivan Ivanov, Direktor des Europäischen Roma Informationsbüros (ERIO) in Brüssel, stellte fest, zwischen 38 und 45 Prozent der EuropäerInnen lehnten Roma als NachbarInnen oder KollegInnen ab, was die Ghettoisierung in Europa zementiere.

„Würden die Regierungen in die Bildung von Roma-Kindern und die gesellschaftliche Integration investieren, würden die Staaten letztlich auf vielen Ebenen, auch auf der wirtschaftlichen und sozialen, davon profitieren“, ergänzte Ivanov.

Der Geschäftsführer des Fördervereins Roma e. V. in Frankfurt, Joachim Brenner, berichtete, bei den jüngsten Wahlen in Deutschland hätten PolitikerInnen mit der Behauptung, viele würden kommen und das Sozialsystem belasten, rassistischen Gefühlen gegen Roma das Wort geredet.

Die Anzahl von Roma, die nach Deutschland kämen, sei nach wie vor sehr gering und das Land sollte in der Lage sein, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden: „Wir sind … dafür verantwortlich, mit ihnen zu teilen und sie in ihrem Streben nach einer tragfähigen Existenzgrundlage und nach Integration zu unterstützen.“

Christine Heinrichs vom Frankfurter Verein für soziale Heimstätten e.V. merkte an, unter den Obdachlosen in der Stadt seien 48 verschiedene Nationalitäten vertreten, unter den 120 betreuten Gefährdeten seien jedoch nur 40 Roma, die aber sichtbarer seien, da sie in Gruppen zusammenlebten.

Unterschiedliche Ansätze

Versöhnungsakte mit den Roma-Minderheiten in Finnland, Norwegen und Schweden Ende der 1990er Jahre hätten zwar Raum für den Aufbau neuer Beziehungen geschaffen, Initiativen zur Weiterarbeit blieben jedoch ein dauerhaftes Thema. Für die Kirchen bedeute dies, sich diakonisch engagieren und dabei unterschiedliche Ansätze anwenden zu müssen.

In Norwegen arbeiteten Kirchen bei der Bereitstellung von Notunterkünften mit dem Roten Kreuz zusammen, zudem bemühe man sich um ein besseres Verständnis der Bedürfnisse der Gemeinschaft.

Gemeinden der Schwedischen Kirche engagierten sich im Advocacy-Bereich und arbeiteten mit den Roma an ihrer Integration in die Gesellschaft.

In Finnland wiederum setze sich die Kirche für die Roma ein im Blick auf Wohnraum und Migration und leiste diakonische Unterstützung. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe habe Luthers Kleinen Katechismus ins Romani übersetzt.

Aus den Niederlanden wurde berichtet, für die Roma-Bevölkerung sei Staatenlosigkeit ein gravierendes Problem. Viele müssten 20 Jahre auf ihre Einbürgerung warten. Die Kirchen gehörten angesichts der Angst vor rechtsgerichteten Gruppen zu einer nur kleinen Zahl von Akteuren, die in der niederländischen Gesellschaft für Roma einträten.

In Rumänien, Serbien, der Slowakei, Tschechien und Ungarn befassten sich die Kirchen mit Problemen in den Bereichen Wohnraum, sanitäre Anlagen und Bildung und organisierten Angebote zur Vermittlung von berufsrelevanten Kompetenzen sowie einkommenschaffende Projekte.

Die Tagung war für den LWB von besonderer Bedeutung, da die Elfte Vollversammlung 2010 die Kirchengemeinschaft in einer ihrer Resolutionen beauftragt hatte, sich mit der Situation sozial benachteiligter Gruppen und ethnischer Minderheiten in Mittel- und Osteuropa, insbesondere der Roma, zu befassen.

„Die Konferenz hat uns einen wichtigen Impuls für die Weiterarbeit an diesem Schwerpunkt in der Region gegeben“, so das Fazit Vogel-Mfatos.