Zusammenstehen für eine stärkere Flüchtlingshilfe

22. Jun. 2022

Religionsübergreifende Konferenz beleuchtet Aktivitäten, um „Fremde willkommen zu heißen“

Welcoming the Stranger conference, day one

Oberrabbiner Sizomu Gershom aus Uganda kommt zum Beginn der Konferenz „Fremde willkommen zu heißen“. Foto: LWB/M. Renaux

GENF, Schweiz (LWI) – Führungspersonen christlicher, muslimischer und jüdischer Gruppierungen, die in verschiedenen Teilen der Welt Flüchtlingshilfe leisten, trafen sich am 20. Juni in Genf, um sich über bewährte Methoden in einem zunehmend schwierigeren globalen Umfeld auszutauschen.

Vertreterinnen und Vertreter von über 50 glaubensbasierten Organisationen nahmen an einer zweitägigen Konferenz unter dem Titel „Fremde willkommen heißen – die Zukunft gestalten“ teil. Die Veranstaltung ist eine gemeinsame Initiative des Lutherischen Weltbunds (LWB) in Zusammenarbeit mit Islamic Relief Worldwide (IRW) und HIAS, dem jüdischen Hilfswerk, das sich um Flüchtlinge und Asylsuchende kümmert.

In ihrer Eröffnungsrede betonte LWB-Generalsekretärin Anne Burghardt, dass eine koordinierte Notfallhilfe von Menschen des Glaubens in der jetzigen globalen Flüchtlingskrise dringender benötigt werde als je zuvor. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und angesichts steigender Treibstoffpreise, einer schnell wachsenden Inflation und der Sorge um die Nahrungsmittelversorgung sagte sie: „Viele westliche Länder wenden sich dem Inneren zu und als glaubensbasierte Organisationen können wir hier nicht still bleiben.“

Mark Hetfield and Anne Burghardt

Präsident und Geschäftsführer von HIAS, Mark Hetfield mit LWB-Generalsekretärin, Pfr. Anne Burghardt. Foto:LWB/M. Renaux

Der Präsident und Geschäftsführer von HIAS, Mark Hetfield, schloss sich ihren Worten an und wies darauf hin, dass die jüdische Gemeinschaft nur „einen geringen Prozentsatz“ der Weltbevölkerung ausmache. „Wir müssen gemeinsam handeln,“ sagte er, denn „wir wissen, dass wir alleine nichts tun können.“ Er räumte ein, dass Religionen bei Konflikten und Krisen „Teil des Problems sein können“, betonte jedoch: „Wir müssen unangenehme Gespräche führen, damit gewährleistet ist, dass Glauben und Religionen Teil der Lösung sind.“

Waseem Ahmad, der Geschäftsführer von IRW, unterstrich, wie wichtig es sei, die Gemeinden an der Basis, die sich täglich um eine würdevolle Behandlung von Geflüchteten bemühen, zu stärken und sie mit größeren Mitteln auszustatten. „Wir sind heute hergekommen, um den lokalen Gruppen demütig zuzuhören und von ihnen zu lernen,“ sagte er und fügte hinzu, dass der Islam ausdrücklich von seinen Gläubigen verlange, „Flüchtlinge in unsere Heimstätten aufzunehmen“.

Zu den religiösen Führungspersonen gesellte sich während der Eröffnungssitzung Gillian Triggs, die stellvertretende Hochkommissarin für Schutzfragen beim UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. In der COVID-19-Pandemie, so Triggs, „merkten wir, dass wir enger mit den Gemeinden vor Ort arbeiten müssen“ und dazu gehörten auch die glaubensbasierten Organisationen. Diese Gruppen, sagte sie, „verschafften uns Zugang zu Flüchtlingslagern oder Konfliktgebieten“ und oft „bleiben sie dort, nachdem die Finanzhilfen [von internationalen Stellen] ausgelaufen sind“.

Gillian Triggs

Gillian Triggs, stellvertretende Hochkommissarin für Schutzfragen beim UNHCR im Gespräch mit Führungspersonen von HIAS, LWB and IRW. Foto: LWB/M. Renaux

Theologische Gebote

Religiöse Führungspersonen aus den drei Glaubensgemeinschaften sprachen von den theologischen Geboten, die in den sakralen Texten der jeweiligen Tradition enthalten sind. Erzbischöfin Antje Jackelén von der Kirche von Schweden stellt fest: „Das Thema der Fürsorge für den Fremden zieht sich wie ein roter Faden“ durch die Heiligen Schriften der Christen und Juden. Sie reflektierte, wie Jesus von „einer Fremden,“ der Frau aus Kanaan im Matthäus-Evangelium, hinterfragt wurde, die „ihn überzeugte, seine Mission zu überdenken“. Die Erzbischöfin, die ein religionsübergreifendes europäisches Netzwerk mit dem Namen „A World of Neighbours“ (Eine Welt voller Nachbarn) ins Leben gerufen hat, sagte: „Sie dürfen nicht unterschätzen, welche Gaben ein fremder Mensch zu Ihnen bringen kann, nämlich Mut, Widerstandskraft und Scharfsinn.“

Abdul Mu’ti, Generalsekretär des Zentralrats der Muhammadiyah, einer nichtstaatlichen Bildungsorganisation in Indonesien, betonte, dass Muslime durch ihren Glauben dazu verpflichtet seien, Menschen des Friedens zu sein und alle Menschen in Not, vor allem die Schutzlosesten, zu beschützen. Werde das nicht befolgt, sagte er, betrachte man das als Zeichen von Ungehorsam gegenüber Gott. 

Der Oberrabbiner von Polen, Michael Schudrich, sprach über die jüngste Erfahrung der jüdischen Gemeinschaft in seinem Land, die Millionen von ukrainischen Flüchtlingen auf der Flucht vor den russischen Angriffen auf ihre Städte und Dörfer geholfen habe. Zu Beginn des Krieges richtete die Gemeinde in Warschau einen Krisenstab ein, und er reflektierte, wie die polnischen Juden von Flüchtlingen auf der Empfangsseite zu Menschen wurden, die „lernten, wie man anderen in Not gibt“.

Vertreterinnen und Vertreter mehrerer Graswurzelorganisationen gaben Beispiele ihrer Arbeit mit Flüchtlingen und Gastgebergemeinschaften sowie Heimkehrenden, die traumatische Erlebnisse wie Menschenhandel, Vergewaltigung und Folter überlebt haben. So sprachen Emmanuel Gabril von der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria und Abeya Wakwoya, Leiter der Kommission für Entwicklung und soziale Dienste der Äthiopischen Evangelischen Kirche Mekane Yesus, über das Projekt Symbols of Hope (Zeichen der Hoffnung). Es leistet seelsorgerische und psychosoziale Fürsorge für Heimkehrende und bietet ihnen Schulung in Fertigkeiten und Unterstützung beim Lebensunterhalt an.

Religious leaders at Welcoming the Stranger conference

(v.l.n.r.) Pfr. Dr Sivin Kit, LWB-Programmreferent für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen, Oberrabbiner von Polen, Michael Schudrich, Prof. Abdul Mu’ti, Generalsekretär des Zentralrats der Muhammadiyah und Erzbischöfin Antje Jackelén von der Kirche von Schweden. Foto: LWB/M. Renaux

Bildungsmaßnahmen

Nageeba Hassan Tegulwa, die muslimische Co-Vorsitzende von Interfaith Women in Uganda (Frauen verschiedener Glaubensrichtungen in Uganda), schilderte ihre Arbeit, die darin besteht, Bildungsmaßnahmen für junge Flüchtlinge und Mitglieder der Gastgebergemeinschaften zu erarbeiten, damit diese sich nicht um die knappen Ressourcen streiten. Im Mittelpunkt des Schulungsprojekts stehen Heilung und die Überwindung von Stigmatisierung. Dazu wird den Jugendlichen beider Gemeinschaften beigebracht, sich „als einander ergänzende Teile eines Puzzles“ zu sehen.

Rabbi Nava Hefez aus Jerusalem, Bildungsleiter eines Projekts namens Miklat Israel (Schutzraum Israel), sprach über die Arbeit der Organisation, die damit begann, überwiegend sudanesische und eritreische Asylsuchende zu unterstützen, denen 2017 die Abschiebung durch die israelische Regierung bevorstand. In der Folge meldeten sich 2.000 israelische Familien, die den von Abschiebung bedrohten Menschen Schutz und einen sicheren Unterschlupf anboten. Gleichzeitig gingen Demonstrierende der Organisation in Tel Aviv auf die Straße, um gegen die Verteufelung der afrikanischen Migrantinnen und Migranten zu protestieren. 

Heidy Quah, eine junge Menschenrechtsaktivistin in Malaysia, gründete eine Gruppe namens Refuge for the Refugees (Zuflucht für Geflüchtete), um Dienstleistungen und Netzwerke nutzbar zu machen, über die Migrantinnen und Migranten für ihre Rechte eintreten können. Sie sprach über die Arbeit der Organisation während der Pandemie, als die Regierung Arbeitsmigrant:innen ins Visier nahm, diese verhaftete, ihnen Impfstoffe verweigerte und sie als, wie sie sagte, „COVID-Träger“ bezichtigte. In dieser schwierigen Zeit, fügte sie hinzu, vermerkte die Organisation die von den Kirchen, Moscheen und Gurudwaras angebotenen Hilfeleistungen auf einer Karte, damit Migrantinnen und Migranten an der nächstgelegenen Stelle Hilfe und Unterstützung finden konnten.

Der syrische Psychiater Mohamed Abo Hilal, ein im Süden der Türkei lebender Flüchtling, berichtete von seiner Arbeit mit einer Organisation namens Syria Bright Future (Glänzende Zukunft Syrien). Sie bieten ihre Dienste anderen Überlebenden des Krieges an, vor allem Waisen und Frauen, die Opfer geschlechtsbezogener Gewalt wurden. Die Rolle des Glaubens, stellte er fest, sei für diese Flüchtlinge oft wesentlicher Bestandteil des Genesungsprozesses. Doch nichtstaatliche Organisationen wie die seine „können die Glaubenskomponenten nicht erwähnen“. Er sagte, dass die 2018 von LWB und IRW in Zusammenarbeit mit HIAS und anderen glaubensbasierten und säkularen Organisationen herausgegebenen Leitlinien für religionssensible humanitäre Hilfe geholfen habe, diese Ansicht zu ändern.

Mongi Slim, Regionalpräsident des Tunesischen Roten Halbmonds, legte die Arbeit seiner Organisation im Süden des Landes an der Grenze zu Libyen dar. „Wir kriegen sehr viele Leichen von Menschen, die auf See gestorben sind,“ sagte er und schilderte, wie von allen Opfern eine DNA-Probe genommen werde, damit sie identifiziert und ihre Familien benachrichtigt werden können. „Jeder Flüchtling wird mit einer Nummer beerdigt,“ erklärte er, „doch sie alle haben einen Namen und eine Familie, mit Eltern, die wissen wollen, wo ihre Kinder sind.“

Die Teilnehmenden forderten mehr Unterstützung für ihre Arbeit durch verstärkte religionsübergreifende Fürsprachearbeit und Bewusstseinsbildung, eine solide Finanzierung der Organisationen vor Ort und vermehrte Bildung rund um den Schutz von Flüchtlingen in den verschiedenen religiösen Traditionen. Religiöse Führungspersonen, betonten sie, können eine wichtige Rolle dabei spielen, die Ansichten über die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu ändern und säkulare Organisationen effektiver für die Zusammenarbeit mit gläubigen Menschen zu rüsten.

LWF/P. Hitchen