Vertriebene in Zentralafrika finden Zuflucht in lutherischer Kirche

28. Mai 2014
Die Binnenvertriebene Naomie Komessé in der Kirche der lutherischen Timotheus-Gemeinde in Bangui, der Hauptstadt der ZAR. Foto: LWB/P. Mumia

Die Binnenvertriebene Naomie Komessé in der Kirche der lutherischen Timotheus-Gemeinde in Bangui, der Hauptstadt der ZAR. Foto: LWB/P. Mumia

LWB-Mitgliedskirche in der ZAR braucht mehr Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung

(LWI) – Es ist Sonntagabend in der lutherischen Timotheus-Gemeinde in Bangui und das Tor zu dem mit Steinmauern umgebenen Gelände ist fest verschlossen. Auf dem schwach beleuchteten Grundstück tut sich einiges: spielende Kinder rennen herum, ein paar Jugendliche haben sich in kleinen Gruppen unter zwei fast leeren Zelten zusammengesetzt, eine Frau stochert im offenen Feuer, auf dem sie das Essen für ihre Familien zubereitet. Neben der Kirchentür haben sich mehrere Frauen und Kinder versammelt.

Im überdachten Empfangsbereich vor dem Gemeindehaus ist Gemeindepfarrer Paul Denou mit mehreren Personen in eine lebhafte Diskussion verwickelt. Es geht um den Unterschied zwischen einem Binnenvertriebenen (Internally Displaced Person, IDP) und einem Flüchtling. „Macht es denn letztlich einen Unterschied, ob du dich hier oder ausserhalb des Landes befindest? Tatsache ist doch, dass du von zuhause vertrieben wurdest“, sagt Jean Georges Haman gewissermassen als Fazit.

Seit Dezember 2013 lebt der pensionierte Polizist Haman (65) mit sechs Familienmitgliedern in dieser Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Kirche der ZAR (EEL-RCA) in Bangui, nachdem die Familie in ihrem Haus im Hauptstadtviertel Fondo überfallen und ausgeraubt worden war. „Als wir geflohen sind hatten wir nichts als die Kleider auf dem Leib“, erzählt er. Bei dem Angriff wurden insgesamt 17 Mitglieder seiner Familie vertrieben. Bislang konnte keiner von ihnen zurückkehren, da viele Häuser zerstört oder geplündert wurden. Nach wie vor verüben entweder die mit den Séléka-Rebellen verbündeten bewaffneten Milizen oder sich rächende Anti-Balaka-Gruppen Gewaltakte verüben und schrecken auch vor Entführung, Folter und Mord nicht zurück.

Angriffe auf die Kirche

Haman ist einer von 120 Binnenvertriebenen, die derzeit in der lutherischen Timotheus-Gemeinde etwa 500 Meter vom internationalen Flughafen M‘Poko entfernt untergebracht sind. In Bangui haben über 142.000 Binnenvertriebene in Kirchengebäuden, Moscheen, auf Feldern in der Nähe des Flughafens und anderswo sowie bei Gastfamilien Zuflucht gefunden.

„Zum Höhepunkt der Krise im Dezember war dieser Ort hier überfüllt“, erzählt Denou vor den inzwischen weitgehend leeren Zelten, in denen bis zu 1.800 Menschen aus allen Teilen der Hauptstadt untergebracht waren. Obwohl die Kirche ein Zufluchtsort ist, blieb sie von bewaffneten Angriffen nicht verschont, berichtet der lutherische Pfarrer und zeigt auf eine Einschussstelle neben seinem Schlafzimmerfenster. Am 23. Februar war eine bewaffnete Gruppe über die Grundstücksmauer geklettert. „Sie haben das Haus geplündert und alles was sie tragen konnten gestohlen: Geld, den Fernseher, das Gemeindemotorrad, ein Kinderfahrrad.... Doch zum Glück wurde niemand getötet“.

Diejenigen, die beschlossen haben hier zu bleiben, unterstützen sich gegenseitig. Sie versuchen ein günstiges Lebensumfeld zu schaffen und für sich und ihre Familien zu sorgen. Die Hilfe von örtlichen und internationalen Nichtregierungsorganisationen sei zusammengeschmolzen, seitdem sich viele Binnenvertriebene der wachsenden Zahl von Flüchtlingen in den Nachbarländern angeschlossen haben, so der Pfarrer. „Doch wie sollen wir ohne diese Solidarität überleben? Inzwischen bekommen wir kaum noch Hilfe“, erzählt er.

„Da wir keine offiziellen Sicherheits- oder Hilfsmassnahmen erhalten, sorgen unser eigenen Teams dafür, dass auf dem Gemeindegelände alles ordentlich funktioniert“, erläutert Denou. Angèle Vanguéré schildert ihre Arbeit als Freiwillige im Team für Hygiene und Sanitäranlangen auf dem Gelände der lutherischen Gemeinde: „Als Verantwortliche für die vertriebenen Frauen sorge ich dafür, dass das bisschen Wasser gerecht verteilt wird, die Latrinen sauber sind; ich schaue nach den Kranken, schicke sie wenn nötig ins Krankenhaus und helfe den anderen dabei, das Gelände sauber zu halten.“

Zu wenig Essen und Medikamente

Im Inneren der Kirche sitzen Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche allein oder in Gruppen auf Kirchenbänken, Pappkartons, Bastmatten, den wenigen Matratzen auf dem Boden unter Moskitonetzen oder allein in einer stillen Ecke. Hinter einem Pfeiler breitet Armelle Kagale ihre Schlafmatte aus und schiebt einen grossen Zuber zur Seite. Er ist gefüllt mit kleinen blauen Plastiktüten von jeweils 500 Gramm Holzkohle, die sie in grösseren Mengen kauft und in kleinen Päckchenfür etwa 750 CFA-Franken (1,50 USD) weiterverkauft. Vor kurzem wurde bei Armelle Tuberkulose diagnostiziert, aber noch weiss sie nicht, wie sie die Medikamente bezahlen soll. Was sie am Tag verdient reicht kaum zum Essen.

Neben dem Altar kuschelt Ruth Nambeyam mit ihrem fünfjährigen Sohn Michel Biro. Seine siebenjährige Schwester Esther Yvele steht still daneben und streichelt ab und zu ihren Bruder. Vor kurzem musste der Junge wegen Mangelernährung ins Krankenhaus. Angèle Vanguéré beruhigt die Mutter: Das Team der Kirche wird ihr dabei helfen, die nötigen Medikamente für den Jungen zu bekommen. Doch das ist schwierig, da die Hilfsorganisationen in der Stadt, welche kostenlose Behandlungen angeboten haben, aufgrund der schlechten Sicherheitslage schliessen mussten.

Auf einer Kirchenbank ganz in der Nähe sitzt Naomie Komessé mit ein paar Taschen, die ihr ganzes Hab und Gut enthalten, und beobachtet die Szene: Kleider hängen zum Lüften auf den Kirchenbänken, der Boden ist übersät mit Schlappen, in einem Plastikeimer liegen Wasserflaschen und Kochgeschirr, an den Bänken sind Moskitonetze befestigt. Sie spricht nicht viel, sondern nickt nur stumm, denn hier ist sie erst einmal sicher.

Friedensverhandlungen und humanitäre Hilfe

Weiter hinten im Empfangsbereich unterhalten sich Pfr. Denou und das Sicherheitsteam über die sich verschlechternde Sicherheitslage. Seit sich die politischen Spannungen im Dezember 2012 zugespitzt haben, wachsen Furcht und Ungewissheit unter der Zivilbevölkerung. Zunehmend kommt es zu Angriffen durch die mit den Séléka-Rebellen verbündeten Gruppen und darauffolgende Vergeltungsaktionen der Anti-Balaka-Milizen. „Wer hätte gedacht, dass es jemals so weit kommt?“, fragt der Pfarrer und fügt hinzu: „Wir haben immer friedlich Seite an Seite gelebt – Muslime, Christen und Menschen anderer Glaubensrichtungen“.

Humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung und Verhandlungen seien dringend notwendig, um die gegenwärtige Situation zu überwinden, betont EEL-RCA-Vizepräsident Pfr. Jean Gbani, am Hauptsitz der Kirche in Bouar rund 400 km nordwestlich der Hauptstadt. „Alle werden von dieser Krise in Mitleidenschaft gezogen. Wir haben viel verloren und die Menschen leben in ständiger Angst vor neuen Angriffen“, erklärte er während eines Treffens mit dem Nothilfeteam des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der ZAR.

Interreligiöse Friedensplattform

Wie Gbani erläutert haben die lutherische Kirche und Führungspersonen der muslimischen und anderer christlichen Gemeinschaften eine interreligiöse Friedens-Plattform gegründet. Damit wollen sie die Gemeinschaften ermutigen, sich gemeinsam für ein Ende der Gewalt und die Wiederherstellung des Friedens in ihrem Land einzusetzen.

„Religiöse Gemeinschaften spielen eine wichtige Rolle dabei, den Frieder in der Zentralafrikanischen Republik wieder herzustellen“, ergänzt Serena Badenhorst, Leiterin des LWB-Nothilfeteams in der ZAR. „Wir werden auch weiterhin auf diese Zusammenarbeit mit der lutherischen Kirche bauen, um uns um die Menschen zu kümmern, die am meisten von dieser Krise betroffen sind – unabhängig von ihrer Religion.“

Dank der Unterstützung des LWB und seiner Partner im ACT-Bündnis konnte die EEL-RCA Tausende von Binnenvertriebenen in den Präfekturen Ouham-Pendé, Nana-Mambéré und in der Gemeinde in Bangui mit Lebensmitteln versorgen. Das LWB-Nothilfeprogramm für Vertriebene im Nordwesten des Landes umfasst neben Nahrungsmitteln auch Unterstützung, damit der Zugang zu Wasser, Sanitäranlagen und Hygiene wiederhergestellt werden kann.

Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen zur Koordination der humanitären Hilfe (OCHA) hat die ZAR bis zum 15. Mai über 560.000 Binnenvertriebene und knapp 350.000 Flüchtlinge gemeldet. Etwa 2,5 Millionen Menschen (54 Prozent der Bevölkerung) sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

(Die Interviews für diesen Beitrag wurden von den Mitgliedern des LWB-Nothilfeteams im Mai während ihres Besuchs in der ZAR durchgeführt.)