USA: „Ich glaube an den Heiligen Geist“

7. Okt. 2022

In diesem Interview berichtet Cheryl Peterson, Professorin für Theologie und stellvertretende Dekanin der Wissenschaft am Trinity Lutheran Seminary an der Capital University in Ohio und Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, ausführlich über lutherische und pfingstkirchliche Identität und den Heiligen Geist. 

Rev. Dr Cheryl Peterson

Cheryl Peterson, Professorin für Theologie und stellvertretende Dekanin für akademische Angelegenheiten am Trinity Lutheran Seminary der Capital University in Ohio. Foto: LWB/A. Danielsson

Interview mit Cheryl Peterson über den Heiligen Geist im Leben der Kirche

(LWI) – „Na gut, wenn du darauf bestehst”, hatte ihre Mutter erwidert, als die junge Cheryl Peterson darum bat, zur Kirche gehen zu dürfen, um mehr über Gott zu erfahren. 

Cheryl Peterson, Professorin für Theologie und stellvertretende Dekanin der Wissenschaft am Trinity Lutheran Seminary (lutherisches Dreifaltigkeitsseminar) an der Capital University in Ohio, gehört heute zu den Menschen, die mit dem Schwerpunkt auf „Pneumatologie“, dem theologischen Studium des Heiligen Geistes, zu und über Gott sprechen. 

Sie hat umfassend über lutherische und pfingstkirchliche Identität und den Heiligen Geist geschrieben und ist Mitglied der Lutherisch-Pfingstkirchlichen Dialogkommission des Lutherischen Weltbunds (LWB). Sie gehörte zum Planungsteam für die 2019 stattgefundene LWB-Konsultation „Wir glauben an den Heiligen Geist: Globale Perspektiven zur lutherischen Identität“ und unterhält zahllose ökumenische Beziehungen zu Angehörigen der katholischen und der charismatischen Kirche. 

In diesem Interview spricht die systematische Theologin Peterson über ihre Studien und ihre Begegnungen mit dem Heiligen Geist und der Kirche. 

Wie sah Ihr religiöses bzw. spirituelles Leben in der Kindheit aus und als Sie aufwuchsen?

Ich wuchs nicht in einem von der Kirche geprägten Zuhause auf. Getauft wurde ich hauptsächlich durch den Einfluss meiner Großmutter, als ich ungefähr 11 Monate alt war, aber meine Eltern waren kein praktizierende Christen. Daheim wurde nie gebetet. Wir lasen daheim nie die Bibel. Außer an Weihnachten und Ostern gingen wir nie zur Kirche. Irgendwann in der Grundschule packte mich das Kirchenfieber. Ich erinnere mich, dass ich als kleines Mädchen Davey and Goliath anschaute, einen lutherischen Zeichentrickfilm, der von religiösen und weltlichen Fernsehsendern ausgestrahlt wurde. Ich erinnere mich, dass ich mich für Gott interessierte und nicht wusste, mit wem ich reden sollte, denn meine Familie sprach kaum über Gott. Ich dachte: „Also, in der Kirche wird über Gott gesprochen.“ Ich fragte meine Mutter, ob sie mich dorthin bringen würde, und sie sagte „Na gut, wenn du darauf bestehst.“

Irgendwann zwischen 10 und 12 wurde ich in der Jugendgruppe der Kirche aktiv.

Ich wuchs in Worthington, einem Vorort von Columbus, Ohio / USA, auf und unsere Kirche dort bekam immer Praktikantinnen und Praktikanten vom Trinity Lutheran Seminary, an dem ich jetzt lehre. Doch in einem Jahr, 1980, bekamen wir unsere erste Praktikantin, die nicht aus dem Trinity Seminary stammte, sondern von der Harvard Divinity School. Weil sie eine Frau war, sagten alle: „Oh, mein Gott, ein weiblicher Praktikant! Wir hatten noch nie einen weiblichen Praktikanten.“  

Ihr Name war Elizabeth Eaton, und heute ist sie leitende Bischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika. Ich war da 16, und in dem Moment wurde sie zu einem unglaublich prägenden Menschen in meinem Leben und zu einer wichtigen Person für meine Glaubensentwicklung. 

Wann haben Sie bemerkt, dass Sie zum Dienst in der Geistlichkeit berufen wurden?

Im Sommer 1984, zwischen meinem ersten und zweiten Semester an der Wittenberg University in Ohio, belegte ich in Genf über die Uni einen Sommerkurs mit dem Titel „Globale Themen und Weltkirchen“ und während der letzten beiden Wochen des Kurses nahmen wir an der Siebten LWB-Vollversammlung im ungarischen Budapest teil. Damals war Bischof David W. Preus LWB-Vizepräsident.

Für mich war es atemberaubend, wie viele Lutheranerinnen und Lutheraner aus der ganzen Welt an einem Ort versammelt waren und darüber sprachen, wie sie ihren Glauben in der Welt ausleben, sich für Gerechtigkeit einsetzen und mit dem Übel der Apartheid umgehen. Das war in dem Jahr, als die Delegierten die Mitgliedschaft von zwei weißen südafrikanischen Kirchen aufhoben, weil diese sich weigerten, die Rassentrennung in ihren Kirchen zu beenden. Das war auch im selben Jahr, als Frauen das Podium übernahmen, weil es im Vollversammlungsbetrieb keine weibliche Repräsentation gab. Das hat mich vor Staunen fast umgehauen. 

Wieder daheim beschloss ich, im Nebenfach Religion zu studieren, und ich schrieb mich schließlich im Seminar an der Lutherischen Schule für Theologie in Chicago ein, und dort wurde der Ruf immer stärker. 

Was würden Sie sagen, hat Sie auf Ihre Arbeit mit dem Lutherisch-Pfingstkirchlichen Dialog des LWB vorbereitet?

Vor ein paar Jahren, als ich während meines ersten Sabbatjahres 2012-13 meine Dissertation in ein Buch umwandelte, war es mein Ziel, mit der Arbeit an einem Pneumatologie-Buch zu beginnen.

Ich trat der Gesellschaft für pfingstkirchliche Studien (GPS) bei. Noch davor präsentierte ich auf der theologischen Konsultation des LWB „Theologie im Leben der lutherischen Kirchen: Transformative Perspektiven und Bräuche heute“, die vom 25. bis 31. März 2099 in Augsburg / Deutschland stattfand, für die Seminargruppe zu Systematischer Theologie eine Abhandlung mit dem Titel „Pneumatologie und das Kreuz: Die Herausforderung der neuen Pfingstbewegung für die lutherische Theologie“, die zu meiner ersten Publikation über das Thema führte. 

Das Marquette-Seminar, an dem ich meinen Doktortitel erwarb, ist zwar eine jesuitische Institution, doch viele meiner Klassenkameradinnen und -kameraden im Referat Theologie kamen aus der Pfingstkirche, viele von ihnen sind heute führende pfingstkirchliche Theologinnen und Theologen. 

Als ich auf der GPS-Jahrestagung ankam, um meinen ersten Vortrag zu halten, kannte ich erstaunlich viele der anwesenden Personen vom Marquette-Seminar her. 

Die weltweit am schnellsten wachsende Bewegung unter den Menschen christlichen Glaubens sind das pfingstkirchliche und das charismatische Christentum, vermutlich weil ihnen der Glaube an die Gegenwart des Heiligen Geistes zugrunde liegt, der sich lebendig unter uns bewegt und uns auf der ganzen Welt verwandelt, und das finden die Menschen anziehend.

Ich nehme regelmäßig an der GPS teil und schreibe über das Thema Pneumatologie. Mein nächstes Buch, das bei Baker Academic erscheinen wird, trägt den Titel „The Holy Spirit in the Christian Life“ („Der Heilige Geist im christlichen Leben“) und befasst sich mit dem Thema sowohl aus Sicht der lutherischen als auch der pfingstkirchlichen Theologie. 

Wie haben diese ökumenischen Erfahrungen Sie zum Studium der Pneumatologie geführt? 

Als ich ans Marquette ging, lag mein Interesse bei der Ekklesiologie bzw. der Glaubenslehre der Kirche. Doch mein Doktorvater, ein Theologe der Evangelisch-Methodistischen Kirch von Amerika namens Lyle Dabney, hatte bei Jürgen Moltmann studiert. Er sagte: „Ich glaube, Sie müssen sich die Kirche aus dem Blickwinkel des dritten Artikels ansehen, dort findet sich die Kirche in den historischen Glaubensbekenntnissen.“ Pneumatologie ist sein Fachgebiet. Er regte mich dazu an, „mit dem Heiligen Geist anzufangen“. Zum Schluss schrieb ich meine Dissertation wie geplant über die Glaubenslehre der Kirche und stellte darin die These von einer „vom Heiligen Geist durchdrungenen Kirche“ auf. Meine Dissertation verarbeitete ich 2013 zu meinem Buch „Wer ist die Kirche?“. 

Die Verschiebung meines Interesses hin zur Pneumatologie wurde an der Graduiertenfakultät immer stärker, zum Teil auch wegen Dabney und meiner Beziehungen zu meinen pfingstkirchlichen Klassenkameradinnen und -kameraden am Marquette. 

Was sollten Menschen lutherischen Glaubens Ihrer Meinung nach über den Heiligen Geist wissen? 

In unserer Tradition ist der Heilige Geist in der Theologie gegenwärtig. Als heutige Menschen lutherischen Glaubens haben wir ihn nur noch nicht in den Vordergrund gerückt.

Mein Buch zeigt, dass Pneumatologie eine größere Rolle in der lutherischen Theologie spielt, als wir ahnen, wenn wir uns die heutigen Lutheranerinnen und Lutheraner im Norden und Westen so anschauen. Von der pfingstkirchlichen und charismatischen Bewegung können wir einiges lernen, genauso wie wir ihnen einiges beibringen können – schließlich handelt es sich um einen Dialog. Ich möchte hervorheben, dass wir einige ähnliche Anliegen haben, wie zum Beispiel unsere Kritik am „Wohlstandsevangelium“.  

Luther schrieb ausführlich über den Heiligen Geist, deshalb bin ich daran interessiert, einige seiner Gedanken über den Heiligen Geist zurückzuholen. So schreibt Luther beispielsweise im Kleinen Katechismus: „der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet“, er ist also Teil unserer Tradition. So steht es dort, und wir haben nur keinen besonderen Wert darauf gelegt, vielleicht aus Angst, wir könnten dann zu überschwänglich oder übermäßig fromm sein. In „Luthers umgekehrter Dreieinigkeit“, wie Timothy Wengert es nennt, ist es der Heilige Geist, der uns Jesus Christus den Sohn offenbart, der uns das Herz des Vaters und damit die Selbsthingabe Gottes offenbart.

Christinnen und Christen sprechen vom Heiligen Geist oft als ein „Geschenk“, doch das historische Glaubensbekenntnis bezeichnet den Heiligen Geist als „Lebensspender“, als denjenigen, der uns das Geschenk des Lebens macht und neues Leben in Christus schenkt. Deshalb legt mein Buch den Fokus darauf, wie der Heilige Geist uns dieses neue Leben, diese Wiedergeburt schenkt, wenn wir im Glauben von Sündenschuld freigesprochen werden. Und dann frage ich: „Wie gehen und leben wir, wenn wir in diesem neuen Leben vom Heiligen Geist begleitet und geführt werden, und in der Bewegung dessen, was wir Heiligung nennen?“ Wir werden geheiligt, doch um der anderen willen, und dann zu einem Leben im Dienst befähigt.

Auf welche praktikable Weise kann ein Mensch lutherischen Glaubens den Heiligen Geist zur Ausgangsbasis machen?  

Lutheranerinnen und Lutheraner könnten lernen, Zeugnis über ihr spirituelles Leben abzulegen, wie sie dem Heiligen Geist als Lebensspender begegnet sind und wie sie ihn erfahren haben, und sich auf persönliche Begegnungen einlassen, eine Methode, die im Community Organizing eingesetzt wird.

Sie können Zeugnis ablegen, wie der Heilige Geist uns für die Mission in der Welt befähigt, nicht nur ein Zeugnis der Evangelisation, sondern wie es uns dazu bewegt, uns auf der Welt für Gerechtigkeit einzusetzen. Der Heilige Geist gibt uns die Kraft, die Wahrheit auszusprechen, aber auch, gerecht zu handeln und uns für Gerechtigkeit einzusetzen.

Die Methode des persönlichen Gesprächs kann man auch als „heiliges Zuhören“ bezeichnen und stellt eine Möglichkeit dar, den Heiligen Geist einzuladen, dass er uns zum Wirken zum Wohle von Bedürftigen führt.

Als Menschen lutherischen Glaubens sind wir gut im Dienst der Gerechtigkeit. Nur reden wir nicht oft unter dem Aspekt des Heiligen Geistes darüber. Ich möchte, dass die Menschen Gerechtigkeit mit Pneumatologie verbinden. Johannes nannte den Heiligen Geist im Griechischen „Paraklet“, das heißt Trostspender oder Fürsprecher, doch wörtlich bedeutet es „einer neben dem andern“ oder wie ich es gerne nenne „der Begleiter“. Der Heilige Geist ist ein großartiger Begleiter bzw. einer, der uns begleitet. In dieser Begleitung empfangen wir Stimme, Macht und Kraft, um gemeinsam - in Einheit - Gottes Volk auf Erden zu sein.

Wie finden wir Zugang zum Heiligen Geist? Beim Heiligen Geist handelt es sich um Gott, der sich uns in Person des Heiligen Geistes zuwendet. Denn der Heilige Geist ist derjenige, der uns zum Glauben ruft. Im Großen Katechismus drückt Luther das so schön aus, wie uns der Heilige Geist bei der Hand nimmt, uns in den Schoß der Kirche setzt und uns von Jesus erzählt. 

Wie definieren Sie, was es heißt, spirituell zu sein? 

Ich definiere das als tiefe Verbundenheit mit Gott, als ein darauf Achten, wie Gott sich im Leben einer Person bewegt, und als ein Verlangen danach, mit Gott unterwegs zu sein und sich Gott nicht entgegenzustellen. Ich denke, Menschen können auch spirituell sein ohne religiös zu sein. Natürlich möchte ich die Menschen mit Jesus bekannt machen, doch einige Programme erleben Spiritualität auf eine Weise, die typischer oder für die Leute zugänglicher ist. 

Zum Beispiel kann eine Person dieses Verstehen des Heiligen Geistes in Programmen wie dem 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker finden. Da heißt es unter Schritt Elf: „Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir Ihn verstanden – zu vertiefen. Wir baten Ihn nur, uns Seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.“ Das gibt der genesenden Person die Möglichkeit, sich selbst in Gott zu erkennen, und die Macht, durch sich den Heiligen Geist für andere wirken zu lassen. 

Spirituell zu sein heißt, seine Identität und seinen Zweck zu finden, die einen in die Welt führen zur Fürsorge für andere. 

Spirituell zu sein holt uns nicht aus der Welt heraus.

Was bedeutet die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirchen für Ihre Arbeit und für Sie?

Die Teilnahme und die Beteiligung an der Konsultation von Addis 2019 stellt für mich einen Höhepunkt dar. Es war aufregend, dabei zu sein und die Gelegenheit zu haben, als eine Gemeinschaft zusammenzukommen und zu sagen, wir glauben an den Heiligen Geist, und gemeinsam Gottesdienste abzuhalten. Der Studienprozess bildete den Keim für die LWB-Dokumentation Nr. 63. 

Darum ist es unerlässlich, mit anderen Menschen christlichen Glaubens aus vielen verschiedenen Kontexten darüber zu sprechen, was der Heilige Geist dort tut. Und wie wir dem Heiligen Geist besser zuhören können. Deshalb liebe ich es so, Teil der weltweiten Gemeinschaft zu sein, denn es gibt so viele Stimmen aus vielen Kontexten. Wir können das ganze Bild nur erfassen, wenn wir zuhören, wie wir alle den Heiligen Geist innerhalb und außerhalb unserer Gemeinschaft und ökumenisch mit den Angehörigen der Pfingstkirchen, der katholischen Kirche, anderen protestantischen Kirchen und der anglikanischen Kirche erfahren.

    Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

    Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

     

    LWB/A. Gray