Ukraine: “Ich möchte nicht rumsitzen bis der Krieg zu Ende ist“

6. Apr. 2022
Landesbischof Ralf Meister (r.) und Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke im Gespräch mit Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Svitlana Kryzhanivska (l.) dolmetscht das Gespräch. Foto: Lothar Veit

Landesbischof Ralf Meister (r.) und Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke im Gespräch mit Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Svitlana Kryzhanivska (l.) dolmetscht das Gespräch. Foto: Lothar Veit

Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers heisst Geflüchtete willkommen

NEUSTADT AM RÜBENBERGE, Deutschland/GENF (LWI) – Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers, Deutschland, hat am 17. März in einer ruhigen Wohngegend in der Nähe von Hannover einen blau-gelben Treffpunkt eröffnet.

„Die Menschen aus der Ukraine kommen mit furchtbaren Erfahrungen zu uns“, sagte Landesbischof Ralf Meister beim Besuch des blau-gelben Treffpunkts der Diakonie in Neustadt am Rübenberge. Die Begegnungsstätte bündelt eine Vielzahl von Hilfsangeboten für Geflüchtete. Den Menschen solle konkrete Hilfe geboten werden, „die sie brauchen, damit sie sich mit ihren Nöten und Belastungen in unserer Gesellschaft aufgenommen fühlen“, betonte Meister.

Die Landeskirche stellt 2,5 Millionen Euro für Geflüchtete aus der Ukraine bereit. Die Summe soll kirchlichen und diakonischen Projekte im laufenden Jahr zufließen.

Etwas Normalität ermöglichen

Auf der Terrasse des evangelischen Pfarrhauses, das den Treffpunkt beherbergt, hört Svitlana Kryzhanivska (55) konzentriert zu, um zu dolmetschen. Neben ihr am Gartentisch sitzt ein Ehepaar, das rechtzeitig aus Cherson fliehen konnte, bevor die Russen die Stadt eroberten. Kryzhanivska verließ ihre westukrainische Heimatstadt Iwano-Frankiwsk ebenfalls. Schon am ersten Tag des Kriegs fielen dort Bomben auf einen nahen Militärflughafen. Noch im Februar hätte sich Kryzhanivska nicht träumen lassen, dass sie aufgrund ihrer Deutschkenntnisse aus der Schule in Niedersachsen einmal als Sprachmittlerin gefragt sein würde. Auch heute ist sie zum blau-gelben Treffpunkt gekommen, um zwischen Russisch, Ukrainisch und Deutsch zu übersetzen.

Die Anlaufstelle in Neustadt ist ein Treffpunkt, den der Diakonieverband Hannover-Land gemeinsam mit den Kirchenkreisen ins Leben gerufen hat. Im Kern gehe es darum, den Flüchtlingen wieder etwas Normalität zu ermöglichen, sagt die Sozialarbeiterin des evangelischen Kirchenkreises, Janet Breier, die das Angebot leitet.

Zum Angebot in Neustadt gehören unter anderem Spielecken, Küche, Waschmaschine, Rückzugs-Raum, Laptops und ein großer Garten. Wer will, kann auch die Sozialberatung oder die Schwangerenberatung von Diakonie-Mitarbeitenden in Anspruch nehmen. Pfarrerinnen und Pfarrer stehen zudem für die Seelsorge bereit. „Wichtig für die Gespräche ist auch die Möglichkeit der Kinderbetreuung“, betont Breier. Auch Sprachlern-Angebote sind geplant. Das große Team von Ehrenamtlichen sammelt und verteilt zudem Kleider- und andere Sachspenden.

Bei ihrer Arbeit können die Mitarbeitende auf den Erfahrungen des verstärkten Flüchtlingszuzugs 2015 aufbauen. „Anders als 2015 möchten die meisten wieder so schnell wie möglich zurück nach Hause“, sagt Breier. Zudem sei die Hilfsbereitschaft unter den Deutschen diesmal noch größer. „Ich erkläre mir das so, dass die Ukraine dichter an uns dran ist.“

Kryzhanivska hatte das Glück, in Neustadt bei Bekannten von Freunden unterzukommen. Dort sei sie zufrieden, sagt sie. So gehe es jedoch nicht allen. „Teppiche, Möbel, Schuhe, solche elementaren Dinge fehlen oft“, erzählt Kryzhanivska. Auch solche Dinge versuchen Breier und ihr Team für die Besucherinnen des Treffpunkts zu organisieren. „Ich habe von einer achtköpfigen Familie gehört, in der die Mutter immer zweimal kochen muss, weil der Topf zu klein ist“, sagt Kryzhanivska.

Trotz des Krieges wäre Kryzhanivska lieber in Iwano-Frankiwsk geblieben. Als sie abreiste, lebten ihre zwei Söhne, die Schwiegertöchter und die kleine Enkelin noch in Kiew, außerdem die krebskranke Schwester. Die Familie habe sich kurz nach Kriegsbeginn zusammengesetzt und das gemeinsame Vorgehen besprochen. Da Kryzhanivska fließend Deutsch spricht, sollte sie als erste nach Deutschland gehen. „Wenn sich die Lage verschlimmert, kommen meine Verwandten nach. Zum Glück sind sie jetzt erstmal in Iwano-Frankiwsk. Dort ist es ruhiger.“

Kryzhanivska ist froh, dass sie in Neustadt ihren Landsleuten als Übersetzerin helfen kann: „Wenn ich beschäftigt bin, ist mein Leben leichter. Unsere Frauen sind hochmotiviert und möchten alle arbeiten. Sie möchte nicht warten und rumsitzen bis der Krieg zu Ende ist.“

Nach Angaben der Bundespolizei wurden in Deutschland bis zum 29. März offiziell insgesamt 278.008 Personen gezählt, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind. Das sind aber lediglich die Kriegsflüchtlinge, die bereits registriert worden sind. Die wahre Zahl der eingereisten Geflüchteten ist wahrscheinlich wesentlich höher, weil keine Einreisekontrollen stattfinden und sich viele Flüchtlinge noch nicht offiziell gemeldet haben.

Quelle: epd, Urs Mundt. Redaktionell bearbeitet von LWB/A. Weyermüller