Theologie des Zorns, des Widerstandes und der Hoffnung

10. Dez. 2021
Jeannette Ada Maina, LWB-Vizepräsidentin für Afrika. Foto: LWB/A. Hillert

Jeannette Ada Maina, LWB-Vizepräsidentin für Afrika. Foto: LWB/A. Hillert

Frauen sprechen über Entkolonialisierung und feministische Theologien für Gendergerechtigkeit

GENF, Schweiz (LWI) – Aktivistinnen für Gendergerechtigkeit aus unterschiedlichen Teilen der christlichen Welt haben sich am 8. Dezember getroffen und darüber diskutiert, wie sie mit der anhaltenden Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen in der Kirche und in ihren Gemeinschaften umgehen sollen. Das gemeinsam vom Lutherischen Weltbund (LWB), dem ACT-Bündnis, dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und dem Netzwerk für Gendergerechtigkeit Side by Side veranstaltete Seminar befasste sich in erster Linie mit den drei grundlegenden theologischen Antworten „Zorn, Widerstand und Hoffnung“.

Die Veranstaltung war ein Teil der 16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt und zählte vier lutherische, katholische und methodistische Theologinnen und Aktivistinnen zu ihren Teilnehmenden. Sie haben Studien über die Wechselbeziehungen zwischen Feminismus und den anhaltenden Problemen verfasst, die Rassismus, Kolonialismus und patriarchale Kulturen mit sich bringen. So wie sich versklavte Frauen und Männer in vergangenen Jahrhunderten mit passivem Widerstand gegen ihre Unterdrückenden zur Wehr gesetzt hätten, müssten auch die Frauen von heute weiterhin gemeinsam gegen alle Formen von Diskriminierung und Verweigerung der von Gott gegebenen Rechte und ihrer Würde vorgehen. 

Jeannette Ada Maina, LWB-Vizepräsidentin für Afrika und die einzige Doktorin der Theologie in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kameruns, berichtete über die Widerstände und Ablehnung, die ihr sowohl von Männern als auch von Frauen in ihrer Kirche entgegengebracht würden. „Ich kann nicht schweigen angesichts der Ungerechtigkeiten, die andere Menschen erleiden müssen“, sagte sie und beschrieb diese Arbeit als einen „täglichen Kampf gegen von außen wirkenden Kräften, die alles zu zerstören versuchen, an das ich glaube.“

 LWF/A. Hillert

Gott beruft alle Menschen, Männer wie Frauen, zu einem „Leben des Gedeihens, des Glücks und der Erfüllung“, so die Professorin für Ethik und praktische Theologie, „und doch glauben immer noch viele Menschen, dass Frauen keine Stimme und keine Meinung zustehen.“ Praktiken, die „Frauen kleinhalten, unterdrücken und verächtlich machen, sind Praktiken, die sich gegen Gott selbst richten“, sagte sie, und fügte hinzu, dass „alle Gewalt gegen Frauen Gewalt gegen die Menschheit und gegen Gott ist.“

Die aus Angola stammende Professorin und Pfarrerin Elvia Moisés da Silva Cazombo von der Vereinigten Methodistischen Kirche sprach über das zerstörerische koloniale Vermächtnis in ihrem Land, aufgezwungen durch fremde Mächte und europäische Missionare. Sie sagte, dass die Frauen in Angola immer noch unter den Folgen „eurozentrischer Theologien und patriarchaler Systeme“ litten. Das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt sei immens, sagte sie, und erinnerte an die gewalttätige Behandlung weiblicher Sklaven in vergangenen Jahrhunderten. Die modernen Theologien des Widerstandes, so fügte sie hinzu, seien „in dem Leid und in der Solidarität unserer Vorfahren verankert.“

Eine zweite lutherische Teilnehmerin der Diskussionsrunde, Mary Joy Philip, wies darauf hin, dass „das Kolonialprojekt nach wie vor sehr lebendig und virulent ist“, da westliche Nationen immer noch die Kontrolle über die Länder im globalen Süden anstrebten. „Wir müssen unsere Köpfe entkolonialisieren“, sagte sie weiter, auch, „wenn das chaotisch und verstörend ist“.  Philip, die als Dozentin für lutherische globale Theologie und Mission und Leiterin des Master of Divinity-Programms am Martin Luther University College in Kanada tätig ist, führte als Beispiel für eine Widerstandsbewegung gegen die Kolonialmächte jener Zeit Jesus und seine Jünger an. 

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Philip, die auch das Center of Earth Consciousness and Gender Justice leitet, bezeichnete die Worte des Lobgesangs der Maria (Magnificat) als „Marias Befreiungslied.“ Es beschreibe „Gefühle des Zorns und der Enttäuschung, des Widerstandes und der Hoffnung“. In gleicher Weise stellen die Evangelienberichte über Johannes den Täufer ihn als denjenigen dar, der „die frohe Botschaft innerhalb des kolonialen politischen Kontextes seiner Zeit überbringt.“ So wie Johannes, der seine Berufung in der Wüste erfährt, „einem Ort, der mit Einsamkeit und Tod gleichgesetzt wird“, sind auch wir berufen, „im Kontext der Pandemie den Dämonen der Kolonialisierung zu widerstehen und die Menschen zu ermächtigen, Teil der neuen Schöpfung zu werden.“ 

Die katholische Theologin Nontando Hedebe, die als internationale Koordinatorin für Side by Side tätig ist, bestand darauf, dass „Zorn die zweckmäßigste und gesündeste Antwort auf Ungerechtigkeit ist“ trotz der Versuche von Kolonialmächten, Angst vor Menschen zu verbreiten, die sich mit Zorn und Widerstand wehren. Sie verwies auf die Diffamierung von Feministinnen als „zornige Frauen“ und die Dämonisierung von Menschen, die die Black Lives Matter-Bewegung unterstützen.

Hadebe, Mitglied des Circle of Concerned African Women Theologians (Kreis engagierter afrikanischer Theologinnen) und Gründerin des Netzwerks Catholic Women Speak, erinnerte daran, dass „Frauen an den Befreiungsbewegungen ihrer Länder teilgenommen haben, jedoch nicht die Früchte der Befreiung ernten konnten.“ Inzwischen, so fügte sie hinzu, würden sich Bewegungen formieren und Theologien entwickelt werden, „die eigene Handlungsfähigkeit eröffnen“ und Gendergerechtigkeit „als ein inklusives Paradigma einfordern, das niemanden zurücklässt und alle Geschlechter einbezieht.“

Das Webinar wurde gemeinsam moderiert von Marcia Blasi, LWB-Programmbeauftragte für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung, und Elaine Neuenfeldt, die bei dem ACT-Bündnis für das Gender-Programm zuständig ist. Blasi sagte: „Umfangen von Gottes Gnade sind wir alle aufgerufen, gemeinsam kreativ zu werden und nachzudenken und unsere Köpfe, Theologie und Kultur in Zorn, Widerstand und Hoffnung zu entkolonialisieren.“

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller