Serbien: Die slowakische Sprache und die biblische Botschaft weitergeben

20. Aug. 2021
Jaroslav Javornik, Bischof der Slowakischen Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Serbien. Foto: SEAVC

Jaroslav Javornik, Bischof der Slowakischen Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Serbien. Foto: SEAVC

Im Interview: Jaroslav Javornik, Bischof der Slowakischen Evangelischen Kirche A. B. in Serbien (SEAVC)

NOVI SAD, Serbien/GENF (LWI) – Dr. Jaroslav Javornik, Bischof der Slowakischen Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Serbien (SEAVC), ist in Serbien auf zwei Ebenen Teil einer Minderheit: als Teil der slowakischen Bevölkerungsgruppe und als lutherischer Christ.

„Glaubens- und Religionsfreiheit ist für uns eins der höchsten Güter“, so Javornik. Im Interview spricht er über die Kraft des Glaubens, die wechselvolle Geschichte seiner Kirche und ihren Auftrag in der heutigen Gesellschaft.

Bereits Ihre Einführung in das Bischofsamt am Reformationstag 2020 wurde durch die COVID-19-Pandemie beeinflusst. Inzwischen haben Sie auch die für Juni 2021 geplanten Feierlichkeiten zum 100. Kirchenjubiläum verschoben. Wie geht es Ihnen persönlich und der SEAVC gerade?

Meine Amtseinführung fand in einem sehr bescheidenen Rahmen statt. Anwesend waren nur die Pfarrerschaft unserer Kirche und Medienvertreter, die dazu beigetragen haben, dass auch die breitere Öffentlichkeit an diesem bedeutsamen Ereignis teilhaben konnte.

Das Bischofsamt bekleide ich mit Ehrfurcht und Hochachtung. Ich möchte unserer Kirche ein guter Koordinator und Steuermann sein. Der Erste unter Gleichen – primus inter pares – zu sein, bringt viel Verantwortung mit sich. Es bedeutet, sich selbst gegenüber streng und anspruchsvoll, den anderen gegenüber aber verständnisvoll, liebevoll und gerecht zu sein. Ich hoffe, dass Gott all das Gute, das er bislang in mir angelegt hat, einsetzt, damit ich seiner Kirche ein gesegneter Diener bleibe. Mein Wunsch ist es, vor allem die Schwachen zu stärken, denn jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Wir sind Gott dankbar dafür, dass er uns in diesen Zeiten und bis hierher behütet hat. Nie hätten wir geahnt, was für Herausforderungen uns bei den geplanten Feierlichkeiten zum 100. Kirchenjubiläum bevorstehen würden. Weltweit tobt eine Pandemie in Ausmaßen, wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Sie hat unsere Sichtweisen in kurzer Zeit verändert. Und wir sind uns bewusst, dass auch nach der Pandemie die Welt nicht mehr dieselbe sein wird. Trotzdem dürfen wir Gott danken, dass wir uns anpassen können, um die Leben unserer Nächsten zu bewahren. Dazu haben auch die Ändrungen in unseren kirchlichen Aktivitäten beigetragen, die oft elektronisch, telefonisch oder per Videoanruf stattfanden. Wir haben inzwischen sogar zwei ausserordentliche digitale Synoden durchgeführt.

Die Geschichte der lutherischen Christinnen und Christen im heutigen Serbien ist wechselvoll. Könnten Sie sie dennoch kurz skizzieren?

Die Brüder Kyrill und Methodius, die auch die Slawenapostel genannt werden, brachten im 9. Jahrhundert den christlichen Glauben zu unseren Vorfahren. Eines ihrer Anliegen war es, unserem Volk das Evangelium in verständlicher slawischer Sprache zu predigten. Und der Wunsch, die gute Nachricht in der eigenen Sprache zu hören, wurzelte schon damals fest in unserem Selbstverständnis. Diesen Geist findet man auch beim böhmischen Theologen, Prediger und Reformator Jan Hus (1370 -1415) und später beim Reformator Martin Luther. Und heute, im Jahr des 100. Jubiläums der Eigenständigkeit der SEAVC, bleibt die slowakische Sprache für uns als kleine, aber aktive Gemeinschaft grundlegend wichtig.   

Slowakische lutherische Christinnen und Christen siedelten bereits vor 276 Jahren im Gebiet des heutigen Serbien. Die slowakische Sprache und die biblische Botschaft wurde in dieser langen Zeit von Generation zu Generation weitergegeben. Heute genießen wir den Schutz des Staates und den Respekt der orthodoxen Mehrheitskirche

Das war allerdings nicht immer so. Bis zum Erlass des Toleranzpatentes vor 240 Jahren, das erstmals seit der Gegenreformation wieder eine freie Religionsausübung ermöglichte, gab es hier und in ganz Europa verheerende Religionskriege. Und schon bald nach dem Toleranzpatent setzte zwischen 1790 und 1918 die Magyarisierung im Königreich Ungarn ein, die darauf abzielte, Minderheiten zu assimilieren. Dies geschah unter anderem durch zielgerichtete Repressalien gegen nichtungarische Bevölkerungsgruppen, einer entsprechenden Schulpolitik und dem Verbot von anderen Sprachen außer dem Ungarischen.

Dieser Hintergrund ist wichtig, um die Abspaltung der SEAVC in Serbien von der damaligen Lutherischen Kirche in Ungarn im Jahre 1921 zu verstehen. Mehr als 8 Jahre lang dauerten innerkirchliche Streitigkeiten um die Organisation unserer Kirche noch an, bis am 18. September 1929 Adam Vereš als erster Bischof in sein Amt eingeführt wurde.

Im Jahr 2000 hatte unsere Kirche rund 50.000 Mitglieder. Wir vermuten, dass die Zahl deutlich gesunken ist – das werden wir nach der Volkszählung im nächsten Jahr genau wissen. Wir sehen jedoch, dass viele unserer Mitglieder in die Slowakei oder andere EU-Staaten umsiedeln. Außerdem ist die Geburtenrate niedrig, und sowohl das traditionelle Familienverständnis als auch die Bindung an die Kirche nimmt ab.

Wir haben aktuell zwanzig Pfarrer und vier Pfarrerinnen, von denen ein Drittel schon im Ruhestand, sind aber immer noch in der Kirche aushelfen. Die Kirche zählt vier Seniorate (Dekanate), 29 Kirchengemeinden, 9 Filialgemeinden und 2 Diasporagebiete.

Welche Menschen haben Sie besonders geprägt?

Ich war sieben Jahre alt, als ich meine Großmutter abends habe beten sehen, kniend am Bett. Das war für mich als kleinen Jungen ein großes Zeugnis und hat mich tief bewegt. Ich konnte nicht begreifen, dass sie, eine Erwachsene, Hilfe benötigt, und auf den Knien darum bittet. Als Kind denkt man, dass nur ein Kind Hilfe benötigt, und nicht ein Erwachsener.

Aufgewachsen bin ich in Selenča in einer traditionellen lutherischen Bauersfamilie, die immer kirchlich engagiert war. Die Liebe meiner Mutter, die mich immer ermutigt hat, trage ich in meinem Herzen. Mein Vater, der nur einen Grundschulabschluss, aber immer einen gesunden Bauernverstand hatte, hat mich gelehrt, dass Ehrlichkeit und Fleiß Werte sind, die immer ihren Preis haben werden, egal in welchem Gebiet ich auch engagiert sein werde.

Familie ist für mich noch heute zentral, auch um persönliche und berufliche Herausforderungen zu meistern. Familie ist der Ort, an dem ich Energie tanke und den ich eifersüchtig behüte wie meinen Augapfel. Erfolge in meinem Leben habe ich zu großen Teilen meiner Ehefrau zu verdanken. Sie ist die Liebe meines Lebens und mein Vorbild, weil sie tief in Jesus Christus verankert und die feste Säule unseres Familienlebens ist.

Was bedeutet es, heute in Serbien Slowakisch zu sprechen und lutherisch zu sein?

Vor 276 Jahren fanden unsere slowakischen Vorfahren – getrieben von Armut und dem Hunger nach Religionsfreiheit – nördlich der Donau in der Vojvodina eine neue Heimat. Trotzdem wissen auch heute noch viele unserer Familien aus welchem Teil der Slowakei sie stammen.

Auch die Beziehungen zur Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakischen Republik sind eng. Alle unsere Bischöfe wurden von Bischöfen aus der Slowakei in ihr Amt eingeführt. Unsere Gottesdienstordnungen, Agenden und Gesangbücher sind die gleichen. Unserer Pfarrerinnen und Pfarrer studieren an der Lutherischen Theologischen Fakultät der Comenius Universität in Bratislava.

Da wir ein lebendiger Zweig der Slowaken in Serbien sind, finden sämtliche Aktivitäten in slowakischer Sprache statt. In serbischer Sprache kann auf Bitten einzelner Familien, in Fällen von Mischehen sowie in städtischen Kirchengemeinden gepredigt werden.  

Jede unserer Kirchengemeinden hat eine Partnergemeinde in der Slowakei. Über Jahrzehnte wurden diese Verbindungen erhalten und gestärkt. Während der NATO-Bombardements 1999 konnten dank dieser Partnerschaften unsere Jugendlichen sowie Kindergruppen bei dortigen Familien Zuflucht finden. Diese Zusammenarbeit werden wir weiterhin pflegen und stärken, da wir als eine Minderheitskirche zu klein sind, um große Projekte im Bereich der Bildung, Diakonie oder Seniorenpflege umzusetzen.

Auch der serbische Staat kümmert sich gut um uns; wir genießen alle Rechte, die eine Minderheit haben kann. Schulen, Universitäten und Medien stehen uns offen. Wir haben die Möglichkeit, unsere Muttersprache zu sprechen und uns frei zu äußern. Vor allem aber haben wir Religionsfreiheit. Als eine der traditionellen Kirchen werden wir von unserer Regierung geachtet und sind an allen Gesetzgebungsverfahren beteiligt, die uns als Kirche betreffen.

In den 1990er Jahren kam es auf dem damaligen Gebiet Jugoslawiens zu Autonomiebestrebungen und kriegerischen Auseinandersetzungen – den so genannten Jugoslawienkriegen. Welche Rolle spielten diese Ereignisse für die SEAVC?

Die slowakische Minderheit in Serbien war immer bestrebt, der jeweiligen Regierung gegenüber loyal zu sein. Es gab immer wieder Zeiten, wo es schwer war, dieser Einstellung treu zu bleiben. Eine davon war während der Kriege in den 1990ern.

Wir haben in dem Krieg junge Menschen – Soldaten und Mitglieder unserer Kirchengemeinden – verloren. Viele haben gefragt, weshalb und wofür sie überhaupt gestorben sind. Dennoch ist es fast ein Wunder, dass die Provinz Vojvodina nicht direkt vom Schrecken des Krieges betroffen war. Immerhin leben hier 2 Millionen Menschen mit 26 Nationalitäten. Die Kirchen waren voll mit betenden Menschen. Ob aus Furcht oder Frömmigkeit, ist schwer zu sagen. Wichtig war, dass man vor dem Altar Gottes Kraft für das Leben geschöpft hat.     

In Ihrer Kirche hat zum Jubiläum eine Pflanzaktion mit alten Apfelsorten stattgefunden. Welche Hoffnungen und Visionen haben Sie für SEAVC?

Das Projekt „100 Jahre, 100 Apfelbäume in jede Gemeinde“ trägt eine tiefe Symbolik – für unsere Kirche und für unsere vom Klimawandel und anderen Krisen bedrohte Welt. Es knüpft an den bekannten Spruch von Martin Luther an: „Selbst wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Wir konnten es dank der Förderung des Lutherischen Weltbundes (LWB) und engagierter Menschen umsetzen.

Die Zukunft unserer Kirche sehe ich in jeder Taufe eines Kleinkindes. Mit Freude bete ich jedes Mal: „Herr, ich danke Dir, dass dieses Kind auch die nächsten 80 Jahre lang Dein Wort in seiner slowakischen Muttersprache hier in der Vojvodina hören und leben wird.“

Die SEAVC missioniert nicht. Wir leben inmitten einer orthodoxen Gesellschaft, und sehen die einzige Berufung und Aufgabe unserer Kirche darin, die geistliche Versorgung von slowakischen lutherischen Christinnen und Christen zu gewährleisten. Dazu verpflichtet uns unsere Satzung und unser Name „Slowakische Evangelische Kirche“.

Die einzige Mission gilt unseren Kindern. Kinder, die in Familien unserer Mitglieder geboren werden, sollen getauft und zu Reben am Weinstock Christi werden. Sie sollen in diesem Glauben erzogen, konfirmiert und ihr ganzes Leben lang und gemeinsam mit ihren Eltern begleitet werden. Sie sollen im Glauben wachsen und bereit sein, für diesen Glauben auch zu leiden.

Während einige Kirchen einen starken Fokus auf die junge Generation richten, befassen wir uns in unserer Kirche auch mit der Frage, wie wir uns am besten um unsere Geschwister im höheren Lebensalter kümmern können. Junge Menschen ziehen arbeitsuchend in die Welt, und die Eltern bleiben daheim und fühlen sich oft verlassen. Das sehen und verstehen wir als Auftrag und Mission in der jetzigen Zeit – auch die Ältesten brauchen unsere Liebe und helfende Hand. 

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Teil der weltweiten Gemeinschaft lutherischer Kirchen im LWB zu sein?

Wir sind stolz auf unser lutherisches Erbe und es ist unsere Pflicht, dieses an unsere Kinder weiterzugeben. Auch wenn wir in Serbien eine Minderheit bilden, sowohl als Slowaken als auch als lutherische Kirche, ist es doch eine starke Stütze zu wissen, dass wir einer großen weltweiten lutherischen Familie angehören. Dafür sind wir Gott überaus dankbar. Dank gebührt besonders dem LWB sowie dem Martin-Luther-Bund und dem Gustav-Adolf-Werk in Deutschland, die uns nun schon seit über 70 Jahren mit Gebeten, aber auch finanziell unterstützen und fördern.  

Von LWB/A. Weyermüller

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.