Schulbeginn in Maban

5. Mär. 2015
Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse des beschleunigten Bildungsprogramms im Flüchtlingslager Yusuf Batil, Maban County, Südsudan. Foto: LWB/C. Kästner

Schülerinnen und Schüler der 3. Klasse des beschleunigten Bildungsprogramms im Flüchtlingslager Yusuf Batil, Maban County, Südsudan. Foto: LWB/C. Kästner

SchülerInnen im südsudanesischen Flüchtlingslager setzen beschleunigtes Bildungsprogramm fort

Bunj (Südsudan)/ Genf, 11. März 2015 (LWI) – „Was sind Naturwissenschaften?“, fragt der Lehrer die rund 40 in fliederfarbenen Schuluniformen gekleideten TeenagerInnen. „Naturwissenschaft ist die Lehre von Lebewesen und nichtlebenden Dingen. Also: Woran erkennt man ein Lebewesen?“

Faiza meldet sich. „Ein Lebewesen kann sich selbstständig von einem Ort zum anderen fortbewegen“, sagt sie mit klarer Stimme. „Sehr gut!“ Der Lehrer schreibt etwas an die Tafel, während die MitschülerInnen Beifall klatschen. Die Antwort scheint sehr einfach für einen Teenager, doch für Faiza markiert sie eine beträchtliche Leistung: Englisch ist nicht ihre Muttersprache. Seit sie vor neun Monaten mit der Schule begann, hat sie die Sprache so gut gelernt, dass sie sich im Unterricht ausdrücken kann.

Faiza ist eine der 2 508 Schülerinnen und Schüler, die in den Flüchtlingslagern von Maban County (Südsudan) am beschleunigten Bildungsprogramm (Accelerated Learning Program, ALP) des Lutherischen Weltbundes (LWB) teilnehmen. Das von der EU-Initiative „Kinder des Friedens“ (Children of Peace, ECHO) geförderte Bildungsprogramm richtet sich an ältere Schülerinnen und Schüler, deren Schulausbildung durch Konflikt oder Vertreibung unterbrochen wurde. Das beschleunigte Bildungsprogramm ermöglicht ihnen, innerhalb kürzerer Zeit die Primarstufe abzuschliessen und ihre Ausbildung zusammen mit Gleichaltrigen in der Sekundarstufe fortzusetzen. In den Flüchtlingslagern Yussif Batil und Kaya gibt es 10 von ECHO finanzierte ALP-Zentren. Vier weitere von einem anderen Geldgeber finanzierte ALP-Zentren befinden sich im Flüchtlingslager Gendrassa.

Unterbrochene Schulbildung

Faiza kommt wie die übrigen Jugendlichen in ihrer Klasse aus Blue Nile (Sudan), wo seit 2011 interne Konflikte toben. Die Familie von Faiza ist wie viele andere vor den andauernden Kämpfen in den Südsudan geflohen. Da die Jugendlichen aufgrund der Kämpfe in Blue Nile nur selten zur Schule gehen konnten, ist regelmässiger Schulbesuch neu für sie. Mit dem ALP haben sie nun die Möglichkeit, die Primarstufe abzuschliessen. Da die Schülerinnen und Schüler bereits älter sind, bearbeiten sie den Lehrplan von zwei Jahren innerhalb eines Jahres.

Faiza, ihre Mutter und ihre Geschwister sind vor zwei Jahren im Flüchtlingslager Yusuf Batil in Maban angekommen. Sie haben einen kleinen Flecken Land und Material für den Bau einer Hütte und eines Zauns erhalten, um den Lebensraum der Familie von dem der Nachbarn abzugrenzen. Doch das aus Ästen und Plastikplanen gefertigte Tor steht weit offen und in dem kleinen Vorgarten spielen mehr Kinder als zur Familie gehören.

„Von hier kann ich die Schulglocke hören“, sagt Faiza. „Wenn sie läutet, weiss ich, dass ich mich beeilen muss“.

Mit 16 Jahren ist Faiza eine der ältesten in ihrer Klasse. Die meisten Mädchen werden nur zur Schule geschickt, wenn sie noch jünger sind. „Meine Mutter findet es wichtig“, sagt die Jugendliche, die in der 3. Klasse eine der Besten ist. Mädchen wie Faiza werden oft sehr früh, manchmal schon mit 13 Jahren, verheiratet und müssen dann die Schule verlassen.

Schwierige Bedingungen

Die Lernbedingungen für die Schülerinnen und Schüler in Maban sind alles andere als ideal. Ihre Muttersprache ist Arabisch, und sie müssen zuerst Englisch lernen. Es fehlt an qualifiziertem Lehrpersonal. Durch die Konflikte im Südsudan hat sich der Projektbeginn verzögert. Spannungen zwischen den Flüchtlingen und der örtlichen Gemeinschaft, für Lohnerhöhungen streikende Lehrkräfte, Evakuierungen der Mitarbeitenden aufgrund sporadischer Kampfhandlungen und Angriffsdrohungen der Milizen sorgen immer wieder für Unterbrechungen im Schuljahr.

Die Kämpfe im Südsudan haben den Transport von Gütern über die Strassen unmöglich gemacht, wodurch die Lieferung von Schulbüchern und Baumaterial verzögert wurde. Noch vor kurzem mussten die Schulbänke in den Flüchtlingslagern Gendrassa, Batil und Kaya eingeflogen werden. In Maban haben die Klassenzimmer keine Wände. Die Schülerinnen und Schüler sitzen auf handgezimmerten Bänken und Ölbüchsen aus der Lebensmittelverteilung unter einem notdürftigen Dachgerüst, das ihnen Schatten vor der sengenden Hitze spendet.

Ihren Mitmenschen dienen

Trotz der schwierigen Bedingungen sind sie dankbar lernen zu dürfen. „Zuhause mussten wir die Schulbücher selber kaufen“, erklärt der 18-jährige Nikola. „Hier werden sie vom LWB bereitgestellt“. Nikola möchte Arzt werden, um seine Familie zu unterstützen. Er hat zwei jüngere Brüder, die körperlich behindert sind. Sie gehen an Krücken und können nicht zur Schule, weil der Schulweg zu weit für sie ist, erklärt Nikola. Doch er hofft, dass sie eines Tages wie er zur Schule gehen können.

„Viele Kinder im ALP träumen davon, Lehrerin, Arzt, Rechtsanwältin oder Ingenieur zu werden, um später, wenn sie nach Blue Nile zurückkehren, ihren Mitmenschen als Führungspersonen helfen zu können”, erklärt der vorübergehende Leiter des LWB-Teams Julius Tiboa. „Wie Faiza werden sie viel Selbstdisziplin brauchen, um das ALP abzuschliessen, die Sekundarstufe zu besuchen und schliesslich Kurse in höheren Bildungseinrichtungen zu belegen. Der LWB und seine Partner tragen dazu bei, dass die Kinder in diesen entlegenen Gegenden des Südsudan ihre Träume verwirklichen können.“

Der LWB ist seit September 2012 in Maban in erster Linie in den Bereichen Bildung und Kinderschutz tätig. Er übt seine Aktivitäten in den drei Flüchtlingslagern Yusuf Batil, Kaya und Gendrassa aus, wo über 78 000 Menschen leben. Das LWB-Team besteht aus 540 Mitarbeitern, von denen 483 selbst Flüchtlinge sind.

LWF / C. Kästner