Schriftauslegung hat Konsequenzen für Entwicklung

31. Okt. 2012
Prof. Madipoane J. Masenya (Südafrika) referierte über die zukünftige Rolle der Kirche in der Entwicklung. © LWB/Anli Serfontein

Prof. Madipoane J. Masenya (Südafrika) referierte über die zukünftige Rolle der Kirche in der Entwicklung. © LWB/Anli Serfontein

Konferenz von LWB und Mission EineWelt: Glauben ist eng verbunden mit Ringen um Gerechtigkeit

Neuendettelsau (Deutschland)/Genf, 31. Oktober 2012 (LWI) – Die Frage, welche Konsequenzen Schriftauslegung und religiöse Traditionen für den menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt einer Gesellschaft haben, gehörte zu den zentralen Themen einer internationalen Konferenz unter dem Titel „Religion und Entwicklung“, die im bayerischen Neuendettelsau stattfand.

Die Eröffnungsansprache der südafrikanischen Professorin Madipoane J. Masenya zum Thema „Die zukünftige Rolle der Kirche in der Entwicklungszusammenarbeit“ zeigte nach Einschätzung von Teilnehmenden eindrücklich den engen Zusammenhang zwischen Entwicklungsfragen und der Bibel sowie anderen heiligen Schriften auf.

Prof. Masenya, Alttestamentlerin an der University of South Africa (UNISA), war eine von 70 Teilnehmenden aus Kirchen, Hochschulen, dem säkularen Entwicklungsbereich und der Politik die sich zu einer gemeinsam vom Lutherischen Weltbund (LWB) und dem deutschen Missionswerk Mission EineWelt organisierten Konferenz vom 21. bis 25. Oktober versammelt hatten.

Sie betonte, damit in Religionsgemeinschaften das volle Entwicklungspotenzial zur Entfaltung kommen könne, müssten nicht nur die Bibel, sondern auch andere heilige Schriften, wie etwa der Koran, auf den aktuellen Kontext bezogen neu interpretiert werden.

Ihr Vortrag, der eingehend diskutiert wurde, ging auch auf Genderfragen im Entwicklungsbereich ein. „Wenn wir Entwicklung ganzheitlich verstehen, das heisst als Entwicklung von Menschen im spirituellen, emotionalen, ökonomischen und sozialen Bereich, können wir die Frage nach einer neuen Schriftauslegung, die sensibler ist für Genderfragen, nicht aussen vor lassen“, betonte Masenya.

„Ein lebendiger Glaube wird die Glaubenden dazu befähigen, nach Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit zu streben. Hängen wir einem solchen Glauben an, so werden wir kontinuierlich daran erinnert, dass wir, solange ein Teil von Gottes Menschheit (auf die eine oder andere Weise) unterdrückt wird, alle unterdrückt sind“, so Masenya weiter.

In Gruppengesprächen befassten sich einige Delegierte mit der Frage, wie Frauen zu mehr Selbstbestimmung gelangen und wie ihre Position im Kontext von Religion wie Entwicklung gestärkt werden kann. Manche Teilnehmende zeigten sich besorgt, dass mit sich verändernden Geschlechterrollen auch eine Verschiebung in den Familienstrukturen einhergehe, was bisweilen das Familienleben zerstören könne. An die Kirchen richtete sich die Aufforderung, Familien Unterstützung zu leisten, deren Werte und Traditionen mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden.

In anderen Referaten ging es um den Beitrag lutherischer Theologie zu einem ganzheitlichen Entwicklungsmodell, um Perspektiven pfingstlicher und charismatischer Kirchen sowie aus islamischen und multireligiösen Kontexten. Eine der Fallstudien beleuchtete den Beitrag von Frauen zur Friedensarbeit.

Zum Thema Entwicklung und institutioneller Wandel referierte Prof. Claudia Warning, Vorstandsmitglied des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V. Sie legte dar, dass angesichts der Anforderung an die Entwicklungsarbeit, hohen professionellen Standards zu entsprechen, eine gewisse Neustrukturierung von Entwicklungsorganisationen unvermeidlich geworden sei.

Das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. ist aus der kürzlich vollzogenen Fusion dreier deutscher kirchlicher Entwicklungsorganisationen – Evangelischer Entwicklungsdienst (EED), Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe – hervorgegangen.

Warning erklärte gegenüber der Lutherischen Welt-Information (LWI), in der Vergangenheit hätte die staatliche Seite den Bereich Glauben und Entwicklung ignoriert, heute gebe es jedoch wieder ein Bewusstsein für diesen Aspekt. „Die Regierungen sind sich also in den letzten Jahren bewusst geworden, dass sie [in der Entwicklungsarbeit] sowohl Kultur als auch Religion vernachlässigt haben und dass manche Misserfolge auf diese Vernachlässigung zurückzuführen sind. Auch ist ihnen klar geworden, dass man Menschen ganzheitlich begegnen muss, weil man sonst Gefahr läuft zu scheitern.“

Gottesdienste

Auch Gottesdienste hatten bei der Konferenz ihren Platz. In seiner Predigt zum Eröffnungsgottesdienst der Konferenz verwies Oberkirchenrat Michael Martin, Leiter der Abteilung Ökumene und Kirchliches Leben bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB), auf die Situation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg 1945. Das Land habe in Trümmern gelegen, sei aber dank der grosszügigen Hilfe der ganzen Welt wiederaufgebaut worden.

Mit Blick auf das Thema „Die Stadtmauern wieder aufbauen und das zerstörte Tor erneuern“ erinnerte Martin die Teilnehmenden der Konferenz daran, dass das Thema Religion und Entwicklung kein ausschliesslich innerchristliches sei. „Es geht weit über unsere Gemeinden und Kirchen hinaus. Und es stellt die Frage, wie wir nach schrecklichen Verwüstungen gemeinsam Städten und Menschen Erneuerung bringen können, wie wir miteinander dazu beitragen können, Lebensmöglichkeiten für alle Menschen zu schaffen, und wie wir Zerstörtes wiederaufbauen können. (671 Wörter)

(Für die LWI berichtete Anli Serfontein, Berlin.)

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