Polen: Gemeinschaftszentren für ukrainische Geflüchtete und Aufnahmegemeinschaften

22. Okt. 2022

Der LWB erweitert seine Hilfsaktionen für Geflüchtete in Polen und sorgt für Schutzmaßnahmen, sozialen Zusammenhalt und Ausbildung.  Ein gemeinschaftsnah organisierter Workshop für die gemeindebasierte psychosoziale Betreuung hat Mitarbeitenden aus dem ganzen Land, die ukrainische Geflüchtete unterstützen, die Fertigkeiten für ihre neuen Aufgaben vermittelt.

Mitarbeitende von Mehrzweck-Bargeldhilfezentren in ganz Polen, die zur Unterstützung der ukrainischen Geflüchteten eingerichtet wurden, versammeln sich in Beuthen (Bytom) zu einer einwöchigen Schulung über „gemeindebasierte psychosoziale Unterstützung“, die von ACT Church of Sweden angeboten wird. Foto: LWB/Albin Hillert

Mitarbeitende von Mehrzweck-Bargeldhilfezentren in ganz Polen, die zur Unterstützung der ukrainischen Geflüchteten eingerichtet wurden, versammeln sich in Beuthen (Bytom) zu einer einwöchigen Schulung über „gemeindebasierte psychosoziale Unterstützung“, die von ACT Church of Sweden angeboten wird. Foto: LWB/Albin Hillert

Örtliches Personal und Mitarbeitende mit eigener Fluchterfahrung werden in psychosozialer Betreuung unterwiesen 

(LWI) – Acht Monate nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine verändert sich die Bedarfslage der Geflüchteten und der Aufnahmegemeinschaften in Polen. Was zunächst eine vorwiegend auf die Auszahlung von Bargeldhilfen ausgerichtete Antwort seitens des LWB war, verlagert sich jetzt zunehmend auf die Bereiche Schutz, sozialer Zusammenhalt und Ausbildung. Der LWB hat 48 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem ganzen Land in gemeindebasierter psychosozialer Betreuung unterwiesen. Viele dieser Mitarbeitenden sind selbst Geflüchtete.

Anhand unterschiedlicher Übungen machten sich die Teilnehmenden mit den wichtigsten Grundlagen mentaler Gesundheit und psychosozialer Unterstützung, psychologischer erster Hilfe und guten Praktiken für die Betreuung von Menschen vertraut, die eine humanitäre Krise erleben. Diese Schulungen werden von Act Church of Sweden angeboten, dem federführenden Mitglied des ACT-Bündnisses für die Arbeit in diesem Bereich der Krisenintervention. Die Programme sind ein wichtiger Teil der langfristigen Krisenreaktion des LWB, da sie Kapazitäten für die schrittweise ganzheitliche Unterstützung der Menschen und ihrer Bedürfnisse aufbauen.

Eine Frau markiert auf einer Landkarte, aus welchem Teil der Ukraine sie stammt. Mitarbeitende des LWB - die meisten von ihnen Flüchtlinge aus der Ukraine - nahmen an einer Schulung in Beuthen, Polen, teil. Foto: LWB/Albin Hillert

Eine Frau markiert auf einer Landkarte, aus welchem Teil der Ukraine sie stammt. Mitarbeitende des LWB - die meisten von ihnen Flüchtlinge aus der Ukraine - nahmen an einer Schulung in Beuthen, Polen, teil. Foto: LWB/Albin Hillert

Aufbau von Gemeinschaften und Führungskompetenz

Die Schulungen haben Mitarbeitende aller vom LWB unterstützen Zentren in Polen zusammengebracht und somit nach Ansicht von Katiia Kharytoniuk einen wichtigen Beitrag zur Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls geleistet. Die Mutter zweier Töchter kam im März 2022 aus der ukrainischen Stadt Uman nach Polen und lebt jetzt in einem Haus, das der Evangelischen Kirche der Augsburger Konfession in Polen gehört, einer Mitgliedskirche des LWB. Sie erzählt, die Schulungen seien extrem wichtig gewesen, um zu verstehen, bis zu welcher Grenze das Personal in den Zentren Geflüchtete unterstützen könne und ab wann es an der Zeit sei, die Aufgabe Fachleuten für psychologische Unterstützung zu überlassen.

„Ich bin auch gespannt darauf, das Personal aus den anderen Zentren zu treffen. Ich habe das Gefühl, dass hier sehr innige Beziehungen und Freundschaften entstehen, das ist einfach großartig“, sagte sie.

Iryna Volkova, eine Englischlehrerin und Psychologin aus der Ukraine, im April 2022 mit ihren beiden Kindern aus Mariupol in Polen angekommen, ist der Meinung, dass diese Ausbildung für ihre Arbeit im LWB-Zentrum in Bielsko überaus hilfreich sein wird. „Da wir selbst Geflüchtete sind, brauchen wir diese Schulungen, wenn wir mit anderen Betroffenen reden: Wie können wir zusammenleben, wie können wir uns entwickeln, Arbeit finden, und wie können wir nach dem Horror des Krieges weiterleben?“

Am ersten Tag des Workshops haben die Teilnehmenden eine „Führen und Folgen“-Übung absolviert, wobei sie in Zweiergruppen abwechselnd die Augen schließen und der anderen Person vertrauen mussten, von ihr sicher zum gewünschten Ziel geführt zu werden.

„Ich war mitten im Kriegsgeschehen im Asowstal“, erinnert sich Volkova. „Als wir diese Übung des Führens und Folgens gemacht haben, konnten wir erkennen, was es bedeutet, die Rollen zu tauschen. Ich glaube, dass der Krieg mich verändert hat. Vor dem Krieg war ich eher ein Mensch, der anderen gefolgt ist. Heute fühle ich mich eher wie jemand, die die Richtung vorgibt“, fügt sie hinzu.

Ein Schild weist den Weg zum Eingang des LWB-Zentrums in Beuthen das sich neben einer Kirchengemeinde der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen befindet. Foto: LWB/Albin Hillert

Ein Schild weist den Weg zum Eingang des LWB-Zentrums in Beuthen das sich neben einer Kirchengemeinde der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen befindet. Foto: LWB/Albin Hillert

Eine langfristige, ganzheitliche Krisenintervention

„Der LWB hat sich zu dieser Art Hilfeleistung verpflichtet und steht Menschen in schwierigen Lebenssituationen zur Seite. Ich hoffe, dass wir ihnen die Mittel und die Ideen vermitteln können, damit sie partnerschaftlich mit der Gemeinschaft zusammenarbeiten können und sie Geflüchtete hier in Polen bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme unterstützen können“, sagt Kathy Angi, eine aus den USA stammende psychologische Beraterin bei Act Church of Sweden, die an der Leitung des Workshops beteiligt war. „Die Teilnehmenden hier sind ausnahmslos Menschen, die etwas Konstruktives unternehmen wollen, um zu helfen.“

Katiia Kharytoniuk (37) und ihre Tochter Sofija (5) üben gemeinsam das Alphabet. Katiia kam zusammen mit ihren beiden Töchtern aus Uman in der Ukraine nach Polen. Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in der Wohnung einer polnischen Familie lebt sie jetzt mit ihren Töchtern in einem Gebäude der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen in Beuthen. Der Familienvater bleibt in der Ukraine, da es Männern im Alter von 18 bis 60 Jahren nicht erlaubt ist, das Land zu verlassen. Foto: LWB/Albin Hillert

Katiia Kharytoniuk (37) und ihre Tochter Sofija (5) flohen aus Uman, Ukraine. Die Familie lebt jetzt in einem Gebäude der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen in Beuthen.

Foto: LWB/Albin Hillert

Von Anfang an hat der LWB Geflüchtete zu Mitarbeitenden in seinen Zentren gemacht. Damit verfügen Geflüchtete aus der Ukraine nicht nur über eine eigene Einkommensquelle, sondern geben ihrem Leben wieder Sinn und Perspektive.

In der ersten Phase der LWB -Krisenintervention ging es in erster Linie um Bargeldhilfen für unterschiedliche Zwecke. „Psychologinnen und Psychologen und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter haben für dringend erforderliche Hilfsaktionen zur Verfügung gestanden“, erklärt Andrzej Kosno, der die Auszahlung der Bargeldhilfen im LWB-Länderbüro in Warschau koordiniert.

„Die Unterstützung mit Bargeldzahlungen wird weitergehen, aber unser Schwerpunkt ist heute ein anderer, und unsere Aktivitäten richten sich nicht nur an Geflüchtete, sondern auch an die Aufnahmegemeinschaften polnischer Bürgerinnen und Bürger“, sagt Kosno. „Unsere Zentren sind jetzt nicht mehr nur für die Auszahlung von Geld zuständig, sondern sehen sich eher als Gemeinschaftszentren.“

Das LWB-Programm für Polen mit einem Büro in Warschau betreibt sechs Mehrzweck-Bargeldhilfezentren in Städten im ganzen Land. Diese Zentren reagieren gemeinsam mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, einer LWB-Mitgliedskirche, auf die Bedürfnisse von Flüchtlingen.

Im September 2022 hatten die sechs MPCA-Zentren insgesamt 60.295 ukrainische Flüchtlinge im ganzen Land unterstützt.

LWB/Albin Hillert, Redaktion: LWB/ C. Kästner-Meyer. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller