Mühsamer Wiederaufbau nach Hurrikan Matthew

8. Mär. 2017
Viele Menschen leben immer noch in provisorischen Unterkünften, nachdem der Hurrikan Matthew ihr Zuhause zerstört hat. So auch die Familie von Polonne Jean-Louis. Foto: LWB/M. French

Viele Menschen leben immer noch in provisorischen Unterkünften, nachdem der Hurrikan Matthew ihr Zuhause zerstört hat. So auch die Familie von Polonne Jean-Louis. Foto: LWB/M. French

Ein gemeinschaftsorientierter Ansatz hilft den Menschen in Haiti, wieder auf die Beine zu kommen

JÉRÉMIE, Haiti/GENF (LWI) Als der Hurrikan „Matthew“ am stärksten wütete, suchten Polonne Jean-Louis, 50, und ihre sechs Kinder sowie 200 weitere Menschen Zuflucht in einem halbfertigen Wasserspeicher aus Beton, der zu diesem Zeitpunkt gerade von der Fondation Nouvelle Grand'Anse (FNGA), einer Partnerorganisation des Lutherischen Weltbundes (LWB), im haitianischen Département de la Grand’Anse, gebaut wurde.

Polonne Jean-Louis. Foto:LWB/ M. French

In dieser Nacht rettete der Wasserspeicher Polonne Jean-Louis‘ Familie und vielen anderen das Leben.

Der Wasserspeicher, der in Macaya mehr als 200 Menschen das Leben rettete.

Polonne Jean-Louis lebt in der Gemeinde Bonel, Haiti, hoch in den Bergen des Nationalparks Macaya. Fünf Monate nachdem der Hurrikan das Département de la Grand’Anse in der Nacht vom 3. zum 4. Oktober 2016 verwüstete, bauen die Menschen ihr Leben wieder auf. Die Not ist noch immer groß. Der LWB und seine Partner konzentrieren sich darauf, den Menschen zu helfen, zur Normalität zurückzukehren und weiterzumachen.

Die vom Hurrikan in Camp-Perrin angerichteten Verwüstungen, wie sie sich im Oktober 2016 darstellten. Foto: DKH/Thomas Lohnes

Unmittelbar nach dem Wirbelsturm waren Bäume entwurzelt und Dächer und Gebäude zerstört. Flüsse waren über die Ufer getreten und hatten die Gegend mit zwei Meter tiefem Flutwasser überschwemmt. Schlammlawinen hatten große, mit Trümmern übersäte, Flächen hinterlassen. Einige als Unterschlupf ausgewiesene Gebäude waren weggeweht worden. Die Menschen waren benommen und verwirrt.

Ein Mann schläft in einer Unterkunft, die er sich mit dem gebaut hat, was von seinem Haus übrigblieb. Foto: DKH/Thomas Lohnes

Nach der unmittelbaren Nothilfe, bei der die Menschen mit Unterkünften, Nahrung, Wasser, Hygieneartikeln, Bargeld und psychosozialer Unterstützung versorgt wurden, konzentrieren sich der LWB und seine Partner heute – fünf Monate später – darauf, die Menschen beim Wiederaufbau ihrer Lebensgrundlagen zu unterstützen. Um eine maximale Wirkung und möglichst effiziente Nutzung der Mittel zu gewährleisten, baut der LWB mit seinen Schwesterorganisationen Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) und Norwegian Church Aid (NCA) ein integriertes Länderprogramm in Haiti auf. Diese Zusammenarbeit trägt bereits Früchte: Sowohl beim Auftreten der Krise also auch auf längere Sicht sind die Hilfsorganisationen leistungsfähiger und verzeichnen eine höhere Reichweite.

Haiti befindet sich in Hurrikan-Korridor, d.h. eine Katastrophe wie „Matthew“ kann es immer wieder geben. Die Region ist anfällig für Erdbeben und Dürreperioden. Im Land herrscht eine andauernde politische Instabilität. Die nächste Krise ist somit absehbar. Der LWB und seine Partner zielen darauf ab, Menschen und Gemeinden in die Lage zu versetzen, künftige Krisen – seien sie von der Natur oder von Menschenhand verursacht – zu bewältigen, eine Fähigkeit, die am besten mit dem Wort „Resilienz“ beschrieben wird.

Eine Familie baut ein Dach mit einem Bausatz für Unterstände, wie sie von LWB, DKH und NCA verteilt werden. Foto: DKH/Thomas Lohnes

„Hier ist der ‚vor-während-und-nachher-Ansatz‘ entscheidend“, berichtet Michael French, LWB-Koordinator des Regionalprogramms für Haiti. „Wir haben zu den Gemeinden Vertrauen aufgebaut. Sie selbst sind besser organisiert und gestärkt; sie kennen ihre Rechte. Die Soforhilfe läuft schneller an, und mehr Menschen überleben. Beim längerfristigen Wiederaufbau steht bei Entscheidungen die Gemeinschaft im Mittelpunkt.“

Was es möglich machte, prompt auf die Bedürfnisse von Menschen wie Polonne Jean-Louis einzugehen, ist die Tatsache, dass sich der LWB, die DKH und NCA verpflichtet haben, gemeinschaftsorientiert zu arbeiten und sich langfristig für die Rechte der Menschen und für deren Belastbarkeit einzusetzen, statt ihnen nur in Notfällen zu Hilfe zu eilen.

Die Arbeit der FNGA ist dafür ein Beispiel. Während sich einige internationale Hilfsorganisationen auf die zugänglicheren Bevölkerungsgruppen konzentrieren, arbeiten der LWB und seine Partner mit denen zusammen, die weiter weg und daher gefährdeter sind. Jude St Gilles vom LWB-Partner FNGA erklärt: „Unsere Partner von der FNGA kamen hier innerhalb von 48 Stunden nach der Katastrophe an, nachdem sie sich sechs Stunden lang zu Fuß durch die verwüstete Landschaft gekämpft hatten. Ihren Schätzungen zufolge waren allein in diesem Gebiet mehr als 600 Menschen ums Leben gekommen.“

Jude St Gilles, Technischer Koordinator, FNGA.

Obwohl die Katastrophe vor Monaten passiert ist, benötigen die Menschen in Haiti nach wie vor Unterstützung. Der LWB hat die Menschen bei der Sanierung landwirtschaftlicher Flächen unterstützt und Saatgut verteilt, damit sie direkt nach dem Sturm ihre verwüsteten Felder neu bepflanzen konnten. Die Ernte kann dennoch erst in einigen Monaten eingefahren werden. Einstweilen sind die Menschen hungrig.

In Castillon, 950 Meter über dem Meeresspiegel, bietet die kanadische Saatgutbank (Canadian Food Grain Bank) „Nahrung gegen Arbeit“: Ein 12-tägiger Arbeitseinsatz bei der Straßensanierung liefert einer Familie Nahrung für einen Monat. „Es ist rührend zu hören, dass viele das Essen über ihre unmittelbare Familie hinaus mit anderen teilen: ein starkes Zeichen der Solidarität trotz ihrer eigenen akuten Bedürfnisse“, so Michael French.

Die Menschen erhalten auch Bargeld, was sich zunehmend als die effektivste Art erweist, Menschen in Krisensituationen zu unterstützen. Starry Sprenkle, Direktor des gemeinsamen LWB/DKH/NCA-Programms in Haiti, erklärt: „Sie können selbst entscheiden, was sie am dringendsten brauchen. Indem wir ihnen das ermöglichen, respektieren wir ihre Würde. Denn schließlich sind sie diejenigen, die ihre Zukunft wieder aufbauen werden. Die internationale humanitäre Gemeinschaft ist einfach dazu da, sie bei dieser Herausforderung zu begleiten und zu stärken.“

Der LWB baut mit den Schwesterorganisationen Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) und Norwegian Church Aid (NCA) ein integriertes Länderprogramm in Haiti auf.

Polonne Jean-Louis wohnt noch immer mit ihren Kindern in einer winzigen provisorischen Unterkunft. Der LWB und seine Partner werden weiterhin daran arbeiten, Familien wie der ihren zu helfen, sich ein neues Zuhause zu errichten und ihre Existenzgrundlagen zu sichern.

„Was den Unterschied ausmacht“, so Jude St Gilles, „ist die Tatsache, dass wir schon vor Hurrikan ‚Matthew‘ da waren, und dass wir die Gemeinschaft noch lange danach betreuen werden.“