Kolumbien: Hilfe für die Überlebenden von Landminen

1. Mai 2023

Landminen sind ein trauriges Erbe des Bürgerkriegs – und nach wie vor verstümmeln und töten sie Menschen. Der LWB in Kolumbien und die Finnische Missionsgesellschaft (FELM) klären über die Gefahren von Landminen auf und unterstützen Menschen nach Verletzungen durch Landminen.

Maria Lucrecia

Maria Lucrecia hat ihren Mann, einen von vier Söhnen und ein Bein bei der Explosion einer Landmine verloren. Foto: FELM

Unsichtbare Zeitbomben

Landminen in Kolumbien sind das Vermächtnis eines mehr als 50 Jahre währenden Bürgerkrieges. Kolumbien hat zwar die Ottawa Konvention unterzeichnet, die Antipersonenminen verbietet, aber die Zahl der Landminen in Kolumbien nimmt stetig zu. Militärische Gruppen, die nicht Teil des 2016 geschlossenen Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC waren, benutzen sie weiterhin in ihren Kampf um Routen für den Drogenschmuggel und um Territorien.

„Der Friedensvertrag von 2016 sollte die Zahl der Landminen verringern. Nach Abschluss des Friedensvertrags haben sich jedoch neue militärische Kräfte formiert, die um territoriale Ansprüche kämpfen mit der Folge, dass jedes Jahr neue Landminen gefunden werden“, sagt Lorenzo Acevedo, beim LWB Kolumbien als operativer Leiter für die Departamentos Arauca und Casanare zuständig.

Gemeinsam gegen Landminen

Gemeinsam gegen Landminen: Vanessa Vallejo Velásquez, Projektkoordinatorin, und Angela Villamizar hoffen, noch mehr Treffen von Überlebenden in Kolumbien organisieren zu können und die Menschen dazu zu bewegen, in der Öffentlichkeit über die von Landminen bestimmte Lebenswirklichkeit zu diskutieren. Foto: FELM

Die problematische Sicherheitslage in diesen Regionen hat zur Folge, dass diese Minen nur unter schwierigsten Bedingungen zu räumen sind. Gleichzeitig beginnen die durch den Bürgerkrieg vertriebene Menschen, wieder in ihre verlassenen Häuser zurückzukehren – die aber oft nicht mehr sicher sind.

Nach einem Bericht des Roten Kreuzes gab es in der Provinz Arauca zwischen Januar und Juli 2022 etwa 43 Prozent mehr Unfälle mit Minen als im Vorjahreszeitraum. Während nach Angaben des Land Mine Monitor während des Konfliktes in erster Linie Angehörige der bewaffneten Truppen durch Minen verletzt oder getötet wurden, waren 60 Prozent der Landminenopfer 2022 Zivilistinnen und Zivilisten.

Blanca Galdera

Blanca Galdera, 79, konnte nach der Explosion einer Landmine vor zwölf Jahren nicht mehr gehen und hören. Auch ihr Geruchssinn ging verloren. Foto: FELM

Die Anzahl der Binnenvertriebenen in Arauca stieg ebenfalls von knapp über 700 auf 11.000.

„Landminen halten sich nicht an Konventionen. Sie bleiben für Jahrzehnte im Boden und können jederzeit das Leben unschuldiger Menschen zerstören“, fügt Vanessa Vallejo Velásquez hinzu, die als Projektkoordinatorin für den LWB tätig ist.

Lebensverändernde Unfälle

Alle Überlebenden der Explosion einer Landmine erinnern sich genau, wann sie das Schicksal getroffen hat. Eine von ihnen ist Maria Lucrecia. Vor zehn Jahren, Anfang April, ging sie in den Randbezirken von Saravena mit ihrem Mann, zwei Söhnen und dem Hund spazieren. Die Familie bemerkte auf dem Boden merkwürdig aussehende Kabel.  Der Hund lief der Familie voraus und schnüffelte an einem merkwürdigen Gegenstand – der explodierte.

Lucrecia wachte nach der Explosion auf und sah ihren Mann am Boden liegen.  Sie versuchte ihn zu fragen, wie es ihm gehe, wurde aber wieder ohnmächtig. Als sie wieder aufwachte, waren zwölf Tage vergangen, und sie befand sich in einem Krankenhaus und erfuhr, dass sie einen ihrer Söhne, ihren Ehemann und ein Bein verloren hatte. 

Die Genesung war ein steiniger, langer Weg, und am Anfang konnte sie sich nur schwer mit der neuen Realität abfinden. Trotzdem, so berichtete sie, habe sie Stärke aus ihren Kindern und ihren Träumen geschöpft.

Im November 2022 trafen sich die Überlebenden von Minenunfällen in Arauca. Foto: FELM

Im November 2022 trafen sich die Überlebenden von Minenunfällen in Arauca. Foto: FELM

Nach dem Vorfall nahm sie ebenfalls Kontakt zu Asodigpaz auf, einer Nichtregierungsorganisation für die Überlebenden von Landminen und gegründet im Zusammenhang mit dem LWB-Projekt. „Sie haben mich wie eine Tochter aufgenommen, und ich habe verstanden, dass wir uns nicht weiterentwickeln können, wenn wir ständig zurückschauen. Und wir müssen uns wieder daran erinnern, zu lächeln. Ich fühle mich gut, wenn ich meine Geschichte erzähle; es fühlt sich so an, als wenn ich mich von meinen Schmerzen befreie, wenn ich von meinem Schicksal berichte“, sagt Lucrecia.

Brücke zwischen Leben und Tod

Das LWB-Projekt, das von der FELM unterstützt wird, leistet in Kolumbien Aufklärungsarbeit über die Existenz von Landminen und wie man im alltäglichen Leben mit dieser Gefahr umgeht. Darüber hinaus wurden die Überlebenden über ihre Rechte und die staatliche Hilfe aufgeklärt, die ihnen zusteht, darunter Krisenhilfe, Krankenhausbehandlung, Prothesen und Rechtshilfe. 

Auch psychologische Unterstützung war ein wichtiger Teil des Projekts. LWB und FELM führen in Kolumbien ein Pionierprojekt durch, um Überlebenden diese Hilfe anzubieten. Dritter Teil des Projekts war die Gründung und Unterstützung von Verbänden und Organisationen für die Überlebenden wie z. B. Asodigpaz, die 2014 ins Leben gerufen wurde und der auch Maria Lucrecia angehört.

„Unsere Organisation ist wie eine Brücke zwischen dem Leben und dem Tod. Sie hilft uns zu verstehen, dass das Leben nicht in einem Unfall mit einer Mine endet – trotz aller widrigen Umstände sind wir hier, und wir machen weiter“, sagt Guillermo Murcia, Rechtsvertreter der Organisation.

Friedensarbeit

Ende 2022 wurde das von FELM unterstützte Projekt in Arauca nach sieben Jahren beendet. Asodigpaz, die Organisation der Überlebenden im Departamento Arauca, setzt ihre Arbeit unabhängig fort. Velásquez ist besonders von der Arbeit mit jungen Menschen begeistert, die letztes Jahr angefangen hat und die sich intensiv mit der psychosozialen Unterstützung junger Überlebender von Minenexplosionen befasst. Für junge Menschen ist es besonders schwer zu akzeptieren, dass sich ihr Leben vollständig verändert hat und damit auch ihre Zukunftspläne. Deshalb brauchen sie viel Unterstützung, besonders nach dem Unglück.

„Für die Zukunft ist es unerlässlich, dass Verletzungen und Todesfälle durch Minen ein Thema in der öffentlichen Debatte werden und dass die Risiken, die diese Minen mit sich bringen, ein fester Teil der Friedensarbeit in unserem Land werden“, sagt Velásquez.

Angela Villamizar, in Arauca Expertin für psychosoziale Unterstützung, erzählt, dass diese Art der Hilfe das Leben derjenigen Menschen, die eine Minenexplosion überlebt haben, deutlich verbessert habe. „Früher habe ich Trauer und Mitgefühl mit den Überlebenden empfunden, jetzt überwiegen Respekt und Bewunderung. Sie sind so viel mehr als nur die Überlebenden von Minenunfällen, sie sind Menschen, die sich für den Frieden in unserem Land einsetzen.“

FELM/Anna Lunden. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller