Jordanien: Hoffnung für eine „verlorene Generation“

19. Okt. 2020
Schulkinder beim Unterreicht in einem Multifunktionsraum. Foto: LWB/A. Alsamra

Schulkinder beim Unterreicht in einem Multifunktionsraum. Foto: LWB/A. Alsamra

LWB schließt Bildungsprojekt zur Unterstützung von Schulen und Gemeinschaften ab

AMMAN, Jordanien/GENF (LWI) – Lehrerfortbildung, Schulverbesserungsprojekte, Schulmaterialien, berufliche Bildung und außerschulische Beratung für junge Menschen – Tausende von syrischen und irakischen Flüchtlingskindern und auch jordanische Kinder und junge Menschen haben von einem Projekt des Lutherischen Weltbundes (LWB) profitiert, das aus Deutschland von Brot für die Welt und dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) unterstützt wurde und in diesem Jahr zu Ende gegangen ist.

Das Projekt war die Antwort auf eine Krisensituation infolge der anhaltend angespannten Flüchtlingslage in Jordanien. Das Land hat ca. 1,6 Millionen Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien aufgenommen. Während vier von zehn syrischen Kindern keine Schule besuchen, verteilen sich die restlichen 60 Prozent in erster Linie auf jordanische Schulen, die wegen der großen Zahl von Schülern und Schülerinnen jetzt oft in zwei Schichten unterrichten. Für Lehrkräfte und Kinder, aber auch für die Gebäude, von denen bereits vor der Krise viele renovierungsbedürftig waren, bedeutete dies eine erhebliche Beanspruchung dar.

Integrierter Plan

Das Projekt „Verbessertes Lernumfeld für Kinder aus Jordanien, Syrien und dem Irak sowie für junge Erwachsene als Beitrag zum sozialen Zusammenhalt“ hat diese Situation auf drei Ebenen geändert. Über einen Zeitraum von vier Jahren hat der LWB eng mit dem Bildungsministerium in Jordanien zusammengearbeitet und über 600 Lehrkräfte von 100 Schulen in neuen partizipativen Methoden und gewaltfreier Kommunikation ausgebildet. Im Rahmen konkreter Schulverbesserungsprojekte, die Renovierungsarbeiten und neue Unterrichtsmethoden miteinander kombinieren, hat der LWB mit Schulleitungen, Lehrkräften, Schülern, Schülerinnen und Eltern zusammengearbeitet und auf diese Weise ihr Engagement und ihre Mitverantwortung für die Bildung der Kinder verbessert.

 LWF/ J. Spoor

„Das Projekt nimmt sich des Problems einer ‚verlorenen Generation‘ von Flüchtlingen an, die leicht in Extremismus oder Gewalt abgleiten können“, sagt Ala Ahmad Khalil, LWB-Programmkoordinator in Jordanien.

Vier Jahre später sind die Veränderungen in den betreuten Schulen und Gemeinschaften deutlich erkennbar. Die Othman Bin Affan-Grundschule für Jungen in Zarqa gehört zu den 100 Schulen, die an dem Projekt teilgenommen haben.  Nachdem sechs der Lehrkräfte der Schule die Fortbildung absolviert hatten, erhielt die Schule Fördergelder, um ihre Verbesserungsidee umsetzen zu können: Einrichtung eines Mehrzweckraums, ausgestattet mit kreativen, künstlerischen und technischen Lehrmaterialien: Modelliermasse, Legosteine, Kreide, Musikinstrumente und ein handgefertigtes Puppentheater, das aus einem gebrauchten Pappkarton gebastelt wurde.

 LWF/ J. Spoor

„Wie ein Zauberstab“

„Alle Kinder in diesem Viertel sind arm“, erklärt Frau Ghada, die Schuldirektorin. „Sie haben kein Geld, um etwas zu unternehmen, und können sich kaum Kleidung und Nahrungsmittel leisten. Es gibt keine Spielsachen, keine Erholungsräume und keine sicheren Spielmöglichkeiten im Freien. Alle diese Kinder haben keine Chancen, sich auszutoben. Das kann sehr schnell in Aggressionen umschlagen. Es Auch ist es nicht besonders hilfreich, dass wir uns in einem Viertel mit zahlreichen anderen Problemen wie Mobbing, Rassismus, häuslicher Gewalt, Diskriminierung und Drogenmissbrauch befinden.“

Bevor sich der LWB dieses Problems angenommen hat, war ein großer Teil der Lehrkräfte voller Frustrationen. Eine der Lehrerinnen, Amaal, die seit zwei Jahren an der Schule unterrichtet, erzählt: „Irgendwann hatte ich jede Hoffnung für diese Kinder aufgegeben. Ich habe so oft versucht, ihre Verhaltens- und Denkweisen zu ändern, aber vergebens: Sie sind Liebe und Freundlichkeit nicht gewohnt. Für sie bedeutet Kommunikation, sich durchzusetzen, alles ist Konkurrenz und Kampf.“

Zunächst war Amaal sich auch nicht sicher, ob die LWB-Ausbildung in partizipativen Methoden und gewaltfreier Kommunikation irgendetwas ändern würde. Der Mehrzweckraum jedoch war eine sichtbare Ergänzung dieses neuen Handlungsansatzes und wurde ein Katalysator für Veränderungen. Die Schüler und Schülerinnen halfen mit, den Raum zu streichen und einzurichten, hielten ihn sauber und gingen sorgfältig mit den Spielsachen und Werkzeugen um.

„Dieser Raum hat mir mehr geholfen, meine Klasse in den Griff zu bekommen, als sich das irgendjemand vorstellen kann“, sagt Amaal. „Das hat wie ein Zauberstab gewirkt – etwas Konkretes und Erfahrbares hinzustellen und damit diesen Kindern psychologisch, pädagogisch und emotional zu helfen. Die Schüler und Schülerinnen benehmen sich vorbildlich, sind höflich und ruhig und können es kaum erwarten, zur Schule zu kommen. Dieser Raum ist der einzige kreative Ort in ihrem Leben, an dem sie Spaß haben können.“

 LWF/ J. Spoor

Nachhaltige Strategie

Das Beispiel findet Nachahmer. Andere Schulen haben bereits Interesse an diesen Gewaltfreiheits-Trainings bekundet und Kontakt zu den Lehrkräften aufgenommen, die im Rahmen dieses LWB-Projekts geschult wurden. Zurzeit werden Aktivitäten entwickelt, damit die Schulen diese Räume sauberhalten und zusätzliches Material einkaufen können, sobald die Anfangsinvestitionen aufgebraucht sind. Es gibt Belege dafür, dass die in das Projekt eingebundenen Schulen zu Wegbereitern des Wandels in ihren Gemeinschaften geworden sind und den sozialen Zusammenhalt zwischen den Flüchtlingen und den jordanischen Aufnahmegemeinschaften fördern.

Es ist jetzt Aufgabe der Lehrkräfte und der Schülerschaft, diese mit Hilfe des LWB auf den Weg gebrachte Arbeit fortzusetzen. „Die gemeinsame Beteiligung von Schülern, Schülerinnen und Lehrkräften hat zu einem ganz neuen Gefühl von Tatkraft und Stolz geführt, und das scheint nicht nur innerhalb der Schule, sondern auch über die Schulgrenzen hinaus sehr ansteckend zu sein. Jüngere Schüler und Schülerinnen sehen die Älteren als Vorbilder“, stellt LWB-Koordinator Khalil fest.