Honduras: „Wir gehen ohne Angst dorthin und segnen sie“

8. Okt. 2021
Julio Caballero, Präsident der Christlich-Lutherischen Kirche Honduras‘

Julio Caballero, Präsident der Christlich-Lutherischen Kirche Honduras‘

Interview mit Julio Caballero, Präsident der Christlich-Lutherischen Kirche Honduras‘

TEGUCIGALPA, Honduras/GENF (LWI) – Am 10. April dieses Jahres hat die Christlich-Lutherische Kirche Honduras‘ (ICLH) Pfr. Julio César Cabellero zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Die Wahl hatte schon 2020 stattfinden sollen, musste aber aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden. 

In dem folgenden Interview für die Stimmen aus der Kirchengemeinschaft spricht ICLH-Präsident Julio Cabellero über die Herausforderungen, vor die die COVID-19-Pandemie seine Kirche immer noch stellt, und über die Gewalt, Arbeitslosigkeit und Ungerechtigkeit, die in seinem Land ebenfalls weiterhin wüten. Er beschreibt, wie er immer wieder bemüht ist, die Führungspersonen in der ICLH in die dunkelsten Ecken des Landes zu senden, um dort Licht für die Welt zu sein. 

Erzählen Sie uns von Ihrem Heimatland Honduras und von den Lebensrealitäten der Menschen dort. 

Honduras ist ein wunderbares Land mit tropischem Klima. Es hat unvorstellbar schöne Landschaften und eine lange Geschichte. Jüngst haben wir das 200-jährige Jubiläum unserer Unabhängigkeit und das 200-jährige Bestehen der mittelamerikanischen Länder und Mexikos gefeiert. Aber gleichzeitig ist die Lage in unserem Land derzeit wirklich schwierig. Es herrscht große Ungerechtigkeit und grassierende Korruption – in der Pandemie noch stärker als je zuvor.

Am 28. November finden Parlamentswahlen statt und in der Folge die Wahl eines neuen Staatspräsidenten, aber die Menschen wissen nicht, wem sie ihre Stimme geben sollen. Sie haben das Gefühl, dass sie sich auf einen Kompromiss einlassen müssen, dass keiner der Kandidierenden wirklich gut ist. Deshalb sagen wir immer, dass nicht wirklich Unabhängigkeit herrscht. Dass es keine Freiheit gibt, weil wir eingeschränkt sind in dem, was wir denken dürfen bzw. aussprechen dürfen. 

Welches sind die größten Herausforderungen, mit denen Ihre Glaubensgemeinschaft und Ihre Kirche in diesem schwierigen Kontext konfrontiert sind? 

Menschen aus Honduras sind gezwungen ihr Land mit der ganzen Familien zu verlassen. Das ist eine große Herausforderung für unsere Kirchen, denn die Glaubensgemeinschaften wollen da sein, wo sie gebraucht werden. Wo Gewalt herrscht, wo es Drogenhandel gibt, wo Menschen umgebracht werden, wo die Menschen in Gefahr sind, versucht die Kirche da zu sein, um Hoffnung zu vermitteln, um einen anderen Weg aufzuzeigen und an der Seite der Menschen zu stehen, um die Stimme zu erheben, wenn die Rechte dieser Menschen verletzt werden. Am stärksten gefährdet sind die Rechte von Frauen, Kindern und jungen Erwachsenen. Korruption macht die Menschen noch mehr kaputt als die COVID-19-Pandemie.

Die Menschen sind in Bezug auf ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten außerdem in neue Kategorien gedrängt worden. Wer früher reich war, gilt heute als Mittelschicht. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 Prozent. Es gibt keine Jobs, die Nahrungsmittel sind knapp – und sehr viele Menschen gehen abends hungrig zu Bett. Einige Menschen betreiben Landwirtschaft, aber bekommen nur einmal im Monat Geld für ihre Ernte. Damit können sie ihrer Familie etwas zu essen besorgen; zwar nicht drei Mahlzeiten am Tag, aber immerhin eine. Institutionen und Organisationen wie Brot für die Welt leisten in besonders abgelegenen Dörfern Hilfe.

In welchen besonders schlimm betroffenen Regionen ist die Kirche aktiv? 

Die Christlich-Lutherische Kirche Honduras‘ ist 1951 in dem Dorf San Nicolás im Verwaltungsbezirk Olancho gegründet worden. Genau dort nehmen die gesellschaftliche Krise und die Klimakrise ein besonders schlimmes Ausmaß an. Erst in diesem Jahr ist die Bevölkerungszahl dramatisch zurückgegangen, weil viele Familien ausgewandert sind, um der Gewalt zu entkommen. Sie verlassen ihre Heimat, weil sie keine Arbeit finden und weil ihr bisher fruchtbarer Grund und Boden, der sie reichhaltig mit Mais, Bohnen und anderem Getreide versorgt hat, aufgrund des Klimawandels nun keine nennenswerten Erträge mehr hervorbringt. 

In Ballungszentren wie San Pedro Sula und der Hauptstadt Tegucigalpa, wo die Zentralverwaltung unserer Kirche ist, tragen Gangs, Drogenhandel und Auftragsmorde zum Verfall und einer Verschlimmerung der Lebenssituation bei. 

Wie unterstützt die Kirche Menschen, die Hunger leiden und mit der Gewalt leben müssen, und legt für sie Zeugnis ab? 

Trotz der Schwierigkeiten in dieser vielschichtigen Krise versuchen wir etwas zu bewirken. Wir versuchen, mit anderen Kirchen zusammenzuarbeiten, um über die herrschende Ungerechtigkeit und die Kriminalität zu sprechen, denn wenn wir heute schweigen, werden wir morgen leiden. Die Kirche wird oft kritisiert, aber sie sind berufen, das Wort Gottes unter die Menschen zu bringen, um sie zuzurüsten, dass sie selbst ihre Stimme erheben können. Wenn wir das nicht tun, sind auch wir an den Gräueltaten mitschuldig.

Aber wir gehen auch an die dunklen Orte, die von Drogen und Gewalt geprägt sind. Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer, unsere nicht-ordinierten Mitarbeitenden und ich gehen in diese Gemeinwesen und treffen dort junge Burschen, die Waffen bei sich tragen und Gangs angehören. Aber wir gehen ohne Angst dorthin, wir sprechen mit ihnen und wir segnen sie.

Wenn unsere Kirche an Orte wie diese geht, geben wir uns in Gottes Hände und vertrauen auf Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte“. Es ist das, was unsere Pfarrerinnen und Pfarrer in San Pedro Sula, einem schwierigen und von Gewalt geprägten Kontext, jeden Tag erleben. 

Wir, die Kirche, können ein Licht für die Welt sein, die an diesen dunklen Orten leben. Wir glauben, dass wir niemanden im Exil allein zurücklassen dürfen. Wir müssen ihnen spirituell beistehen. Wir sagen ihnen: „Ich bin bei dir, aber ich bin nicht allein bei dir; Gott ist auch bei uns.“ 

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?

Es ist ein großes Geschenk, zu wissen, dass der Lutherische Weltbund uns in Würde zusammenbringt und an unserer Seite steht. Ich schätze mich glücklich, Teil einer Familie von Protestantinnen und Protestanten zu sein, die wissen, dass uns die Gnade Gottes befreit. Zu wissen, dass wir Teil dieser Gemeinschaft sind, bedeutet zu wissen, dass wir Teil einer großartigen Familie sind, in der viele verschiedene Sprachen gesprochen werden, die aus ganz unterschiedlichen Lebensumfeldern zusammenkommt und in der die Mitglieder unterschiedliche sozioökonomische Möglichkeiten haben. Und dennoch sind wir alle Teil dieser einen großartigen Glaubensgemeinschaft. Darüber hinaus hat der LWB viele unserer Führungspersonen durch Bildungsmöglichkeiten unterstützt und ihnen dadurch geholfen, Theologie-Fachleute zu werden. 

Die Gemeinschaft von Kirchen ist da, um uns auf unserem Weg zu begleiten, uns zuzuhören und um sicherzustellen, dass wir nicht unterwegs verloren gehen.

Von LWB/A. Gray. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.