Hoffnung und Heilung für Überlebende des Bürgerkriegs im Südsudan

16. Jul. 2021
Josephine Nangonzi ist als klinische Psychologin für den LWB Uganda tätig. Foto: LWB Uganda

Josephine Nangonzi ist als klinische Psychologin für den LWB Uganda tätig. Foto: LWB Uganda

Psychologin vom LWB-Uganda bietet psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete und lokale Gemeinschaften

FLÜCHTLINGSSIEDLUNG PALORINYA, Uganda/GENF (LWI) – In den vergangenen zehn Jahren sind Tausende Menschen aus dem Südsudan in das benachbarte Uganda geflohen, um den gewalttätigen Konflikten in ihrem Land zu entkommen. Viele sind verzweifelt, nachdem sie Verwandte und ihren gesamten Besitz verloren haben und gleichzeitig einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Sie entwickeln Depressionen und andere traumabedingte Störungen.

Durch die zweite Welle der COVID-19-Pandemie, die sich derzeit – auch in den Flüchtlingssiedlungen – schnell ausbreitet, und den aus diesem Grund im Juni von der Regierung verhängten vollständigen Lockdown hat die Corona-Pandemie die Probleme für diese Menschen zusätzlich verschärft. Viele Ärztinnen und Ärzte und Therapeutinnen und Therapeuten stehen unter großem Druck, das Angebot therapeutischer Maßnahmen auszuweiten, weil die Menschen mehr denn je psychologisch betreut werden müssen. Die 30 Jahre alte klinische Psychologin Josephine Nangonzi, die in der Flüchtlingssiedlung Palorinya in der Region West-Nil für den Lutherischen Weltbund (LWB) arbeitet, ist eine solche Therapeutin. Sie begleitet die Flüchtlinge und die lokalen Gemeinschaften, die die Geflüchteten bei sich aufgenommen haben, psychologisch und bietet ihnen psychosoziale Unterstützung an.

„Die Anzahl der Menschen, die sich um psychologische Unterstützung bemühen, ist drastisch gestiegen“, sagt Nangonzi. „Viele Menschen sind schon durch den Konflikt traumatisiert und jetzt kommt noch die Angst hinzu, sich mit COVID-19 anzustecken und daran zu sterben.“ Auch Nangonzi selbst ist in Sorge, sich mit COVID-19 zu infizieren, aber ihre Geschichte ist eine Geschichte von Resilienz, Engagement, Empathie und dem Dienst am Menschen.

 LWF/Uganda

Ihr Tag beginnt um 5:00 Uhr morgens mit Gebeten und Vorbereitungen. Einen großen Teil ihrer Arbeitszeit verbringt sie in therapeutischen Einzel- oder Gruppensitzungen mit Geflüchteten, von denen viele von diversen Gesundheitseinrichtungen und Schutzteams an sie überwiesen wurden. „Das Ergebnis unserer Arbeit sind oft nicht sofort erkennbar, aber sie hat einen großen Nutzen“, erklärt Nangonzi.

Es gebe so viele Menschen, die schwierige Situationen durchleben, aber mit allen einzeln zu sprechen sei aufgrund der Personalknappheit in den Siedlungen fast unmöglich. „Die Menschen in den Gruppensitzungen tauschen sich über Ideen und Lösungen aus, wie sie ihre Probleme in den Griff bekommen können. Menschen denken oft, dass niemand ihre Situation versteht, aber wenn sie hören, dass jemand anders von noch schlimmeren Erfahrungen berichtet, spendet das ein wenig Trost und macht diese Menschen ein wenig stärker“, fügt sie hinzu. Für Menschen, die sich in der Gruppentherapie nicht wohlfühlen, müsse dann eine Einzeltherapie in Betracht gezogen werden.

Einige der Menschen, die Nangonzi behandelt, haben sich von einer COVID-19-Erkrankung erholt, andere könnten das Virus aber noch in sich tragen. Sie muss deshalb versuchen, sich selbst bestmöglich zu schützen: Schutzkleidung einschließlich einer Gesichtsmaske und eines Gesichtsschildes sind bei jeder Interaktion mit den Patientinnen und Patienten ein absolutes Muss. Auch ihre Klientinnen und Klienten müssen darauf achten, dass sie die Gefahr einer weiteren Ausbreitung des Virus durch Standardmaßnahmen wie das Tragen von Masken, das Abstandhalten und regelmäßiges Händewaschen minimieren.

COVID macht einsam

Trotz all dieser Vorsichtsmaßnahmen waren Angst und Furcht vor ihrer ersten Therapiesitzung mit COVID-19-Patientinnen und -Patienten im Juni dieses Jahres ihr ständiger Begleiter. „Die Situation war beängstigend, aber ich habe mir in dem Moment einfach nur die Frage gestellt, ob ich etwas für diese Menschen tun könnte, und sei es noch so unbedeutend, damit sie einen weiteren Tag überstehen“, sagt sie. COVID-19 mache die Menschen, die sich damit angesteckt haben, einsam, denn sie werden von ihrer Familie und ihren Freunden getrennt, verlieren ihre sozialen Kontakte und oftmals leider auch jede Hoffnung.

Auch Kolleginnen und Kollegen hätten sie vor den Risiken gewarnt, die der Umgang mit COVID-19-Patientinnen und -Patienten mit sich bringen würde. „Einer der Ärzte hier im Zentrum hat mich gefragt: Wissen Sie, auf was Sie sich da einlassen? Wissen Sie, wie gefährlich das ist? Aber ich habe nur gedacht, wenn ihr zu allen diesen COVID-19-Opfern gehen könnt und dabei die Vorsichtsmaßnahmen beachtet, warum sollte ich das nicht können?“, erinnert sie sich.

Viele Menschen, die an COVID-19 erkrankt sind, haben sich inzwischen von dem Virus erholt. Für Nangonzi aber bleibt nach wie vor viel zu tun, um einzelne Menschen und die Gemeinschaft insgesamt zu unterstützen. „Die Heilung muss sowohl auf körperlicher als auch auf psychologischer Ebene stattfinden“, erklärt sie. „Man fühlt sich körperlich vielleicht besser, wenn man ein Medikament genommen hat, aber findet Heilung auch auf psychischer Ebene statt? Ich habe das Gefühl, dass die psychologische Unterstützung von COVID-19-Opfern richtig ist.“ Die Akzeptanz innerhalb der Familie, berichtet sie weiter, sei eine wichtige Kraftquelle für viele Menschen, die unter COVID-19 leiden.

Am Ende gehört es zu Nangonzis schönsten Erlebnissen, wenn jemand zu ihr kommt und sagt: „Sie haben mir geholfen, keine falschen Entscheidungen zu treffen.“ Schlimm sei es, so fügt sie hinzu, das Gefühl haben zu müssen, „dass man mit einem Klienten oder einer Klientin einfach nicht weiterkommt und man sich fragt, was mache ich falsch, was erzählt mir dieser Mensch nicht?“

Nangonzi ist im Distrikt Kyotera aufgewachsen, einer ländlichen Gegend in Zentraluganda, in der Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Aussätzige behandelt wurden. Diese Erfahrungen haben in ihr den Wunsch und die Passion entstehen lassen, Teil der Lösung zu werden. „Ich wollte Ärztin werden, aber als das nicht zu realisieren war, hat mir ein Freund etwas über Psychologie erzählt, und dass dies auch die Behandlung von Menschen umfasse“, erinnert sich Nangonzi. Bevor sie zum LWB kam, hat sie im Butabika National Referral Hospital gearbeitet, das auf psychische Erkrankungen spezialisiert ist.

Wie die meisten von uns freut sich Josephine Nangonzi auf den Tag, an dem die Welt wieder in die Normalität zurückfindet und sie ihre Hochzeit weiter vorbereiten kann, die aufgrund der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste. Genauso freut sie sich darauf, wieder mit ihrer Familie vereint zu sein, die sie seit einiger Zeit nicht gesehen hat. Im Moment aber wartet eine lange Schlange von Patientinnen und Patienten in dem vom LWB unterstützten Gesundheitszentrum Ukuni III auf sie, wo sie jeden Tag versucht, all jenen Hoffnung und Zukunftsperspektiven zu geben, sie diese am dringendsten brauchen.

Von LWF Uganda/Lydia Namirimo Bakumpe. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion Andrea Hellfritz

 

Das Programm von LWB-Uganda für psychische Gesundheitsfürsorge und psychosoziale Unterstützung (MHPSS) ist auf mehr als 72.000 Menschen in 21 Flüchtlingssiedlungen in der Region West-Nil ausgerichtet. Oberste Priorität haben dabei die schutzbedürftigsten Menschen, die besonders dringend psychische und psychosoziale Unterstützung brauchen.