Haiti: Arbeit in einer herausfordernden Umgebung

6. Feb. 2023

Naomie Beaujour, LWB-Programmmanagerin für Haiti, spricht über das LWB-Programm und die Sicherheitslage auf dem Inselstaat.

 

Haiti house construction

Bewohnerin vor einem nach dem Erdbeben im August 2021 neu errichteten Haus. Foto: LWB Haiti

Aufbau von Widerstandskraft in sozial schwachen Gemeinden

(LWI) – „Haiti ist ein wunderschönes Land, doch bei all dem, was hier passiert, sieht man das nicht“, sagt Naomie Beaujour, Programmmanagerin des Lutherischen Weltbundes (LWB) für Haiti. Bei ihrem Besuch beim LWB in Genf spricht sie über das LWB-Programm, die Sicherheitslage auf dem Inselstaat und die Arbeit, die etwas in Haiti bewirkt.

Die politische und wirtschaftliche Krise auf Haiti verschärfte sich im vergangenen Jahr infolge der Ermordung des Präsidenten 2021. Es kam zu Bürgerproteste gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die soziale Unsicherheit. 2022 erlebte das Land einen politischen Stillstand, steigende Gas- und Wasserpreise und eine rasante Zunahme von Bandenkriminalität mit Entführungen und Todesfällen. Seit Herbst 2022 hat es Haiti auch noch mit einem Cholera-Ausbruch zu tun. Im November 2022 warnte der Hohe Kommissar der UN für Menschenrechte, Volker Türk, dass sich Haiti „am Rande eines Abgrunds“ befände.

“Ich bin sehr stolz, für den LWB zu arbeiten. Meine Hoffnung ist, dass der Frieden zurückkehrt und wir uns für die Schönheit Haitis einsetzen können.”

– Naomie BEAUJOUR, Programmmanagerin des Lutherischen Weltbundes für Haiti

Haiti sheeps

Schafzucht in einer Bauspargruppe in Grand‘ Anse. Foto: LWB Haiti

„Am Rande eines Abgrunds“

Die Lage habe sich nicht verbessert, sagt die in Port-au-Prince geborene und aufgewachsene Beaujour, die den Niedergang von Sicherheit und Stabilität in ihrem Land seit Jahren miterlebt. Doch in den vergangenen Monaten wurde die Lage zunehmend gefährlicher. „Es wird von Tag zu Tag schlimmer. Die Gangs haben das Terrain übernommen“, sagt sie. „Es kommt zu Entführungen, Ermordungen und die Menschen haben Angst, nach draußen zu gehen, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit.“

Trotz dieser Herausforderungen arbeitet das gemeinsame Büro von LWB, NCA und DKH weiter. Ein Shuttle bringt die Mitarbeitenden der Nichtregierungsorganisation zu ihren Büros, damit sie im öffentlichen Nahverkehr keiner Gefahr ausgesetzt sind. Das 2017 in Port-au-Prince eröffnete gemeinsame Büro von LWB-Weltdienst, Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) und der norwegischen kirchlichen Hilfsorganisation Kirkens Nødhjelp (NCA) bietet Unterstützung in den Bereichen Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene (WatSan), Lebensunterhalt, Anpassung an den Klimawandel, Nahrungsmittelsicherheit und Gefahrenminderung im Katastrophenfall (GKF). 2021 half das Programm über 75.000 Menschen in ländlichen Gebieten.

Die landwirtschaftlichen Gemeinden in ländlichen Gebieten leiden am meisten unter der sozialen Unsicherheit im Land. Die Lebenshaltungskosten sind exponentiell gestiegen, und Gangs beherrschen die Straßen, die in die Hauptstadt führen. Das hat zur Folge, dass die Bäuerinnen und Bauern nicht mehr kommen, um ihre Waren zu verkaufen, was zu Ernährungsunsicherheit in Port-au-Prince und zu fehlenden Bargeldeinnahmen in den umliegenden Gebieten führt. Auch Hilfsorganisationen wie der LWB und seine Partnerinnen und Partner haben dadurch Schwierigkeiten, die außerhalb der Stadt gelegenen Gemeinden zu besuchen.

Haiti Naomie Beaujour

Naomie Beaujour, LWB-Programmmanagerin für Haiti, bei ihrem Besuch im Büro der LWB-Kirchengemeinschaft in Genf. Foto: LWB/C. Kästner

Arbeit mit Partnerinnen und Partnern vor Ort.

„Zum Glück arbeiten wir mit Partnerinnen und Partnern vor Ort“, sagt Beaujour. „Wir sprechen täglich mit ihnen und treffen uns regelmäßig online. Wenn es die Flüge mit Hilfsgütern zulassen, gehen wir auch hin und besuchen die Gemeinden.“ LWB unterstützt die Gemeinden mit Krediten auf Gegenseitigkeit, Spargemeinschaften und Einkommensdiversifizierung und bei unternehmerischen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten.

Zudem hilft das Team Gemeinden, die sich mit den steigenden Lebenshaltungskosten schwer tun. „Wir stellen Wasser zur Verfügung, denn in der Hauptstadt kosten 5 Gallonen (ca. 18 Liter) jetzt 75 Cent, und das können sich die Menschen nicht leisten“, berichtet Beaujour. „Der LWB schaffte es, die Landbevölkerung mit sauberem und sicherem Wasser für weniger als 1 Cent oder ganz kostenlos zu versorgen. Wir haben auch eine mit Solarstrom betriebene Wasserpumpe installiert.“

Da Haiti geographisch in einem für Erdbeben und Tropenstürme anfälligen Gebiet liegt, unterstützt der LWB die Gemeinden auch bei Maßnahmen zur Gefahrenminderung im Katastrophenfall. Die ländlichen Gebiete liegen weitab von jeder Hilfe, und bei einem Zusammenbruch der öffentlichen Versorgungsbetriebe stellt der Aufbau von örtlichen Strukturen und technischen Hilfsleistungen für öffentliche Einrichtungen die beste Lösung dar.

Haiti drinking water

Wassertrinkstelle an einer vom LWB-Gemeinschaftsprogramm wieder aufgebauten Schule. Foto: LWB Haiti

Sorge um die Kinder

Einen weiteren Schwerpunkt legt das gemeinsame Büro auf Haiti auf Bildungsmaßnahmen. Der LWB unterstützt mehrere Schulen in ländlichen Gebieten mit Wasser und sanitärer Infrastruktur. Gerade in diesen Zeiten böten die Schulen den Kindern den Halt, der ihnen ansonsten häufig fehle, sagt Beaujour. „Daheim erleben die Kinder die Belastungen mit, erfahren vielleicht sogar Gewalt. Bei vielen von ihnen wurde ein Familienmitglied getötet oder entführt. Sie verlieren ihre Freunde, weil viele Menschen das Land verlassen“, erklärt Beaujour. Auch mangele es aufgrund der sozialen Unsicherheit an kulturellen Angeboten wie Kinos, Theatern oder Jugendclubs.

Während diese Arbeit auf dem Land etwas bewirkt, ist die Schule in der Stadt nicht mehr sicher. Am 26. Januar demonstrierten Schulkinder in Port-au-Prince, nachdem eine Gang eine Lehrkraft und sechs Schülerinnen und Schüler entführt hatte. Viele Eltern haben Angst, ihre Kinder allein auf die Straße gehen zu lassen, und können sich keine Busfahrkarten leisten.

„Bildung ist Hoffnung, und das ist das wichtigste, was wir den Kindern geben können. Wie können sie aufwachsen, wenn sie nicht zur Schule gehen?“, fragt Beaujour.

Auch wenn die Arbeit anstrengend sei, betont Beaujour, wie sehr sie im Leben der Gemeinden, in denen sie tätig ist, einen Unterschied ausmacht. „Wenn ich ins Feld gehe, sagen die Leute: Danke. Sie lächeln, und sie haben Ernteerträge, Wasser und ein sicheres Zuhause. Ich denke, ich kann meinen Teil dazu beitragen“, sagt sie abschließend. „Ich bin stolz, für den LWB zu arbeiten. Ich hoffe, dass der Frieden zurückkehrt und dass wir für die Schönheit für Haiti kämpfen können.“

 

LWF/C. Kästner-Meyer, Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: S.Kredig