Ein Symbol des Lebens und der Hoffnung

14. Sep. 2016
Christian Chavarria Ayala, Künstler aus El Salvador, in seinem Atelier. Foto: Juan Arrieta

Christian Chavarria Ayala, Künstler aus El Salvador, in seinem Atelier. Foto: Juan Arrieta

Ein Kreuz aus El Salvador für das Gemeinsame Ökumenische Reformationsgedenken

SAN SALVADOR, El Salvador/GENF, 6. September 2016 (LWI) – Auf fast jedem Kreuz, das Christian Chavarria Ayala bemalt, ist eine weiße Taube zu sehen. Der Künstler sitzt in seinem Atelier im Obergeschoss der lutherischen Gemeinde La Resurrection in San Salvador und taucht seinen Pinsel in blaue Farbe für den Himmel auf einem kleinen hölzernen Kreuz. Ganze Stapel mehr oder weniger vollendeter Arbeiten in allen Größen stapeln sich um ihn herum: einige davon nur wenige Zentimeter groß, das größte einen halben Meter hoch. Alle diese Kreuze wurden von Hand bemalt.

Was ihn in diesen Tagen jedoch besonders beschäftigt, ist in seinem Atelier nicht zu sehen: Christian Chavarria Ayala bemalt das Kreuz für den gemeinsamen Gebetsgottesdienst anlässlich des Gemeinsamen Ökumenischen Reformationsgedenkens am 31. Oktober 2016 in Lund und Malmö (Schweden). Wenn sich hier Lutheraner und Katholiken gemeinsam mit ökumenischen Gästen zusammenfinden, wird dieses Kreuz eine Botschaft der Hoffnung aus einem Land bringen, das von Konflikten zerrissenen ist.

Die Taube als Zeichen des Friedens und des Protests

Die Taube auf dem Kreuz ist ein Zeichen des Protests. In El Salvador war es viele Jahre lang verboten, Bilder von weißen Tauben zu malen. Wer es dennoch tat, brachte sich damit in Lebensgefahr. Chavarria erinnert sich, dass Soldaten seine Kreuze bei einer Hausdurchsuchung fanden, als er noch ein Kind war, und ihn nach den weißen Vögeln auf seinen frühen, im traditionellen salvadorianischen Stil gemalten Werken fragten. „Ich sagte ihnen nicht den wahren Grund dafür, nämlich dass die Tauben meinen Wunsch nach Frieden im Land ausdrückten“, sagt er. „Es war nicht erlaubt, das zu sagen.“

Chavarria hat den Bürgerkrieg in El Salvador miterlebt. Er war noch ein Kind, als zwei seiner Geschwister getötet wurden. Seine Mutter und er flohen nach Honduras, lebten im Wald und später jahrelang wie Gefangene in einem Flüchtlingslager. Dort begann er zu malen. Eine Weihnachtskarte war sein erstes Werk. „Meine Mutter bat mich, eine Grußkarte zu gestalten, die das Weihnachtsfest in einer reichen und in einer armen Familie zeigen sollte“, erzählt er. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte, denn ich kannte Weihnachten nur in einer armen Familie.“

Wie kann man Freiheit beschreiben?

Als Teenager geriet Chavarria ins Visier der Todesschwadronen, da er sich der Guerilla angeschlossen hatte. Es gelang seiner Mutter, ihn als Flüchtling nach Schweden zu schicken. „Es war sehr kalt und schwierig dort, denn ich war allein“, erinnert er sich an die zwei Jahre, die er in Skandinavien verbrachte. „Doch es war auch eine große Chance für mich. Ich fühlte mich zum ersten Mal frei.“

„Wie kann ich die Freiheit beschreiben, die ich fühlte? Ich konnte nachts durch die Straßen gehen, ohne dass etwas passierte. Ich konnte alles sagen, was ich wollte. Mir fehlen die Worte, um auszudrücken, wie sich das anfühlt. In El Salvador war ich ständig bedroht, mein Leben war in Gefahr. Ich entdeckte, dass Menschen in manchen Teilen der Welt frei sein können. Dafür werde ich immer dankbar sein.“

Etwas von dieser Erfahrung kommt in seiner Kunst zum Ausdruck. Glückliche, sorgenfreie Menschen, farbenfrohe Tiere, die Sonne. „Ich verwende kein Schwarz oder Grau, ich mag fröhliche Farben“, sagt er. „Und ich male niemals zweimal das gleiche Kreuz. Jedes ist einzigartig.“

Chavarria verließ Schweden nicht freiwillig. Das Gesetz zur Familienzusammenführung zwang ihn, zurückzugehen, als er volljährig wurde – damals ein schwerer Schritt für ihn. Heute jedoch möchte er nirgends anders mehr leben als in El Salvador. „Ich war die meiste Zeit meines Lebens Flüchtling, und ich liebe mein Land“, sagt er. „Man sollte es nicht den schlechten Menschen überlassen.“

Das Kreuz verwandeln

Chavarrias Karriere als Künstler begann, als er eines der Kreuze, die er bemalt hatte, einem finnischen Pfarrer gab. Kurz darauf bestellte die Evangelisch-Lutherische Kirche Finnlands 1.000 Stück. „Ich arbeitete Tag und Nacht“, erinnert er sich. „Nur ein paar Wochen, nachdem die Kreuze geliefert worden waren, riefen sie wieder an und sagten: Alle Kreuze sind verkauft, können Sie weitere 2000 Stück bemalen?“ Er klingt immer noch ein bisschen ungläubig, wenn er davon erzählt.

Heute hat er eine kleine Werkstatt im Obergeschoss von La Resurrection, der lutherischen Gemeinde in San Salvador, bei deren Wiederaufbau er hilft. Sonntags spielt er beim Gottesdienst Klavier, die Woche über beschäftigt er sieben Leute mit seiner Kunst, die dazu beiträgt, deren Familien zu ernähren.

Chavarria selbst macht nach wie vor die Entwürfe, zeichnet die Figuren vor und entwickelt die Ideen. Er schätzt, dass er inzwischen mehr als 130.000 Kreuze gefertigt hat, die in 109 Länder versandt wurden. Seine Kreuze hängen in den Büros von Bischöfen, Politikern und (ehemaligen) Präsidenten, sie sind bis nach Nordamerika, Europa, in den Nahen Osten, nach Afrika, Asien und in den Vatikan gekommen. LWB-Präsident Bischof Munib A. Younan überreichte Papst Franziskus bei einer Audienz im Jahr 2013 eines der salvadorianischen Kreuze.

„Es war eine große Ehre für mich, als der LWB mich bat, Kreuze für sie zu bemalen“, sagt er. „Ich hätte nie gedacht, dass meine Kunst in der Welt so geschätzt wird. Ich danke Gott für diese Gabe, denn so kann ich meine Familie unterstützen, und sie hilft mir auch, mit meinem eigenen Trauma aus dem Bürgerkrieg klar zu kommen.“

Lass dich nicht von Angst beherrschen

Wer in El Salvador geschäftlich erfolgreich ist, wird leicht zur Zielscheibe von Gewalt und Erpressung. Straßenbanden und Drogenhandel haben die Gewalt des Bürgerkriegs ersetzt. Es ist gefährlich, sich in bestimmte Teile der Stadt zu begeben, nachts auf die Straße zu gehen, offensichtlich zu zeigen, dass man Geld hat. Menschen werden für eine Halskette oder ein Handy erschossen.

Chavarria hat Drohungen erhalten, seine Geschwister sind ausgewandert. Er selbst denkt jedoch nicht daran, sein Geschäft aufzugeben. „Wenn du Angst hast, verlierst du alles. Angst schwächt dich“, sagt er. „Die Leute sagen mir, ich solle meine Gemeinde nicht besuchen, aber natürlich gehe ich hin. Manchmal ist es gefährlich. Diese Angst eröffnet auch Geschäftsmöglichkeiten für Sicherheitsdienste, die aufgrund von Unsicherheit und Gewalt Geld verdienen.“

Chavarria hat begonnen, Theologie zu studieren und ist auf dem Weg, Pfarrer zu werden. Die Kreuze, die er bemalt, erzählen von der Hoffnung auf eine andere Welt als die, in der er lebt. „Die Situation hier ist wie ein dunkles Kreuz, das wir jeden Tag tragen, doch wir müssen es verwandeln“, sagt der Künstler. „Wir bemalen Kreuze mit leuchtenden Farben, um die Schönheit der Schöpfung Gottes zu zeigen. Das Kreuz soll nicht daran erinnern, dass Jesus daran gestorben ist, sondern dass er gestorben und wieder auferstanden ist. Es ist ein Symbol des Lebens für uns.“

Das Kreuz in Lund wird einen Teil dieser Vision zeigen. Chavarria hat sie auf dem Querbalken dargestellt: „Alle Menschen der Erde sind dort vertreten“, sagt er. „Trotz unterschiedlicher Rassen, Kultur, Hautfarbe und Alter sind sie zusammen und an den Tisch des Herrn eingeladen.“

Artikel von LWB/C. Kästner

  

 

  

   

 

LWF/OCS Cornelia Kästner