Ein Mädchen ist kein „Gegenstand, der zu verkaufen ist“

14. Okt. 2015
Die 15-jährige Fatou Haidana ist gelähmt. Sie hat schon mehrere Heiratsanträge abgelehnt. Ohne das LWB-Patenschaftsprogramm, das ihr den Schulbesuch ermöglicht, wäre das sehr viel schwieriger. Foto: LWB/C. Kästner

Die 15-jährige Fatou Haidana ist gelähmt. Sie hat schon mehrere Heiratsanträge abgelehnt. Ohne das LWB-Patenschaftsprogramm, das ihr den Schulbesuch ermöglicht, wäre das sehr viel schwieriger. Foto: LWB/C. Kästner

Mauretanien: Förderpatenschaften verleihen Mädchen Mut zu eigenen Entscheidungen

Nouakchott (Mauretanien)/Genf, 14. Oktober 2015 (LWI) – Der erste Mann, der Fatou Haidana heiraten wollte, sah sie auf dem Markt. Er folgte ihr bis nach Hause und hielt um ihre Hand an. Ihre Mutter lehnte ab. Der zweite war ein Marabout, ein Heiler, der drohte, sie zu verfluchen, falls sie sich weigere. Ihre Eltern schickten auch ihn weg. „Ich wäre gern verheiratet, das wünscht sich jedes Mädchen“, bekennt die 15-jährige Mauretanierin. „Aber erst muss ich die Schule fertig machen. Mit einer guten Bildung und einem Beruf wäre ich unabhängig.“

Der Begriff Unabhängigkeit passt auf den ersten Blick nicht unbedingt zu Fatou, die im Rollstuhl sitzt. Fatou braucht Hilfe, wenn sie ihre Sitzposition auf dem Wohnzimmerboden verändern oder gar in den Rollstuhl wechseln möchte. Eine vom Mauretanienprogramm des LWB vergebene Förderpatenschaft gibt ihr die Möglichkeit, zur Schule zu gehen, und hat ihr das nötige Selbstvertrauen vermittelt, eigene Entscheidungen zu treffen.

Viele helfen

Im Jahr 2009 bemerkte Fatou erstmals eine Schwäche in ihren Beinen. Der Heiler, an den sich ihre Familie wandte, behandelte sie mit Heilpflanzen und massierte ihre Beine. Aber Fatou stürzte immer wieder. Zwei Jahre später dann, mit 11 Jahren, konnte sie gar nicht mehr laufen. „Für mich hat sich damit sehr viel verändert“, berichtet sie. „Ich brauche immer Hilfe, sogar beim Anziehen.“

Jeden Morgen fährt sie mit dem Taxi, dem einzigen verfügbaren Transportmittel, zur Schule. Ihre Mutter muss sie vom Rollstuhl in das Auto heben. „Manche Taxis halten nicht an, wenn sie meinen Rollstuhl sehen“, so Fatou. „Aber es gibt auch sehr freundliche Fahrer, die helfen, mich hineinzuheben. Wegen dem Taxiproblem komme ich oft zu spät.“

In der Schule unterstützen sie Freundinnen und Lehrkräfte, die auch Unterricht mit ihr nachholen, wenn sie etwas verpasst hat, entweder, weil kein Taxi aufzutreiben oder weil ihre Mutter krank war. Das Patenschaftsprogramm kommt für Schulgebühren, Lernmaterialien, medizinische Untersuchungen und die Krankenversicherung von Fatou und ihrer Mutter auf, sowie für zusätzliche Hilfestellungen in der Schule, etwa weitere Unterrichtsmittel und Förderkurse. Die Finanzierung der Taxikosten von umgerechnet 3,30 US-Dollar täglich und die Hilfe zu Hause muss ihre Familie selbst bewältigen. Fatou muss ausserdem ihr Mittagessen kaufen, weil sie in der Pause nicht wie die anderen zum Essen nach Hause laufen kann.

Fatou möchte Medizin studieren

Fatou lebt mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und zwei Geschwistern im ärmeren Teil der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott. Die unbefestigte Strasse ist voller Steine und Schlaglöcher. Mit dem Rollstuhl kommt man hier nur schwer vorwärts. Fatous Mutter hat ihre Arbeitsstelle aufgeben müssen, weil sie Probleme mit dem Rücken hat. Wenn man jeden Tag immer wieder eine Heranwachsende heben muss, fordert das seinen Preis. Die Familie kommt nur mit Mühe über die Runden, steht aber entschlossen hinter Fatou.

Das Patenschaftsprogramm des LWB soll Kindern in schwierigen Situationen eine Schulbildung ermöglichen. Fatou ist eine von 330 StipendiatInnen, 70 Prozent von ihnen sind Mädchen aus armen Familien. 11 Prozent der Kinder haben eine Behinderung. Über Einzelpatenschaften finanziert die Finnische Evangelisch-Lutherische Mission (FELM) jeweils die Schulgebühren, Begleitung durch Lehrkräfte und Förderunterricht. Zweimal jährlich wird über Fatous Fortschritte und ihre Noten Bericht erstattet. Sie ist an ihrer Schule die Einzige mit einer Behinderung, gehört aber trotzdem regelmässig zu den Klassenbesten.

Fatou verbringt viele Nachmittage zu Hause, lernt und hört Musik. Aber sie pflegt auch ihre Freundschaften – ihre Freundinnen besuchen sie, helfen ihr, sich in der Schule zu bewegen, und laden sie zu ihren Geburtstagsfeiern ein. Die Unterstützung durch ihre Familie, durch Lehrkräfte und Freundinnen hat Fatous Selbstvertrauen gestärkt, so dass sie Pläne für die Zukunft macht. Sie möchte Medizin studieren und „die beste Ärztin im Land“ werden. Sie träumt von einer Reise in die USA, wo ihr Onkel lebt, der ihr viel Gutes von dem Land erzählt hat.

„Sie wollten mich besitzen“

Hochzeiten aber mag Fatou nicht. Sie sind laut, es ist eng und viele Gäste starren das Mädchen im Rollstuhl an. „Sie fragen mich, warum ich nicht laufe – ich hätte doch zwei Beine“, erzählt sie. „Ich verbringe meine Zeit lieber mit Leuten, bei denen ich mich wohlfühle.“

Wie andere mauretanische Mädchen in ihrem Alter würde Fatou gerne irgendwann heiraten und eine Familie gründen. Inzwischen hat sie noch einige Heiratsanträge mehr bekommen. Ein Mann versprach ihr ein Haus, ein anderer wollte ihr ein Auto kaufen. Die meisten behaupteten, sie könnte weiter zur Schule gehen, und alle boten an, die ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen zu bezahlen, die Fatou vielleicht wieder in die Lage versetzen könnten, zu laufen.

Fatou aber hat immer wieder nein gesagt. „Ich bin noch nicht soweit“, erklärt sie. „Mir hat die Art und Weise nicht gefallen, wie [diese Männer] geredet haben. Ich kam mir vor wie ein Gegenstand, der zu verkaufen ist. Sie wollten mich besitzen.“