Die Vielfalt einer Konfessionsfamilie kennenlernen

17. Mai 2019
Frank Otfried July, LWB-Ratsmitglied und Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Württemberg. Foto: EMH/Gottfried Stoppel

Frank Otfried July, LWB-Ratsmitglied und Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Württemberg. Foto: EMH/Gottfried Stoppel

Interview mit LWB-Ratsmitglied Landesbischof Frank Otfried July, Evangelische Landeskirche in Württemberg

Stuttgart, Deutschland/Genf (LWI) – „Die Christusmitte ruft zur Einheit in Vielfalt“, ist Pfarrer Dr. h.c. Frank Otfried July überzeugt. Seit September 2005 ist Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und engagiert sich seit langem im Lutherischen Weltbund (LWB).

Mit der Lutherischen Weltinformation (LWI) sprach er über seine vielfältigen Engagements für die lutherische Gemeinschaft, die Perspektiven, die sich daraus entwickelt haben sowie über die Situation der Kirchen in Deutschland, insbesondere die der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Württemberg.

Zum LWB hatten und haben Sie vielfache Verbindungen. Was bedeutet Ihnen diese weltweite lutherische Kirchengemeinschaft persönlich?

Sie ist für mich eine bedeutende Lebenswelt und ein wichtiges Lernfeld geworden. Kirche vor Ort ist ganz Kirche, aber nicht die ganze Kirche. Im LWB lernen Sie die Vielfalt einer Konfessionsfamilie kennen! Die Sichtweise von Minderheits- und Mehrheitskirchen aus verschiedenen Kontexten und Kulturen. Zudem ist der LWB intensiv ökumenisch unterwegs und übernimmt Verantwortung in Fragen der Entwicklungszusammenarbeit, der Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und des Friedens.

Welche herausragenden Entwicklungen haben in diesen Jahren stattgefunden und welche Herausforderungen stehen dem LWB aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren bevor?

Angefangen hat meine Zeit im LWB 2010 mit der historischen Vergebungsbitte an die Mennoniten bei der Elften LWB-Vollversammlung in Stuttgart, es folgte die beharrliche Entwicklung eines vertieften Konzepts des LWB als Communio, also kirchlicher Gemeinschaft.
Ein Höhepunkt war natürlich die Feier des Reformationsjubiläums bei der Zwölften LWB-Vollversammlung in Windhuk 2017 und der Weg dorthin. Wir müssen in unserer globalisierten Welt deutlich machen, dass Kirche schon seit den Anfängen ein globales Bewusstsein hat. In unserer Welt, die große Transformationen erlebt, bleibt es für den LWB eine hervorgehobene Aufgabe, global das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen und Stimme der Stimmlosen zu sein. Die Bedeutung des LWB wächst geradezu, deshalb müssen wir Kommunikations- und Strukturprozesse anpassen. Die guten Erfahrungen mit dem Reformationsjubiläum haben dazu ermutigt, die Aufgaben anzunehmen.

Sie sind Vorsitzender im Kuratorium der Lutherischen Stiftung für Ökumenische Forschung – und das Institut für Ökumenische Forschung in Straßburg ist maßgeblich an den Dialogprozessen des LWB beteiligt. Welche Fragen stehen dort derzeit auf der Tagesordnung?

Wir müssen weiterhin geduldig um theologische Verständigung in den traditionellen Dialogen ringen. Auch wenn vieles schon erreicht ist, bleiben Fragen des Amtes oder des Kirchenverständnisses zu diskutieren. Das Vertrauen ist im Dialog mit den anderen Kirchen gewachsen und gefestigt, sei es im Dialog mit der römisch-katholischen Kirche, den Kirchen der Orthodoxie oder auch Pfingstkirchen und Mennoniten.

Natürlich steht die Frage im Raum: Was heißt ökumenische Dialogarbeit in der Zukunft? Die Situation der Kirchen hat sich in vielen Ländern verändert. Neue Fragestellungen ziehen herauf: Zum Beispiel die Zusammenarbeit in ethischen Problemstellungen. Was kann lutherische Theologie da beitragen? Und es gilt, die verschiedenen theologischen Traditionen und Haltungen einer weltweiten Ökumene in die Dialogarbeit einzubeziehen.

In Deutschland wurden Sie im Dezember 2018 zum Vorsitzenden des Deutschen Nationalkomitees des LWB (DNK/LWB) gewählt. Welche Rolle spielen die deutschen LWB-Mitgliedskirchen in Europa und für die weltweite Kirchengemeinschaft?

Die deutschen LWB-Mitgliedskirchen sollten ihre materiellen und geistig-geistlichen Gaben ganz bewusst in den Dienst der lutherischen Communio in Europa und weltweit stellen. Wir haben mit der Reformation eine eigene Geschichte und eigene Erfahrung in einem speziellen gesellschaftlichen Kontext. Gleichzeitig wollen wir uns auch als hörende LWB-Mitgliedskirchen verstehen.
In diesen Tagen hatten wir in Württemberg eine Delegation aus elf verschiedenen Kirchen zu Gast. Sie haben uns visitiert: Es gab Gespräche, Besuche, Analysen, Diskussion und Gottesdienste. Wir haben gehört, was sie uns zu sagen haben. Im LWB sollte dieser Austausch Standard sein. Die Kirchen des DNK/LWB wollen gerne ihren Beitrag dazu leisten.

Welche Themen liegen in Ihrer Kirche aktuell obenauf?

Die württembergische Landeskirche ist eine lutherische Kirche mit einer starken pietistischen Tradition, die bis heute Mitgestaltung in der Kirche ausübt.

Durch die Direktwahl der Synode und die Ausbildung von kirchenpolitischen „Fraktionen“ sind in unserer Landessynode sehr direkte und auch kontroverse Diskussionen möglich. So ist unsere Synode ein gutes Abbild der verschiedenen theologischen Haltungen und Strömungen in der Landeskirche. Die Christusmitte ruft uns dabei immer wieder zur Einheit in Vielfalt.

Gegenwärtig fordern uns die Prognosen zur Mitgliederentwicklung in den deutschen Kirchen insgesamt, aber auch in Württemberg heraus. Bis zum Jahr 2060 könnten wir bei der Hälfte der heute rund zwei Millionen Mitglieder stehen. Demographie und Traditionsabbrüche sind unter anderem die Ursachen. Gleichzeitig erleben wir auch beeindruckende Aufbrüche in unserer Kirche.

Die Vorschläge, wie Erneuerung, Relevanzsteigerung und Zukunftsgestaltung aussehen sollten, sind verschieden. Wir sind eine Volkskirche im Wandel, die nach wie vor große Gaben anvertraut bekommen hat – und diese Gaben mit Gottes Hilfe einsetzen und vermehren soll. Im Transformationsprozess der Gesellschaft sollen wir Mut zum Eigensinn des Evangeliums haben: Glauben und Gestalten, in Hoffnung und Nüchternheit.

Ein anderes Thema ist sicher die Rolle der Kirchen in Europa. Ich setze mich sehr dafür ein, dass wir in einem sich verändernden Europa als Kirchen und Christen „Europas Bestes“ (Jer. 29,7) suchen. Ein Europa des Friedens, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit. Das Evangelium öffnet – und schottet nicht ab! Die Kirchen sollten ihre Netzwerke nutzen – auch der LWB –, um deutlich zu machen, dass der christliche Glaube gestaltende Verantwortung trägt für die Menschen unserer Zeit, ob in Deutschland, Europa oder weltweit.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.