Diakonie in der Ukraine erfährt Solidarität inmitten des Konflikts

14. Aug. 2015
Humanitäre Hilfe für Kinder in der Donbass-Region. Foto: Janka Adameová

Humanitäre Hilfe für Kinder in der Donbass-Region. Foto: Janka Adameová

Hilfe für Flüchtlinge und Menschen mit Behinderungen

Odessa ( Ukraine)/Genf, 11. August 2015 (LWI) – Inmitten des seit 16 Monaten andauernden Krieges in der Ukraine, der bisher über 6.000 Todesopfer gefordert und 1,5 Millionen Menschen heimatlos gemacht hat, engagieren sich die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in der Ukraine (DELKU) und die diakonische Organisation Lebendige Hoffnung weiterhin für die Linderung der überwältigenden Not der von dem Konflikt Betroffenen.

Mitglieder einer aus Diakoniefachleuten europäischer Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) zusammengesetzten „Solidaritätsgruppe“ waren jüngst bei Bischof Serge Maschewski von der DELKU und Nicole Borisuk, der Leiterin von Lebendige Hoffnung, zu Besuch. Sie erhielten Einblicke in die diakonische Arbeit der Kirche angesichts des Krieges zwischen der Regierung in Kiew und pro-russischen SeparatistInnen, die den Osten des Landes zu kontrollieren suchen.

In maroden Städten suchen Wellen von Flüchtlingen Unterschlupf, wie die vierköpfige Solidaritätsgruppe nach ihrem Besuch vom 20. bis 22. Mai berichtet. Wasser- und Elektrizitätsversorgung sind unzureichend und die durch die Kämpfe in Mitleidenschaft gezogene Infrastruktur gehört weiter zu den grössten Hindernissen bei der Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern in Städten der Donbass-Region, einem der am schwersten von dem Konflikt betroffenen Gebiete.

Allein in Odessa, so die Solidaritätsgruppe, sind 20.000 Flüchtlinge offiziell registriert, nach inoffiziellen Schätzungen könnten es sich in der Region mit einer Bevölkerung von etwa einer Million jedoch um bis zu 300.000 Menschen handeln, die ihre Heimatorte verlassen mussten.

Vonseiten des Staates gebe es nur geringfügige Unterstützung und die Bedürftigen suchten daher Hilfe bei Kirchen und gemeinnützigen Organisationen. Verwundete Militärangehörige kämen in beschädigten Uniformen in die Krankenhäuser und bräuchten Kleidung, Schuhe, Decken und Essgeschirr. Hilfe leisteten Mitarbeitende der Diakonie, gemeinnützige Organisationen und Freiwillige, berichtet die Solidaritätsgruppe.

Jene, die sowieso gesellschaftlich benachteiligt seien, stünden jetzt vor besonders grossen Problemen, wenn sie versuchten, ihren Platz in einer Gesellschaft zu finden, die vom Krieg gezeichnet sei. Besonders verweist die Solidaritätsgruppe in ihrem Bericht auf 1.500 Menschen mit Behinderungen, die aus dem Donbass in ehemalige Sanatorien oder Erholungsheime in der Umgebung von Odessa evakuiert wurden, denen die örtlichen Behörden jetzt aber mit Räumung drohen.

Trauma und Entbehrungen

Die Diakoniefachleute stellen weiterhin fest, Kriegsrückkehrende litten an körperlichen und psychischen Verwundungen und hätten Probleme, sich wieder in ihre Familien zu integrieren. Häufig bekämen sie Alkoholprobleme und misshandelten Angehörige. Zur diakonischen Begleitung gehöre in diesen Fällen auch die Seelsorge.

Die DELKU und Lebendige Hoffnung bieten solche Hilfestellung für die Bevölkerung allgemein an, in der angesichts des Krieges und der Entbehrungen viele Fälle von Depression auftreten. Manche entscheiden sich, trotz der Gefahr in ihrer Heimat zu bleiben, weil sie sich ihr verbunden fühlen, andere sind frustriert, weil sie auf politische Veränderungen warten. Eine Gruppe von 46 PsychologInnen, die vom Diakoniezentrum in Odessa unterstützt werden, bieten ehrenamtlich Beratungsdienste an, u. a. in Gemeinden, wo Flüchtlinge aufgenommen wurden. Seit April 2015 hat das kirchliche Diakoniezentrum auch ein Notfalltelefon eingerichtet, damit diese Hilfe schnell erreichbar ist. Allein in Odessa wurden bisher über 1.800 Personen, mehrheitlich vom posttraumatischen Stresssyndrom Betroffene, unterstützt.

In Familien gibt es ebenfalls Konflikte, weil die Rechtfertigung des Krieges und der neuen patriotischen Bewegung unterschiedlich beurteilt wird. Angesichts dieser Situation dringen diakonische Mitarbeitende darauf, Solidarität zu fördern, was besonders die Gemeinde in Dnjepropetrowsk in der Donbass-Region intensiv betreibt.

Hoffnungszeichen

Die Solidaritätsgruppe erlebte jedoch auch, dass mitten im Kriegschaos ein „Kibbuz“ entstanden ist: In dem ehemaligen Erholungszentrum einer Fabrik arbeiten 100 Menschen in einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, die Ackerbau betreibt und Rinder, Hühner, Ziegen und Enten züchtet.

„Dieses neue Leben mit Zukunft ist geprägt davon, dass in die Ressourcen der BewohnerInnen selbst investiert wird. Jede/r von ihnen schafft auf der Grundlage der eigenen Begabungen Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Früchte des partizipatorischen Ansatzes für das Zusammenleben sind schon jetzt erlebbar“, schreibt die Solidaritätsgruppe.

Die Gruppe betont, dringend notwendig sei eine langfristig angelegte Friedensarbeit in der Ukraine. „Gegenseitiges Verständnis und Toleranz sollten die Grundlage bilden, auf der neue Beziehungen zwischen den Menschen geschaffen werden“, so der Bericht.

Der Besuch der Solidaritätsgruppe ist Teil der Initiative der LWB-Mitgliedskirchen und diakonischen Organisationen in der europäischen Region unter dem Titel „Konvivenz schaffen“. Das diakonische Konvivenz-Modell betont eine soziale Arbeit, die das partizipatorische Handeln der Betroffenen in den Vordergrund stellt, die damit selbst einen Wandel ihrer Situation herbeiführen.

„Vor diesem Hintergrund scheinen die Implikationen des Konvivenz-Konzepts legitim. Friedensarbeit als Konzept wird immer wichtiger für alle Alters- und vielfältige Zielgruppen“, so das Fazit des Berichts.

Der Solidaritätsgruppe gehörten an: Pfr. Avo Uprus (Estland), Mag. Janka Adameová (Tschechische Republik), Pfr. Martin Urdze (Lettland) sowie Ljubow Galimowa und Nicole Borisuk (beide Ukraine).

 

Pauline Mumia