Deutschland: Lutherisch-Sein durch Musik und Gesang Ausdruck verleihen

26. Aug. 2022

Interview mit Uwe Steinmetz, Jazzmusiker und Komponist

Uwe Steinmetz

Musiker und Komponist Uwe Steinmetz. Foto: Andreas Schoelzel

(LWI) — Musik ist „ein ganzheitlicher Ausdruck des Glaubens“, sagt Dr. Phil. Uwe Steinmetz. Er arbeitet international als Jazzmusiker und Komponist und seit 2015 auch für das Liturgiewissenschaftliche Institut der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Steinmetz beteiligt sich am Studienprozess zu lutherischen Identitäten des Lutherischen Weltbundes (LWB) und ist Mitglied des Internationalen Planungsausschusses für die Gottesdienste (IWPC) zur Vorbereitung auf die Dreizehnte Vollversammlung im Jahr 2023.    

In diesem Interview spricht er über die Kraft der Musik und ihren prägenden Einfluss auf lutherische Identitäten in aller Welt.

Ihr Fokus im LWB-Studienprozess Lutherische Identitäten liegt auf liturgischen und musikalischen Aspekten der lutherischen Identität und Sie haben ein Forschungsprojekt zur globalen lutherischen Musik initiiert. Erzählen Sie uns von diesem Projekt.

Das Projekt läuft noch bis Mitte 2024. Aber ich kann schon jetzt sagen, dass eine von Martin Luthers wichtigsten Erkenntnissen bestätigt wird — dass „neben dem Wort Gottes die edle Musikkunst der größte Schatz der Welt ist“. Lutheraner zu sein bedeutet, dass ich meinen Glauben durch Singen und Musik ausdrücken kann. Und diese Musik kann die Begleitmusik meines spirituellen Lebens sein, eine Erweiterung des Gebets jenseits von Worten.

In lutherischen Gemeinden ist Musik nicht nur ein Aspekt des Gottesdienstes. Sie ist ein ganzheitlicher Ausdruck des Glaubens im täglichen Leben und drückt Klage, Freude, Hoffnung und Widerstand gegen Ungerechtigkeit und die Sehnsucht nach Freiheit aus. Das konnte ich in meinem eigenen Land während der friedlichen Revolution 1989 in der Deutschen Demokratischen Republik sehen. Lutherische Kirchen waren Katalysatoren für gesellschaftliche Veränderungen und schufen dabei ihre spezifische Begleitmusik. Die Menschen brauchten neue Lieder und alte Choräle, um den Gemeinschaftsgeist zu unterstützen und dazu beizutragen, in einem säkularen Umfeld jenseits der theologischen Lehre und des religiösen Wortschatzes Hoffnungstragende zu sein.

Je mehr ich von Lutheranerinnen und Lutheranern in anderen Teilen der Welt lerne, desto deutlicher wird mir, dass Musik oft ein Kompass der Sensibilitäten, Visionen und Träume einer Gesellschaft ist. Daher ist die Sehnsucht nach neuen Liedern, die aus christlicher Sicht sinnstiftend sind, ungebrochen. Sie geht aber einher mit der Wiederentdeckung traditioneller Choräle und ihrer Zeitlosigkeit, denn sie bringen bereits seit Jahrhunderten einen gemeinsamen Glauben zum Ausdruck. Wir können häufig erleben, wie Choräle und spirituelle Lieder aus dem 16. und 17. Jahrhundert in neuen Arrangements und Adaptionen wieder populär werden. Für mich ist dies eine besondere musikalische und liturgische Qualität des Luthertums: Raum für ein fruchtbares Zusammenspiel von Tradition und zeitgenössischem Leben in Gesang und Worten zu schaffen, der über Kirchenmauern hinausgeht und sich im Alltag manifestiert.

Wie werden Sie die Ergebnisse des Projekts präsentieren?

Martin Luthers sogenanntes Achtliederbuch von 1524 dokumentierte durch eine Sammlung von acht Liedern, die zuvor als Einzelblätter gedruckt wurden, auf einzigartige Weise die Reformationsbewegung. Es ist eine Momentaufnahme der Ideen der Reformation in Form von Liedern.

Inspiriert von dieser Idee, wird das Projekt – 500 Jahre später – mit der Veröffentlichung vom Globalen Achtliederbuch 2024 abgeschlossen sein. Es wird ein Mosaik zeitgenössischen christlichen Ausdrucks in Sprache und Klang über Kulturen und Kirchen in den sieben LWB-Regionen hinweg sein. Die achte Stelle steht für das heutige gemeinsame historische Erbe von Luthers Chorälen.

Das Buch ist somit kein traditionelles Gesangbuch. Stattdessen werden moderne Arrangements traditioneller und neuer Lieder gesammelt, die sich mit aktuellen Themen unserer Zeit befassen und aus verschiedenen kulturellen Traditionen betrachtet werden. Ich habe das Spektrum dieser Lieder als „Pilgerreise, Freiheit und Zugehörigkeit“ bezeichnet, da diese drei Aspekte heute im Mittelpunkt der Identität der Christinnen und Christen in der lutherischen Tradition zu stehen scheinen. Die Website „Lutheran Rites and Hymns 2024“ gibt einen Eindruck von diesem Projekt, und dort wird in den kommenden Monaten ein Teil der Musik veröffentlicht.

Die Menschen, die an diesem Gesangbuch mitgearbeitet haben, engagieren sich alle in lutherischen Kirchen in den sieben LWB-Regionen. Darüber hinaus komponieren viele selbst Stücke, die auch außerhalb der Kirchen weithin bekannt sind. Ich wollte auf diese Dimension aufmerksam machen. Historisch gesehen wurden viele spirituelle Lieder oder Choräle Teil der allgemeinen zeitgenössischen Musikwelt, angefangen bei Bach-Kantaten bis hin zu Spirituals, Gospels und Protestliedern, die kirchliche Wurzeln hatten — zum Beispiel das Protestlied „We shall overcome“ in den USA.

Wie wird die Dreizehnte Vollversammlung in Krakau von dieser Arbeit profitieren?

Ich bin sehr dankbar, Teil des Teams des Internationalen Planungsausschusses für die Gottesdienste (IWPC) zu sein, der die Musik für die Gottesdienste der Vollversammlung auswählt. Es ist eine sehr engagierte internationale Gruppe.

Einige der Lieder des Achtliederbuchs 2024 werden zweifellos im Rahmen der gemeinsamen Gottesdienste auf der Vollversammlung gesungen. Die Versammlung wird uns als Lutheranerinnen und Lutheraner jedoch daran erinnern, dass das Singen und Zuhören im Mittelpunkt unserer religiösen Praxis stehen, wenn wir zusammenkommen. Sich als Gemeinschaft musikalisch zu betätigen hat für mich einen einzigartigen Wert: Es ist eine natürliche Erweiterung des Gebets und trägt dazu bei, transformative Gotteserfahrungen zu ermöglichen. Die Vollversammlung wird also ein wichtiger Ort sein, um die Bedeutung der Musik für den Ausdruck des Glaubens und des Lebens der lutherischen Gemeinschaft zu unterstreichen und die letzten Inspirationen für das Achtliederbuch 2024 liefern.

Welche Verbindung gibt es für Sie persönlich zwischen Jazz und Blues und lutherischer Liturgie?

Ich bin in Norddeutschland aufgewachsen und wurde während meines Studiums in Indien und Nordamerika zum lutherischen Christen. Und ich konnte wichtige liturgische Erfahrungen in lutherischen Kirchen in Äthiopien, Brasilien sowie Nord- und Osteuropa machen.

In vielen dieser Kontexte habe ich Liturgien erlebt, in denen Jazz und Blues schon seit Jahrzehnten beheimatet waren; Kirchenmusik suchte aktiv einen Dialog mit der zeitgenössischen Musikwelt. Ich fühlte mich willkommen. Ich wurde oft eingeladen, mich an diesen Gottesdiensten zu beteiligen – ob mit einer Band oder mit einem Organisten. Das hat mich ermutigt, Verbindungen zwischen meiner musikalischen und gottesdienstlichen Praxis in der Musik zu suchen. Ich bin überzeugt, dass Liturgien eine „integrative Qualität“ haben sollten, und zeitgenössische Lieder und Worte willkommen heißen. Wenn ich auf Luthers Zeiten zurückblicke, denke ich, dass dies ein bedeutendes Merkmal auch des heutigen Luthertums sein könnte – und es lohnt sich, dafür zu arbeiten.

Zu meinem musikalischen Hintergrund: Jazz und Blues als Musikgenres sind Teil zahlreicher Weltkulturen geworden. Äthiopischer Jazz klingt anders als japanischer, skandinavischer oder New-Orleans-Jazz. Dennoch fühlen sich Jazzmusikerinnen und -musiker in ihrer Herangehensweise an die Musik über kulturelle Grenzen hinweg vereint. Für mich persönlich lässt sich das auf die Idee globaler lutherischer Identitäten übertragen: Wir klingen alle unterschiedlich, aber wir gehören zu dem einen Leib Christi — Harmonie in Vielfalt.

Als Musiker und Komponist haben Sie das Jahrzehnt von 2020 bis 2030 der Schönheit der Natur gewidmet. Was ist Ihre Hoffnung für die Menschheit, unsere Welt und Gottes Schöpfung?

Als kleiner Teil des immensen Reichtums der Schöpfung stellen Menschen eine erhebliche Bedrohung für sie dar. Wir zerstören unseren Planeten und töten damit viel Inspiration und Freude, die wir brauchen, um selbst kreativ zu sein. Ich hoffe, dass wir ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickeln und dass dies zu einem neuen spirituellen Erwachen auf globaler Ebene führen wird, womit letztendlich neue Bindungen zwischen Kulturen und Religionen gefördert werden.

Was bedeutet es für Sie, Teil der globalen lutherischen Gemeinschaft zu sein?

Ich bin Teil eines globalen Mosaiks von begnadeten Menschen, die gemeinsam und voneinander lernen, mit ihren Gaben in ihren lokalen Gemeinschaften ein konstruktiver Teil der Schöpfung Gottes zu sein.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

LWF/A. Weyermüller