Bildung für muslimische Kinder in Myanmar

31. Jan. 2017
Kinder in einem der provisorischen Klassenräume im Lager Nget Chaung-2. Diese vom LWB bereitgestellten Provisorien sind die einzige Schule, die sie unter den aktuellen Bedingungen besuchen können. Foto: LWB/C. Kästner

Kinder in einem der provisorischen Klassenräume im Lager Nget Chaung-2. Diese vom LWB bereitgestellten Provisorien sind die einzige Schule, die sie unter den aktuellen Bedingungen besuchen können. Foto: LWB/C. Kästner

LWB sorgt für Klassenräume und Lernmaterial und bildet Lehrkräfte aus

Sittwe, Myanmar/Genf (LWI) –150 Kinder in einem Raum – der Lärm ist ohrenbetäubend. Sie sitzen in bunter Kleidung auf dem Boden eines provisorischen Klassenzimmers in Nget Chaung-2, einem Lager für Binnenflüchtlinge in der Nähe von Sittwe, der Hauptstadt des Rakhine-Staats in Myanmar. Dieses Angebot ist als Alternative zum staatlichen Schulsystem konzipiert, zu dem die Flüchtlingskinder keinen Zugang erhalten.

Viele von ihnen haben in verspielten Wirbelmustern Thanakapaste auf ihr Gesicht aufgetragen. Die traditionelle Kosmetik schützt sie vor der tropischen Sonne und Hitze. Auf niedrigen Tischen liegen vor ihnen ihre Taschen mit wertvollem Inhalt: Schulhefte und Stifte, mit denen sie das Myanmar-Programm des Lutherischen Weltbundes (LWB) ausgestattet hat.

Anhaltende ethnische Spannungen

Nget Chaung-2 ist eines von vielen Flüchtlingslagern im Rakhine-Staat. Die seit langen Jahren andauernden ethnisch-politischen Spannungen zwischen den buddhistischen Arakanesen und dem muslimischen Teil der Bevölkerung, bei denen es vor allem um den Zugang zu den Ressourcen in der Region geht, führen immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die insbesondere auf muslimischer Seite Menschen zwingen, ihre Heimatorte zu verlassen. In vielen Fällen wird ihnen die myanmarische Staatsbürgerschaft nicht zuerkannt, sodass den Kindern, die die provisorische Schule besuchen, großteils keine Geburtsurkunden ausgestellt wurden und sie daher keinen oder nur sehr begrenzten Zugang zu staatlichen Schulen oder später zu einer geregelten Berufsausbildung haben.

In dem Lager leben 3.335 Personen muslimischen Glaubens, die 2014 aus den Gemeinwesen Nget Chaung, Don Ywar und Lumbardiain fliehen mussten. Außergewöhnlich ist an diesem Lager seine isolierte Position auf einer Insel. Die Überfahrt von der Westküste Myanmars dauert mit dem Schnellboot 45 Minuten. Ansonsten ist das Lager nur über schmale, schlammige Fußwege zu erreichen, die eine Wattlandschaft durchqueren. Zur nächsten Krankenstation ist man zu Fuß eine Viertelstunde unterwegs. Die Häuser stehen auf Stelzen, denn das Lager wird regelmäßig überflutet.

Der LWB hat die Verwaltung des Lagers Nget Chaung-2 übernommen, stellt allgemeine Dienste für das Gemeinwesen bereit und betreut die Bereiche Sicherheit und Katastrophenvorsorge. So wurden Brandschutzkurse für die Lagerbevölkerung durchgeführt und für die Anbindung an die Feuerwehr von Sittwe gesorgt. Weiterhin hat der LWB auch den Bau von Latrinen organisiert.

Schul- und Berufsbildung sind für den LWB der wichtigste Arbeitsbereich im Lager. So nehmen in einem informellen Bildungszentrum aktuell 189 Frauen an Alphabetisierungskursen teil. Es wurden fünf provisorische Klassenzimmer für die Primarschulebene eingerichtet, dazu weitere Räume für die Betreuung von Vorschulkindern. Für diese Arbeit wurden 28 Lehrkräfte ausgebildet sowie 1.100 Schülerinnen und Schüler mit Lehrbüchern und Lernmaterial ausgestattet.

Kaum Beziehungen nach außen

Die Unterrichtsbedingungen sind alles andere als ideal. „Wir unterrichten in zwei Schichten“, erläutert Maung Kyaw Naing, eine aus den Reihen der Lagerbevölkerung rekrutierte Lehrkraft. Zwei Klassen teilen sich einen Raum. Es kommt vor, dass sie sich gegenseitig zu übertönen, wenn sie Gedichte aufsagen oder die Buchstaben der birmanischen Schrift von der Tafel ablesen sollen. „Wir haben es mit einem Raumteiler versucht“, erinnert er sich, „aber dann war es unerträglich heiß.“

Naing stellt fest, dass seine Schülerinnen und Schüler nicht von der Gewalt sprechen, die sie zur Flucht zwang. Dennoch wirkt sich ihre Lebenssituation auf die schulischen Leistungen aus. „Vielen fällt es schwer, sich zu konzentrieren“, so sein Fazit, „zu Hause haben sie keinen Platz, wo sie lernen können, und nach Sonnenuntergang kein Licht mehr, um Hausaufgaben zu machen. Alle essen und schlafen im selben Raum.“

Es gibt auch Kontakte zu den umliegenden buddhistischen Gemeinwesen. „Wir können das Lager nicht verlassen, also kommen sie hierher, um Handel zu treiben“, erzählt der Lehrer. Die Lagerbevölkerung kann nicht mehr wie gewohnt Landwirtschaft betreiben, also ist die einzige Einkommensmöglichkeit das Krabbenfischen in dem trüben Wasser rund um die Insel.

„Wir wollen zurück in unser Dorf“, erklärt Maung Hla, Vorsitzender des Ausschusses für die Lagerverwaltung. „Hier haben wir keine Privatsphäre, wir haben nichts, außer der Fischerei. Wir haben alles verloren und können uns nicht frei bewegen.“

Bildung und Staatsangehörigkeit

Die eingeschränkte Mobilität hat Rückwirkungen auf die Schulbildung der Kinder, führt Maung Hla weiter aus. „Eines der Probleme ist, dass wir keine Sekundarschule haben. Inzwischen haben 85 Kinder Sekundarschulniveau erreicht. Eine Fahrt mit dem Boot nach Sittwe zur Schule kostet 10.000 Kyat (7,45 USD). Wir haben das bei den Behörden angesprochen, aber bisher noch keine Antwort bekommen.“

Die Zentralregierung ist für die Zuweisung von Lehrkräften zuständig, ergänzt dazu U Aung Kyaw Thun, der die Schulbehörde in Sittwe leitet. Da die muslimisch-buddhistischen Spannungen so akut sind, ist er nicht bereit, arakanesische Lehrkräfte in die muslimischen Lager zu entsenden: „Einer meiner Freunde kam 2012 ums Leben.“

Für ihn geht es bei der Frage, welche Bildungsangebote in den Lagern für Binnenflüchtlinge bereitgestellt werden sollen, hauptsächlich um das Thema Staatsangehörigkeit. „Es muss geklärt werden, ob sie myanmarische Staatsangehörige sind oder nicht“, findet er. „Wenn das positiv entschieden ist, dann können wir in Sachen Bildung eine Lösung erarbeiten. Aktuell fürchte ich um die Sicherheit meiner Lehrkräfte.“

Im Rahmen seines Programms für Bildungsmaßnahmen in Krisensituationen und zur Entwicklung von Bildungsangeboten schafft der LWB in Myanmar schulische Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche von drei bis 17 Jahren. Aktuell unterstützt das Programm 7.056 Schülerinnen und Schüler in staatlichen arakanesischen Schulen sowie 8.198 muslimische Binnenflüchtlinge.

Die Angebote des LWB reichen von frühkindlicher Entwicklung über Primarschulunterricht und informelle Bildungsmaßnahmen bis hin zur Vermittlung von praktischem Alltagswissen. Zu diesem Zweck baut der LWB provisorische Klassenräume und Räume für die Betreuung von Vorschulkindern und hält sie instand. Lehrkräfte wie auch Schülerinnen und Schüler werden mit Material versorgt und ein sicherer Zugang zu diesen Bildungsangeboten wird gewährleistet.

Die Arbeit des LWB wurde und wird unterstützt von ECHO, Finn Church Aid, UNICEF, der EU sowie der Schwedischen Kirche.