„Being Lutheran“: Reale Präsenz in digitaler Kirche

10. Feb. 2021
Foto: Congerdesign via Pixabay

Foto: Congerdesign via Pixabay

Veränderungen durch Corona-Pandemie

GENF, Schweiz (LWI) – Wie sind die Kirchen mit den Beschränkungen umgegangen, die durch die COVID-19-Pandemie notwendig geworden waren? Wie kommen sie nach etwa einem Jahr mit den Beschränkungen und dem Online-Format für Gottesdienste zurecht? Und vor allem: Wie werden die Erfahrungen des letzten Jahres Theologie, Gottesdienste und die seelsorgerliche Praxis in den kommenden Jahren prägen?

In Rahmen eines Webinars am 3. Februar in der Reihe „Being Lutheran“ haben sich drei Theologie-Fachleute aus den Vereinigten Staaten von Amerika, den Niederlanden und Malaysia mit genau diesen Fragen auseinandergesetzt und aus ihrer jeweils ganz persönlichen Wahrnehmung berichtet, was für eine große Herausforderung die COVID-19-Pandemie für die Kirche war und ist, und wie tiefgreifend sie diese verändert hat.

Deanna Thompson ist Direktorin des Lutheran Center for Faith, Values and Community am St. Olaf College im US-Bundesstaat Minnesota. In den letzten Jahren hat sie sich zudem einen Namen gemacht als „Fürsprecherin für eine digitale Kirche“ – eine Rolle, die ihr 2008 kurz nach einer Krebserkrankung in Stadium 4 etwas unfreiwillig zuteilwurde. Sie berichtet dass sie „alles virtuelle“ ursprünglich eher skeptisch betrachtete, erlebte sie nach ihrer Diagnose, dass sich befreundete Menschen online vernetzten, um wichtige Unterstützung zu leisten, und stellte fest, dass „digitale Instrumente nicht einfach ein schlechter Ersatz für reale Begegnung sind, sondern vielmehr lebenserhaltenden Kontakt ermöglichen konnten“.

Neue Glaubensgemeinschaften

Als Menschen, die „Luthers Theologie des Kreuzes überzeugt hat“, so Thompson, „wissen wir, dass Gott überall dort gegenwärtig ist, wo wir es am wenigsten erwarten“. Schon vor Beginn der Pandemie hatte Thompson begonnen, sich damit zu beschäftigen, was es bedeutet, dass „Christus wirklich im Wort gegenwärtig ist“. Diese Glaubensüberzeugung habe in der Zeit der Selbstisolation an Bedeutung gewonnen.

Online-Andachten und Online-Gottesdienste seien eine wichtige Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern, insbesondere für kranke, ältere und gefährdete Menschen, die vielleicht nie wieder persönlich zum Gottesdienst kommen können, so Thompson weiter. Sie bemerkte auch, dass religiöse Online-Formate viel Zuspruch erhalten hätten von denen, die eher selten in die Kirche gehen. Digitale Gottesdienste können „ein größeres Gefühl von Verbundenheit schaffen, als wir denken“.

„Gottes Kreativität“ habe in dieser Zeit der ungekannten Herausforderungen für die Kirchen überrascht, so Andreas Wöhle. Als Mitglied der Protestantischen Kirche in den Niederlanden und Hauptpastor der Oude Lutherse Kerk in Amsterdam hat er selbst erlebt, wie die Online-Gottesdienste zu ganz neuen und auch tiefschürfenden Glaubenserfahrungen geführt haben. Insbesondere Familien hätten so gemeinsam Gottesdienst gefeiert.

Digitalen Zugang ermöglichen

Zu Beginn des Lockdowns, erinnert sich Wöhle, habe seine Kirche zwar schon auf den Bedarf an Online-Gottesdiensten reagiert, aber gleichzeitig erkennt, dass es eine äußert dringende „diakonische Aufgabe“ sei, auch weniger technologieaffinen Gemeindemitgliedern einen digitalen Zugang zu ermöglichen. In der Passionszeit 2020, so Wöhle, fanden viele, dass die angemessenste Antwort auf „Christi Gegenwart in dem Schmerz, dass wir nicht zusammenkommen können“ sei, auf das Abendmahl zu verzichten. Die Erfahrungen der Selbstisolation, führte er weiter aus, haben „eine neue Dimension von Gemeinschaft“ zur Folge gehabt, die „tiefschürfender ist als unser bisheriges theologisches Denken“.

Auch für den Vorsitzenden der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung der Lutherischen Kirche in Malaysia, Augustin Muthusami, waren diese wichtigen Fragen eine große Herausforderung. Muthusami ist Pfarrer der Luther House Chapel in der Nähe der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur und im Bereich Bildung und Kommunikation der Kirche tätig. Zu Beginn der Pandemie, erzählt er, „waren wir zurückhaltend was ein [digitales] Abendmahl anging“, denn wir spürten eine „große Angst“ davor, dass das Sakrament „verramscht“ würde.

Diskussionspunkt Abendmahl

Als der Lockdown länger andauerte, sagte Muthusami, habe man sich von dem lutherischen Verständnis einer „unsichtbaren Kirche“ inspirieren lassen. Im Dezember habe die Kirche zugestimmt, dass Gemeinden ein virtuelles Abendmahl feiern dürften. „Uns ist klar geworden, dass die Menschen sich insbesondere in derart von Stress geprägten Zeiten nach dem Sakrament sehnten“, berichtet er. Die Kirche habe jedoch „Bedingungen formuliert“, die Rechenschaft fordern und erläutern, „dass dies eine außergewöhnliche Maßnahme in außergewöhnlichen Zeiten“ sei.

Aufklärung sei ein wichtiger Teil des Prozesses, sagt Muthusami. Seine Kirche habe Briefe an alle Kirchenvorstände geschickt und darin erklärt, wie die Sakramente in diesen außergewöhnlichen Zeiten verwaltet werden sollten. Während ein Internetzugang für viele Menschen in aller Welt nach wie vor eine „Frage der Gerechtigkeit“ ist, waren sich alle Vortragenden und Teilnehmenden an dem Webinar einig, dass die Erfahrungen des Kircheseins in einer Pandemie „verändern, wer wir in Zukunft sein werden“.

Pastoralen Konsens finden

Das Webinar folgt auf eine Umfrage unter den Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB), die zu mehr Dialog über Gottesdienstformen in der Pandemie aufrief. Chad Rimmer, LWB-Programmreferent für Identität, Gemeinschaft und Bildung, sagte, das Ziel eines solchen Austausches sei, zu einem „gemeinsamen Verständnis unseres Glaubens an Christi reale Präsenz unter uns in der aktuellen Zeit der physischen Distanzierung voneinander zu finden“.

Während der LWB bemüht sei, Raum für solche theologische Reflexion zu schaffen, sagte er weiter, „müsse es ein Austausch unter den Mitgliedskirchen sein, die mit der notwendigen Resilienz ausgestattet sind, um einen pastoralen Konsens darüber zu finden, was in den jeweiligen lokalen Kontexten angemessen sei. Das ist ein Geschenk und eine Aufgabe, wenn wir als Gemeinschaft zusammen sein wollen – insbesondere in dieser ungewöhnlichen Zeit.“

 

 

 

LWB/P. Hitchen. Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller